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Haifisch ohne Zähne
Die Ausstellung über den Aktionisten, Kommunarden und Maler Otto Muehl hat Angst vor sich selbst
VON STEPHAN HILPOLD

Otto Muehl (Museum)
Ein Loch ist im Katalog. Es hat in etwa einen Durchmesser von einem halben Zentimeter und befindet sich auf Seite 210. Ein Bild von 1974 ist auf dieser Seite zu sehen, ein Bild von den Anfängen der Künstlerkommune im burgenländischen Friedrichshof. Die Idylle könnte nicht sonniger sein: Ein kleines Grüppchen sitzt auf Strohballen hinterm Haus, unter ihnen ein nackter Mann, die Arme wie im Tanz erhoben. Nur eine Kleinigkeit stört das Bild. Statt eines Gesichts ziert den einen der abgebildeten Zuschauer auf den Strohballen ein Loch. Zufall oder nicht: Auf Seite 209, also auf der Rückseite, geht das selbe ausgestanzte Loch mitten durch das Wort "Sexualität".

Dass hier jemand seine Persönlichkeitsrechte geltend machte und der Katalog nachträglich zensiert werden musste, ist eine beinahe zu vernachlässigende Kleinigkeit in einer Ausstellung, die bereits vor der Eröffnung in die Schlagzeilen geraten war, die verschoben wurde und nun doch unter massivem Sicherheitsschutz und von heftigen Diskussionen begleitet im Wiener Museum für Angewandte Kunst stattfindet. Otto Muehl ist sie gewidmet, dem 1925 geborenen österreichischen Aktionisten, Maler und Kommunarden, der in den neunziger Jahren rechtskräftig verurteilt wurde und im Gefängnis saß.

Im Zuge der geplanten Ausstellung meldeten sich mehr und mehr ehemalige Kommunen-Mitbewohner, die ihm sexuelle Nötigung und psychische Manipulation vorwarfen - Beschuldigungen, wegen denen Muehl 1991 bereits zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt worden war.

Grenzlinie von Leben und Kunst

"Otto Muehl" schreibt er sich mittlerweile, lebt schwer krank (er leidet an Parkinson) in einer Kleinkommune an der portugiesischen Algarve und reiste deswegen auch nicht zur Eröffnung der Schau an.

Dennoch bringt Muehl immer noch halb Österreich gegen sich auf - aus ähnlichen Gründen, aus denen der Unbekannte auf dem Foto auch (oder gerade) 30 Jahre später nicht wiedererkannt werden wollte: Beim Überschreiten der Grenzlinie zwischen Leben und Kunst war Muehl einen Schritt weiter als andere gegangen. Er zeigte der von ihm so genannten "Wichtelgesellschaft" den nackten Hintern, bewehrte seine Mitstreiter mit Schnullern, um gegen die "Erwachsenenwelt" anzutreten und schiss (in der "Uniferkelei") buchstäblich auf sie.

Er drehte ihr den Rücken zu, gründete am Friedrichshof seine eigene Miniaturgesellschaft, in der er dann selbst Gottvater mimte und seine (teilweise minderjährigen) Töchter an der Hand zu seiner Ruhestätte führen durfte. All das natürlich unter dem Label Kunst.

Die Kunst, die das Wiener MAK jetzt in einer Hochzeit der Musealisierung des Wiener Aktionismus (die Wiener Museen überbieten sich derzeit geradezu mit Schauen über Hermann Nitsch, Günter Brus und jetzt also Muehl) zur Disposition stellt, ist also nicht vom Leben ihrer Beteiligten zu trennen.

Auch wenn gerade dies das Ziel von MAK-Direktor Peter Noever und Kuratorin Bettina M. Busse zu sein scheint. Das Ergebnis: eine Retrospektive, die aus Angst vor sich selbst rund um Lücken und Löcher manövriert, die wenig klärt und noch weniger erklärt. Die wieder aufflammenden Diskussionen um Muehl waren überaus vorhersehbar. Es hätte am MAK gelegen, sie dieses Mal in eine andere, verantwortungsvollere Richtung zu lenken.

