Shopping

 

 

 

 

Matthias Dusini

 

 

Generali Foundation
Wien
24.1.2001 - 15.4.2001

 

»Es gibt nichts Schädlicheres und Entwicklungshemmenderes als die ewigen Lamentationen über die Amerikanisierung Europas«, schrieb der Kulturhistoriker Egon Friedell 1910. Er meinte damit das rückwärtsgewandte Wienbild eines Karl Kraus, der – bei aller Wertschätzung urbaner technischer Standards – doch dem hartnäckigsten Topos des kulturbürgerlichen Antiamerikanismus nachhing: der Dichotomie zwischen der guten europäischen Kultur und der bösen amerikanischen Zivilisation.
Angesichts des zunehmenden kommerziellen Drucks auf die österreichischen Bundesmuseen durch die Ausgliederung aus der Staatsverwaltung zieren diskursive Schaumkronen über kulturelle Autonomie und feindliche Übernahmen durch die Privatwirtschaft die aktuellen Diskussionen über Kunst versus Kommerz. Umso interessanter erscheint daher der Versuch von Österreichs prominenter privater Kunstinstitution Generali-Foundation, mit einer Themenausstellung in medias res zu gehen und – anhand des Themas Shopping – das Spannungsverhältnis zwischen alltäglichem und kulturellem Konsumverhalten, zwischen »Alltags-Zivilisation« und Museum auszuloten.
Die brisante kulturelle Dichotomie heißt heute global versus lokal und hat – in Hinblick auf eine Einebnung nationaler Selbstwahrnehmungsmuster durch die EU und die anstehende Integration postkommunistischer Beitrittskandidaten – zusätzlich an politischer Sprengkraft gewonnen. Amerikanisch heißt heute global, heißt Sony, Nike, MacDonalds oder DKNY und wird nicht mehr mit den Kapitalismusschluchten New Yorks assoziiert, sondern meint die Expansion einer weltweiten Imageindustrie, deren mitunter vorkapitalistische Produktionsbedingungen in den Sweatshops der Entwicklungsländer durch die Arbeit am identitätsstiftenden Erscheinungsbild verschleiert wird. Die Emotionen dem Thema Shopping gegenüber sind auch deshalb stark, weil Einkaufen lange Zeit als Frauendomäne galt, während Männer sich auf das Platten- und Karl-Kraus-Erwerben beschränkten. »Es hat eine Art Tabubruch gegeben«, sagt Katharina Weingartner, eine der Kuratorinnen der Ausstellung, »denn ähnlich wie früher über Sex, spricht man heute über Shopping.«
Die wirklichkeitskonstituierende und -stabilisierende Technik des ortlosen Weltbezugs, der Warenauslage ebenso wie Massenmedien und Unterhaltungselektronik umfasst, ist nicht mehr eine ästhetisierende Lektüre von Stadt, wie sie dem Blick des Flaneurs zugrunde lag. Konsum ist die neue Kulturtechnik, die hedonistische Erfüllung ebenso verheißt wie ein – durch die Konsumforschung der Cultural Studies wissenschaftlich untermauertes – intellektuelles Navigieren durch die Komplexität postindustrieller Warenangebote. Shopping – als besondere Form des Konsums – meint, so die Kuratorinnen Anette Baldauf und Katharina Weingartner, eine »populäre alltagskulturelle Praxis, die heute nicht mehr notwendigerweise den Kauf eines bestimmten Produkts beinhaltet. Shopping ist ein Erlebnis für sich.« (Pressetext) »Shopping« folgt dabei jenem prozessualen Kulturverständnis, wie es Friedell gegen Kraus argumentierte: Keine zu analysierende oder zu kritisierende Objektwelt steht im Vordergrund, auch nicht die normierte Topografie der Stadtplaner, sondern ein dynamisches Ensemble kultureller Praktiken, dessen innerer Zusammenhalt erst erschlossen werden muss. Nicht mehr der ortsgebundene Flaneur ist das Subjekt der Wahrnehmung, sondern der »city walker«, der, nach Michel de Certeau, eine »räumliche Praktik« vollzieht. Dass dieser erweiterte Konsumbegriff selbst Teil der Vermarktungsstrategie der Konzerne ist und gleichzeitig zum kritischen Apparat der Kuratorinnen gehört – diese Ambivalenz kennzeichnet das ganze Ausstellungsprojekt. Eine Ambivalenz, die es in Kauf zu nehmen gilt: »Ermächtigung und Manipulation, Vergnügen und Ausbeutung, Selbstermächtigung und Ausschluss« lauten die doppeldeutigen Schlussfolgerungen der Auseinandersetzung.
