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15.05.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung
Kritik Ausstellung: Schickes Schnittmuster
Der anglo-afrikanische Künstler Yinka Shonibare lässt in der Wiener Kunsthalle auf einer Flaniermeile der Stereotypen schlendern.

Es ist wohl nicht unbedingt der richtige Zeitpunkt, um kopflose Menschen auszustellen. Seien es Schaufensterpuppen, sei es Kunst, sei es in ganz anderem Zusammenhang. Der "Kampf der Bilder" hat Yinka Shonibare und seine Ausstellung, die nach dem Boijmans Van Beuningen Museum in Rotterdam jetzt in der Wiener Kunsthalle untergebracht ist, einfach überrumpelt. Während man sich über Kolonialismus, Identitäten und das Selbstverständnis des modernen Afrikas Gedanken machen sollte, wirken die bunten Installationen vor dem Geschehen im Irak ziemlich schal, ohne Brisanz.

Rein optisch ist die Inszenierung allerdings reizvoll: In historisierenden Kostümen aus üppig bedruckten Ethno-Stoffen betreibt in der Halle 1 eine exaltierte Truppe ein hochstilisiertes Unwesen. Geziert führt eine Dame drei Ozelote mit Diamant-Halsbändern spazieren. Ein graziles Figürchen - man kennt es aus Fragonards Rokoko-Ikone "Die Schaukel" - wirbelt ihr Füßchen durch die Lüfte, dass der Pantoffel fliegt. Unter einer von der Decke hängenden Postkutsche versinken fünf Paare in den verschiedensten Stellungen ineinander. Dahinter schweben zwei Astronauten an der Nabelschnur ihrer Raumkapsel durch die Halle. Drei Kinder scheinen mitten im "Himmel-Hölle"-Hüpfen erstarrt und ausgestopft worden zu sein. Ein schräges Völkerkundemuseum? Ein Ethno-Wachsfigurenkabinett?

Seit den 90ern sind die als traditionell afrikanisch wahrgenommenen Wachsdruck-Stoffe das Markenzeichen von Shonibares künstlerischer Taktik. Doch der seit der Kolonialzeit beliebte Mustermix, der in den afrikanischen Ländern fast Nationaltracht-Charakter besitzt, wird aus Holland und England importiert. Eine eingekaufte, vorproduzierte Identität also? Shonibare schneidert die Kleider nach viktorianischen Schnittmustern, die Kulturen und ihre Geschichte verschwimmen.

Ein hübsches Spiel mit Irritationen, "found footage", Material für jeden engagierten Geschichtslehrer. Als Illustration zum politisch korrekten Referat empfehlen sich die zwei älteren Fotoserien des Documenta-11-Stars, der anscheinend wie Kunsthallen-Direktor Gerald Matt in Dandy-Nostalgie frönt. Einmal inszeniert er sich als Dorian Gray, das andere Mal gibt er den lüstern umworbenen Playboy in der Kulisse eines britischen Kostümfilms. Und - Achtung: Kolonialkritik! - er ist der einzige Schwarze in dieser degenerierten viktorianischen High Society, eine Art gelangweilter Rapper unter hysterischen höheren Töchtern und Söhnen sozusagen - und das kann wohl auch nur, wie im MTV-Videoclip, in einer gepflegten Orgie enden.

Also konsumieren wir diese kritisch gemeinte, hyper-schicke Stereotypen-Flaniermeile, schlendern weiter, lassen sie zurück, und eigentlich wäre auch fast nichts geblieben, wenn die Köpfe nicht gefehlt hätten.

Bis 5. September. Täglich außer Mittwoch 10-19 Uhr, Do. 10-22 Uhr.

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