Als Claus Peymann Muehl nach seiner Haftentlassung vor sechs Jahren auf die Bühne des Burgtheaters holte, lag dies noch im Sinne eines Hauses, dem es mehr ums Stochern in gesellschaftlich neuralgischen Punkten ging als um deren Verhandlung. Die Betriebsräte protestierten, Haiders FPÖ machte eine "dringliche Anfrage" im Parlament. Und wieder einmal hatte die Alpenrepublik einen ihrer heiß geliebten Kunstskandale - auch wenn Muehls tattriger Auftritt auf der Burgbühne zum peinlichen Theaterständchen wurde.

Lücken, Löcher und Gestocher

Mit seiner Retrospektive beschreitet das MAK jetzt unverständlicherweise einen ähnlichen Weg. "Leben / Kunst / Werk - Aktion Utopie Malerei 1960-2004" heißt der nach Protesten abgeänderte Titel der Schau, doch im Mittelpunkt steht weder die Zeit des Aktionismus - also nicht jene Kunstrichtung, in der Muehl, Brus, Schwarzkogler oder Nitsch aus dem österreichischen Nachkriegsmief heraus international Bahnbrechendes und Bedeutsames schufen, und die natürlich längst kunstgeschichtlich sakralisiert ist - erst recht nicht die Zeit der Kommune am Friedrichshof, sondern Muehls Malerei. Von den anfänglichen akademischen Versuchen über Material- und Schüttbilder, die Porträtmalerei, bis hin zu den electric paintings, den simplen Computeranimationen der letzten Jahre.

In kaum einem dieser Genres zeigt sich ein wirklich originärer Maler: Statt dessen einer, der um die Leitmotive Sexualität und diverse Körperöffnungen und -funktionen kreist, der sich an Cézanne und van Gogh abarbeitet, der aus dem Rahmen tritt und erst später (1974) wieder zur Malerei zurückkehrt.

Landschaftsbilder vom Friedrichshof entstehen, 1977 eine Reihe von Bildern, die sich mit Picasso auseinander setzen, und immer wieder Porträts, die man so oder ähnlich auch längst schon von Andy Warhol gesehen hatte. Nach der Haftstrafe experimentiert Muehl wieder mit Eiern, Urin und Kot, zitiert Politiker - und malt daneben Haie.


Bilder, die nicht beißen

Doch wirklich beißend, der wirkliche Mittelpunkt von Muehls Schaffen, sind die Ergebnisse kaum, und das war wohl auch den Verantwortlichen der Schau bewusst: "Wir sehen nicht Bilder, sondern die bildschaffende Bewegung selbst, wie sie zwischen dem Vorgefundenen und dem Erreichten vermittelt", schreibt Peter Noever etwas kryptisch im Katalogvorwort. Dabei ist es weniger die "bildschaffende Bewegung" Otto Muehls, die interessiert, als der künstlerische Weg vom Aktionismus zur Kommune und wie man dort Leben als Kunst beging - und natürlich, warum die Widerstände im Falle Muehl bis herauf in die Gegenwart derart hartnäckig sind.

Der juristische Streit, der ausgefochten und entschieden wurde (Muehl wurde wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger belangt, und im Umfeld der Schau wurden jetzt von ehemaligen Kommunarden neue, noch unbekannte Vorwürfe laut), mag die eine Seite der Medaille sein. Sie hat im Museum fürwahr nichts zu suchen. Deswegen aber die Zeit am Friedrichshof, immerhin knappe 20 Jahre, auf die sich auch die meisten Anschuldigungen beziehen, beinahe vollends auszuklammern, beziehungsweise, sie auf das Eingangs zitierte Bild und einige Plakate über die in der Gemeinschaft praktizierte Aktionsanalyse zu reduzieren, scheint der falsche Weg. Die Kunst Otto Muehls war und ist eine Kunst, die sich ins Leben stürzt. Also wird man sich auch bei ihrer unumgänglichen Aufarbeitung vor dem Leben nicht so einfach drücken können. Widerstände hin oder her.

Wiener Museum für Angewandte Kunst, bis 31. Mai, der Katalog kostet 44 Euro.



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Dokument erstellt am 08.03.2004 um 16:40:03 Uhr
Erscheinungsdatum 09.03.2004