21.01.2003 18:56
Die Vitrinen der Macht
Anregende
Schau im "quartier21"
Wien - Der Leviathan war ursprünglich ein
alttestamentarisches Seeungeheuer, spielt in letzter Zeit wieder eine bedeutende
Rolle, quasi als Metapher. Thomas Hobbes hatte sich 1651 auf den Leviathan als
aus einer Masse von Individuen zusammengesetzten Staatskörper bezogen, im
Zusammenhang mit Frage um staatliche und kirchliche Macht und Repräsentation.
Fragen, die sich in adaptierter Form auch heute wieder stellen, in der Zeit der
transnationalen Netzwerke, von Weltbürgerschaft.
Seitdem Michael Hardt
und Antonio Negri sich in ihrem Buch "Empire" auf Leviathan beziehen, sorgt das
"kommunistische Manifest des 21. Jahrhunderts" (Slavoj Zizek) für Diskussionen.
Das alte "Reich" wird da zum "Empire" des postmodernen Kapitalismus - ein
weltumspannendes Netzwerk aus Institutionen, Medienkonzernen, informellen
Organisationen etc.
Wie kann heute in Hinsicht auf diese Lektüren die
Staatlichkeit gesehen werden? Diese Frage stellte sich das Team Cosima Rainer,
Vitus Weh und Richard Brehm im quartier21 im Wiener Museumsquartier. Sie
stellten eine äußerst anregende, kontroversielle Schau re: Leviathan -
Visuelle Formierungen von staatlicher Macht zusammen, die Theorie mit
konkreten Beispielen zusammenführt - kulturelle Studien sozusagen, die als
Materialsammlung in Vitrinen lagert.
Ihr Fazit: So sehr sich staatliche
Denkmodelle geändert haben, so sehr bleibt man in der Repräsentation auf alten,
übernommenen Symbolen. Ein Klassiker ist der Adler, in den postkommunistischen
Staaten wieder ganz en vogue. Marcel Brotheers schrieb Kunstgeschichte in seiner
Adler-Sammelausstellung in den 60ern. Das "Branding" von Staaten nahm seinen
Ursprung in den 30er-Jahren und erlebte seine schauerliche Präzision im
Nazi-Deutschland. Mit "Cool Britannia" etwa gelang Werbestrategen ein perfektes
kulturell-staatliches Branding anfang der
Neunzigerjahre.
Nationenübergreifende Gebiete zeigt etwa die Landkarte
mit "Steuerparadiesen" oder ein Modell der schwimmenden Oase "Freedom Ship". Der
Doppeladler (Hardt/Negri), dessen Köpfe sich einander zuwenden und bekämpfen,
wirft nur mehr verzerrte Schatten an die Wand - wie in der Installation von
Linda Bilda. Alternativen zu althergebrachten Symbolen, etwa zu der in den
50er-Jahren entworfenen EU-Flagge, bastelt etwa Rem Kolhaas mit Umberto Eco. Sie
transformieren alle europäischen Flaggen zu einem Strichcode, der auch als
abstraktes Streifenbild gelesen werden kann.
Im Kapitel "Soziale
Bausteine" stehen Bildstatistiken Otto Neuraths aktuellen computergenerierten
Bilder gegenüber, die die Logik von Genoziden ins Visuelle übersetzen.
"Temporäre Kollektive" wiederum setzt an bei Love Parades oder karnevalesken
Demonstrationen. Eine noch bis nächsten Montag geöffnete, im April in die
Kunsthalle Düsseldorf wandernde Ausstellung, über die der Brite sagen würde: Not
to be missed. (Doris Krumpl/DER STANDARD; Printausgabe, 22.01.2003)