(apa) "Denk mit den Sinnen – Fühle mit dem
Geist. Kunst in der Gegenwart . . ." hat Robert Storr, der heuer als
erster US-Amerikaner in der Geschichte der Kunstbiennale Venedig die
Hauptschau kuratiert hat, seine Überblicksausstellung genannt. Sie ist
ausufernd und zerfällt an den beiden Schauplätzen im Italienischen
Pavillon und im Arsenale in zwei Teile.
Im italienischen Pavillon, dem
labyrinthischen Bau, in dem sich der Besucher gleich als Ameise fühlt,
dominieren überraschenderweise klassische malerische und zeichnerische
Positionen, begegnet man Werken von Gerhard Richter und Sigmar Polke,
Susan Rothenberg und Raymond Pettibon. Zwei gegenüber gestellte
Bleistiftarbeiten von Sol LeWitt werden zur viel fotografierten
Attraktion.
"Wenig Humor"
In den Giardini begegnet man Gerald Matt, dem Leiter der Kunsthalle
Wien. So eine langweilige Hauptschau habe er auf der Biennale noch kaum
je gesehen, wettert er, sie sei – trotz der hohen Qualität der
Kunstwerke – mehr ein Museum als ein Ort der Entdeckungen. "Kaum
Politik, wenig Humor, kein Sex", lautet sein Urteil. Anders die Meinung
von Stella Rollig, Leiterin des Linzer Lentos Museums über das
Arsenale: Die Gruppenausstellung sei zwar komplex und erfordere
Vorwissen, doch sei sie gut abgemischt wie ein Musikstück. Sie sieht
politische Bezüge: "Hier geht es immer wieder um Krise, Katastrophe und
Gefahr."
Keine Sicherheit mehr
Die Ausstellung im Arsenale sieht ganz anders aus: Besucher werden
mit einer Futurismus-Hommage von Luca Buvoli empfangen, bei der einem
die bunten Einzelteile dieses "Very Beautiful Day After Tomorrow"
förmlich um die Ohren fliegen. Von Charles Gaines gibt es eine
Installation namens "Airplanecrashclock" und Explosions-Zeichnungen.
Sicher darf sich niemand mehr fühlen, ist die Botschaft.
Valie Export beweist mit einer neuen Stimmritzen-Videoinstallation
und der überarbeiteten Installation ". . .remote. . .remote. .
.passagen", dass ihre Radikalität ungebrochen ist. Natürlich ist bei
weitem nicht alles per se politisch zu interpretieren, bei Franz Wests
großen bemalten Pappmaché- und Aluminium-Skulpturen ist dies weniger
nahe liegend als bei Jason Rhoades’ knallig-buntem, mit Matratzen,
Stoffresten, Kabeln und Neon-Schriftzügen vollgestopften Raum.
Am Ende wird es mit dem in New York lebenden Vorarlberger Rainer
Ganahl und dem Spanier Ignasi Aballi wieder explizit politisch. Ganahl
zeigt eine schöne Fotoserie, für die er Vorträge und Seminarsituationen
aufgenommen hat, sowie eine an die Wand übertragene
Google-Recherche-Liste nach "the politics of education", vis à vis hat
Aballi Schlagzeilen spanischer Zeitungen versammelt. An der Rückwand
des Raumes steht ein Feuerlöscher, hängt ein Fluchtweg-Pfeil und
leuchtet ein Neon-Wort: "Exit". Wir sind am Ausgang. Doch halt, beim
näheren Hinsehen heißt das Wort "Exil". Der in Paris lebende Algerier
Abdel Abdessemed führt uns in die Irre und vor Augen: Es gibt kein
Entkommen. Vor dem Leben nicht, und auch nicht vor der Kunst.
Siehe auch Seite 12
52. Biennale von Venedig
10. Juni bis 21. November
www.labiennale.org
Durchmischt.
Freitag, 08. Juni 2007