Die Audiotour durch mehrere Einkaufsstraßen ist das zentrale Ausstellungsstück. Wer eine Eintrittskarte für den Besuch in der Generali Foundation löst, bekommt einen CD-Player. Mit einem Hinweis auf das Ausstellungsgebäude, eine alte Hutfabrik, die zum Kunst-Image-Labor des Versicherungskonzerns Generali umgebaut wurde, beginnt die Tour. Eine Wegroute durch das neue Galerienviertel an der Schleifmühlgasse (»Gentrification«) führt über den Naschmarkt (alte Warenwelt) auf Wiens meistbesuchte Einkaufsmeile, die Mariahilferstraße (postfordistisches Paradies). Die BesucherInnen werden, ähnlich wie in einem Museum, über Kopfhörer mit Informationen versorgt – mit kritischen Hinweisen etwa auf die schlechten Arbeitsbedingungen in den Nike-Fabriken, mit Bezugnahmen auf die Anti-Globalisierungsbewegung, aber immer wieder auch mit Statements von jungen Leuten, die die Einkaufsräume für ihre Freizeitgestaltung nutzen. Shopping habe auch ein emanzipatorisches Potenzial, das es erlaube, imaginäre Communities zu bilden, sich aus verkrusteten individuellen Lebenszusammenhängen herauszuheben, über Mode und Stil Geschlechtergefälle auszugleichen. Die »deregulierte«, simultane Stadtwahrnehmung des »city-walkers« wird durch didaktische Ortsbezüge gelenkt.
Grundlage des Ausstellungsprojekts ist eine kulturwissenschaftliche, soziologische Recherche, die die beiden Kuratorinnen zusammen mit der Filmwissenschaftlerin Alexandra Seibel und der Soziologin Heide Tebbich durchgeführt haben. Darin wird unter anderem der Frage nachgegangen, inwiefern Shopping nicht »schon längst zur Arbeit geworden ist, und sei es zu Arbeit an der eigenen Identität«. Die alte marxistische Teilung zwischen Produktions- und Reproduktionssphäre hat sich aufgelöst, die neue Selbst-Produktionssphäre galt es – mittels Interviews – zu erforschen. Themenkoppelungen wie Shopping und Kino (Seibel) oder Shopping und Musik (Weingartner) entsprechen der Multiplexarchitektur neuer Einkaufslandschaften, sogenannter Shopping-Entertainment-Center. Anhand zweier Straßen, dem unteren Broadway und der Mariahilferstraße, sollten die lokalen Differenzen globaler Entwicklungen herausgearbeitet werden. Die Resultate dieser wissenschaftlichen Arbeit, etwa die Tatsache, dass es in New York unter Teenagern individuelle Shopping-Leitbilder und unter gleichaltrigen Wienern kollektive gibt, fließen in die Audiotour ein. Lediglich ein kleiner Teil der von den beiden Fotografinnen Alice Arnold und Maria Ziegelböck für das Forschungsprojekt geknipsten Fotos sind in Wien – auf Ausstellungsplakaten – zu sehen.
