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Filmartikel

Zwischen Museum und Katastrophengebiet

Die 52. Biennale von Venedig eröffnet mit einer üppigen Überblicksschau
Illustration
- Ein Biennale-Blickfang von vielen: Eine Installation Jason Rhoades’.  Foto: apa

Ein Biennale-Blickfang von vielen: Eine Installation Jason Rhoades’. Foto: apa

Von Wolfgang Huber-Lang

(apa) "Denk mit den Sinnen – Fühle mit dem Geist. Kunst in der Gegenwart . . ." hat Robert Storr, der heuer als erster US-Amerikaner in der Geschichte der Kunstbiennale Venedig die Hauptschau kuratiert hat, seine Überblicksausstellung genannt. Sie ist ausufernd und zerfällt an den beiden Schauplätzen im Italienischen Pavillon und im Arsenale in zwei Teile.

Im italienischen Pavillon, dem labyrinthischen Bau, in dem sich der Besucher gleich als Ameise fühlt, dominieren überraschenderweise klassische malerische und zeichnerische Positionen, begegnet man Werken von Gerhard Richter und Sigmar Polke, Susan Rothenberg und Raymond Pettibon. Zwei gegenüber gestellte Bleistiftarbeiten von Sol LeWitt werden zur viel fotografierten Attraktion.

"Wenig Humor"

In den Giardini begegnet man Gerald Matt, dem Leiter der Kunsthalle Wien. So eine langweilige Hauptschau habe er auf der Biennale noch kaum je gesehen, wettert er, sie sei – trotz der hohen Qualität der Kunstwerke – mehr ein Museum als ein Ort der Entdeckungen. "Kaum Politik, wenig Humor, kein Sex", lautet sein Urteil. Anders die Meinung von Stella Rollig, Leiterin des Linzer Lentos Museums über das Arsenale: Die Gruppenausstellung sei zwar komplex und erfordere Vorwissen, doch sei sie gut abgemischt wie ein Musikstück. Sie sieht politische Bezüge: "Hier geht es immer wieder um Krise, Katastrophe und Gefahr."

Keine Sicherheit mehr

Die Ausstellung im Arsenale sieht ganz anders aus: Besucher werden mit einer Futurismus-Hommage von Luca Buvoli empfangen, bei der einem die bunten Einzelteile dieses "Very Beautiful Day After Tomorrow" förmlich um die Ohren fliegen. Von Charles Gaines gibt es eine Installation namens "Airplanecrashclock" und Explosions-Zeichnungen. Sicher darf sich niemand mehr fühlen, ist die Botschaft.

Valie Export beweist mit einer neuen Stimmritzen-Videoinstallation und der überarbeiteten Installation ". . .remote. . .remote. . .passagen", dass ihre Radikalität ungebrochen ist. Natürlich ist bei weitem nicht alles per se politisch zu interpretieren, bei Franz Wests großen bemalten Pappmaché- und Aluminium-Skulpturen ist dies weniger nahe liegend als bei Jason Rhoades’ knallig-buntem, mit Matratzen, Stoffresten, Kabeln und Neon-Schriftzügen vollgestopften Raum.

Am Ende wird es mit dem in New York lebenden Vorarlberger Rainer Ganahl und dem Spanier Ignasi Aballi wieder explizit politisch. Ganahl zeigt eine schöne Fotoserie, für die er Vorträge und Seminarsituationen aufgenommen hat, sowie eine an die Wand übertragene Google-Recherche-Liste nach "the politics of education", vis à vis hat Aballi Schlagzeilen spanischer Zeitungen versammelt. An der Rückwand des Raumes steht ein Feuerlöscher, hängt ein Fluchtweg-Pfeil und leuchtet ein Neon-Wort: "Exit". Wir sind am Ausgang. Doch halt, beim näheren Hinsehen heißt das Wort "Exil". Der in Paris lebende Algerier Abdel Abdessemed führt uns in die Irre und vor Augen: Es gibt kein Entkommen. Vor dem Leben nicht, und auch nicht vor der Kunst.

Siehe auch Seite 12

52. Biennale von Venedig

10. Juni bis 21. November

www.labiennale.org

Durchmischt.

Freitag, 08. Juni 2007


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