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Ikea: Du, Billy und die Kunst

26.03.2010 | 15:44 | von Johanna Hofleitner (Die Presse - Schaufenster)

In Kürze erklärt eine Schau in Wien das "Phänomen ikea". Wir haben im Vorfeld Künstler besucht, die Billy, Ivar, Lack und Konsorten in ihre Arbeit miteinbeziehen.

Spätestens dann, wenn es ums Wohnen und Einrichten geht, fängt Ikea an, in der Biografie eine Rolle zu spielen. Dann bleibt immer noch offen, ob sich der Betreffende später auf die Seite der Ikea-Fans oder -Gegner schlägt. Interessant wäre demzufolge auch eine Statistik, wie viele Menschen in den 36 Ländern, in denen Ikea seine 285 Filialen positioniert hat, mit dem schwedischen Einrichter noch nie in Berührung gekommen sind? Denn das „Phänomen Ikea“ rührt nicht nur an allgemeine Fragen des Geschmacks und der Ökonomie, sondern ist zumindest, seit das Regal Billy vor drei Jahrzehnten seinen globalisierten Siegeszug angetreten hat, auch ein Kulturphänomen.

Ein Kulturphänomen, um das auch die zeitgenössische Kunst nicht herumkommt – in doppelter Weise, als künstlerische Herausforderung, auf die es im Idealfall mit mehr als Design-Kunst zu reagieren gilt, und als eigene Erfahrung. Denn mehr noch als Marken-Ikonen wie Coca-Cola oder Levi Strauss, die für ein bestimmtes Produkt stehen, hat Ikea den Alltag und Lebensstil in vielen Ländern der nördlichen Hemisphäre sowohl innerhalb wie auch außerhalb der eigenen vier Wände durchdrungen.

Das bestätigt auch Heimo Zobernig, zweifacher documenta-Teilnehmer, nunmehr Bildhauerei-Professor an der Akademie der bildenden Künste. Jetzt steht er mitten in seinem Atelier, umgeben von Bildern und Skulpturen, die, aus einfachsten Materialien gefertigt, kühl-analytisch auf neuralgische Punkte der Kultur verweisen und von denen einige an Bücherregale erinnern. Zwar sind sie bald durch Pressspanplatten verdoppelt oder anderweitig verändert, doch unverhohlen ist als Grundkörper Ikeas „Billy-Regal“ zu erkennen. „Das Regal beschäftigt mich neben anderen Fragen seit 20 Jahren“, sagt Zobernig. „Mein erstes habe ich 1990 für die Galerie Pakesch als Bestandteil einer Messestandeinrichtung gezimmert. 1991 habe ich das Thema dann in einer Ausstellung in New York in verschiedenen Maßverhältnissen durchgezogen.“ Irgendwann begann Zobernig neben Pressspan auch mit fertigen Billy-Elementen zu arbeiten.

Grundstruktur der Moderne. „Natürlich“, sagt er, „steckt darin mein Interesse für minimale Vorlagen, in denen sich das Raster als Grundstruktur der Moderne spiegelt. So spiegelt sich in einem Billy-Regal auch das Formenrepertoire von Donald Judd, in einer Ikea-Küche das von Sol Lewitt.“ Aber ebenso spielt die eigene Erfahrung mit: Etwa der Umstand, dass er 1977 im selben Jahr nach Wien kam wie Ikea. „In der WG hat man sich davon inspirieren lassen und Probemöbel gezimmert für den Wohnstil, in dem man sich später einrichten wollte. Das war eine Parallelaktion zu Ikea – aber im Grunde zugleich auch ungeheuer bürgerlich!“ 

Minimalistische Tische. Auf „Billy“ und „Lack“ – die zwei beliebtesten Möbelstücke von Ikea – griff auch Flora Neuwirth für eine Reihe von Objekten zurück, in denen sie das Formen-Repertoire der Moderne durchexerziert, zugleich aber die Grundfarben des Digitaldrucks – Zyan, Magenta, Yellow und Pantonegrün – als eigenes Schema darüberlegt. So bildeten für ihre erste große Skulptur fünf Billy-Regale, frei im Raum stehend, zusammengeschraubt und gelb lackiert, die Grundlage für eine ironische Hommage an Donald Judd. Ähnlich ging sie bei der Arbeit „Beistelltische/Lack“ aus 2001 vor, einem minimalistisch anmutenden Ensemble aus 22 Tischen, deren Oberflächen sie in Gelb, Magenta und deren Mischtönen färbte. Dass dabei High und Low, Konzept und Kommerz in eins fallen, ist strikte Absicht. „Ich arbeite gern mit Readymades und sehe mich nicht als Schöpferin, die die Dinge neu erschaffen muss. Diese Tische sind für mich sehr skulptural, sie erinnern mich an die minimalistischen Formen von Sol Lewitt. Indem ich solche Dinge integriere und ihnen mein System überstülpe, ist meine Arbeit auch ein übertriebener Kommentar auf die Klassische Moderne“, sagt Neuwirth.

Neben dem Kultcharakter von Ikea-Objekten – den etwa der US-Amerikaner Joe Scanlan aufs Korn nimmt, indem er „Billy“ zum kostengünstigen Do-it-yourself-Sarg samt Anleitung umfunktionierte, oder den der Deutsche Thomas Schütte persifliert, wenn er Stuhlelemente, Boxen und anderen Bestandteile zu Skulpturen verbaut – provozieren auch das vom schwedischen Giganten repräsentierte Lebensgefühl, seine Ökonomie und sein Wertesystem zahlreiche künstlerische Arbeiten. So hat etwa 2007 der israelische Künstler Guy Ben-Ner das von Ikea verkaufte Lebensgefühl auf die Probe gestellt, indem er sich für eine Video-Arbeit mit seiner Familie in Ikea-Filialen einquartierte und dort bis zum Hinauswurf Eigentumsverhältnisse, familiäre Werte und Fragen territorialer Inbesitznahme diskutierte. Schon ein Klassiker ist die Installation der New Yorker Künstlerin Barbara Bloom im MAK. Sie hatte im Schauraum „Historismus Jugendstil“ 40 von Thonet und Kohn produzierte Bugholz-Klassiker von Loos, Hoffmann, Frank u.a. wie im Möbelhaus aufgestellt. Eine Anspielung auf das von Thonet entwickelte und von Ikea perfektionierte Konzept des in sämtliche Einzelteile zerlegbaren und verschiffbaren Möbels.

Umtauschgarantie. Die ökonomischen und psychologischen Strategien des Unternehmens hat schließlich Christian Mayer subversiv durchleuchtet, indem er sich für eine Reihe von Interventionen die Umtauschgarantie zunutze gemacht, auf Messen und in Offspaces unausgepackte Möbelstücke zu temporären Skulpturen arrangiert und nach Beendigung der Ausstellung wieder retourniert hat. So ästhetisch Mayers Arbeiten auch daherkommen, mit Kritik hält er nicht hinter dem Berg: „Ikea verkörpert das Phänomen eines nivellierten zeitgenössischen Einrichtungsgeschmacks auf der Grundlage eines globalisierten Firmenkonzeptes. Durch das überall fast gleiche Erscheinungsbild der Märkte wird der Kunde zum Teil der globalisierten Ikea-Familie. Durch das Selbstbauprinzip wird er überdies Teil des Produktionsprozesses, ohne es zu merken.“ Als Ikea-Hasser versteht er sich dennoch nicht. „Ich sehe diese Abläufe kritisch und versuche das zu thematisieren. Doch letztlich stecke auch ich als Teil davon mittendrin.“


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