Die Audiotour macht die Stadt zum offenen Ausstellungsgelände. »Beteiligen Sie sich an der Imagemaschinerie und geben Sie Ihr Statement ab«, heißt die Aufforderung aus dem Kopfhörer. Im Ausstellungsraum der Generali-Foundation kann das Statement vor laufender Kamera abgegeben werden. Ein einfaches Video-Schnittprogramm gibt einen Einblick in die billigen Reproduktionstechnologien. (Diese Medienstation hat eine Parallele im »wirklichen« Leben: Wer das Sony-Center in New York betritt, kann einfache Videos von sich drehen und erhält am Ausgang einen Ausdruck seines Porträts.) Der Reproduktionsraum soll so zum Produktionsraum werden – ein in den neo-konzeptionellen Ausstellungsprojekten seit Anfang der neunziger Jahre zum Standard gewordenes Partizipationsmodell. Die Grenze zwischen Kritik und Affirmation ist fließend: Der New Yorker Architekt Alan Bruton hat im Hauptraum ein Zelt gebaut, in dem die BesucherInnen mit Schablonen ironische Logos und Slogans auf Einkaufstaschen sprühen können. »Meine Kunden in New York sind die US-Army, die katholische Kirche und Versace«, beschreibt Bruton seinen nüchternen Zugang zum Branding-Gewerbe. »Obey! Do not question authority!« heißt es nicht minder sarkastisch im Filmausschnitt aus John Carpenters »They live«, der in der unübersichtlich bestückten Video-Lounge der Ausstellung gezeigt wird. In Carpenters Film aus dem Jahr 1988 sieht der Hauptdarsteller die Stadt in einen totalitären Konsumraum und den Konsumenten in einen willenlosen Vollstrecker von autoritären Marktbefehlen verwandelt. Zwei Dekaden nach der Konsuminnerlichkeit der siebziger Jahre gehört »die kritische Brille« gewissermaßen zur Grundausrüstung des Subjekts: »Auch die Generali-Foundation ist Teil der Identifikationsmaschine der Konzernwerbung«, sagt Alan Bruton.
Die aufgezählten Ausstellungsteile machten die Intention der beiden Kuratorinnen deutlich, mit pädagogischen Hilfsmitteln wissenschaftliche Erkenntnisse und Anleitungen zum Selbermachen zu vermitteln. Und die Kunst? Sie befindet sich auf einer von Sabine Breitwieser, Dorit Margreiter und Nadja Wiesener zusammengestellten Wand. In der Sektion »Browsing Art« wird den BesucherInnen in Form einer Collage aus zirka 80 Werken von 60 KünstlerInnen die Auseinandersetzung mit Konsumkultur in der künstlerischen Praxis verdeutlicht. Die Werke von Louise Lawler, Andy Warhol, Dan Graham oder Eva Bodnar, die in der Art einer Pinnwand sich kreuzende semantische Gruppierungen ermöglichen, sind nicht durchwegs Originale. Manchmal sind es auch nur Kopien oder Abbildungen von Werken; Videos durchbrechen in Schaufenstermanier das statische Display. »Wie beim Shoppen schauten wir uns um: Was gibt’s zum Thema in der Kunst? Was kann man sich leisten?«, sagt Margreiter. Ob intendiert oder nicht – dieser kuratorische Zugang zeichnet implizit ein Selbstporträt der Generali-Sammlung.
In diesem Raum wird deutlich, was das Verhältnis von Kunst und Konsum für die Wertmaßstäbe des musealen Sammelns bedeutet: Das Kunstwerk bedarf einer zusätzlichen Legitimierung, nicht über Kunstgeschichte, Konservierung oder die Institution, sondern über komplexe Alltagstechniken wie – eben – Shopping. Ob die Kulturtechnik Shopping allerdings einer musealen Transzendierung bedarf, diese – für das Selbstverständnis heutiger Museen zentrale – Frage bleibt offen. Da hilft kein Jammern: Die »hohen« Kulturtechniken geraten gegenüber der »Alltagszivilisation« ins Hintertreffen; jene befindet sich – gerade noch – in Sichtweite. Die zunehmende Dominanz thematischer Ausstellungen – kritischer oder affirmativer, Guggenheim oder Generali, »Armani« oder »Shopping« – stellt das museale Konsumangebot in ein saumloses Kontinuum: Was kann mir die Foundation bieten, was ich im Einkaufszentrum Generali-Center auf der Mariahilferstraße nicht auch sehen kann?


 

   

 

 

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