Das neue Bawag Contemporary eröffnet am
Franz-Josefs-Kai mit sportlicher Optik
Golf-Gemetzel zum Auftakt
|
Destroy! Der US-Künstler Mike Bouchet bei der Arbeit im neuen Bawag
Contemporary. Selbiger Aggressionsabbau ist hier in der nächsten Zeit
auch dem Publikum gestattet. Foto: O. O.
|
Von Christoph
Irrgeher
![Aufzählung Aufzählung](00089060-Dateien/wzfeld.gif)
Exzellente
Golfer findet man, so heißt es, in der Ärzteschaft. Künstler dagegen
scheinen sich eher weniger darauf zu verstehen. So hat Mike Bochet zwar
diverse Eisen angepackt. Doch nicht, dass der US-Künstler damit
einlocht. Er dellt ein. Und zwar eine Wand im neuen Bawag Contemporary.
Zig Mulden zieren die Gipsfläche am neuen Standort der
Ausstellungshalle: "Golf-Painting" nennt man dies ernst. Und wäre die
Raumpflegerin nicht am Morgen putzend eingeschritten, wäre auch der
Gipsstaub dieser Installation noch zu beäugen – Beuys’ Fettecke lässt
grüßen.
Zu bewundern sind nun freilich erst einmal die Räumlichkeiten. Zwei
Jahre hat die Bawag Foundation gemeinsam mit der Generali Foundation an
der Wiedner Hauptstraße zugebracht, zudem 2009 in Mariahilf das Bawag
Contemporary etabliert. Diesen Namen trägt ab nun die neue und einzige
Ausstellungshalle der Bank am Franz-Josefs-Kai 3: Im Sechswochen-Takt
präsentieren sich hier bei freiem Eintritt zeitgenössische Künstler,
nicht zuletzt österreichische. Und das in wuchtigem Ambiente: Wo einst
ein Labyrinth von Privatwohnungen und Geschäftsräumen verlief, prangen
dank den Architekten von "propeller z" nun großzügige, lichtdurchflutete
Räume. Hoch genug, dass Bouchet wohl sogar einen kleinen Sessellift
aufstellen könnte.
Hau das dicke Ding
Bouchets Gipsstaub jedenfalls könnte nun der Besucher ersetzen. Denn
der Amerikaner ermutigt jedermann zur Golf-Katharsis. Wer also unter
poetisch verkrümmten Schlägern noch intakte Exemplare aufspürt, mag
hemmungslos die Wand anvisieren – oder direkt mit dem Schläger das dicke
Ding in der Raummitte tögeln. Das hat zwar Rundungen wie die Venus von
Willendorf, sei aber ein androgynes Etwas, beschwichtigt Bouchet auf
feministische Anfrage. Wie ein träger Zuschauer lümmelt die Eichenfigur
in der Raummitte. "Es gibt kein Mitleid für androgyne Figuren", heißt es
bitter-ironisch auf einer der Kritzeleien an der Wand, die
Handlungsanweisungen bergen.
Kontemplation und Aggression: Um diese Themen kreist der
Indoor-Golf-Parcours von Bouchet, dessen Werkschau auch den passenden
Titel "Retreat" (Rückzug) trägt. Ganz allgemein wäre dieser Mann ja als
künstlerischer Lebensstilforscher zu bezeichnen. Nicht ganz neu, aber
heiter: Bouchet verfremdet das Alltägliche – und reizt zur Reaktion. Wie
im Vorjahr auf der Biennale von Venedig, als er ein Einfamilienhaus auf
dem Wasser platzierte, um neue Wohnformen zu erproben. Dass das Gebäude
bald absoff, bereitete Bouchet kein Kopfzerbrechen. Er schaltete eine
Annonce, um das Objekt "mit leichten Wasserschäden" zu verkaufen.
Völlig trocken sind im Bawag Contemporary dagegen zwei Jacuzzis –
zwei Papp-Nachbauten jenes US-Luxussymbols, das Bouchet schon vor Jahren
zur Skulptur geadelt hat. Mit Pop-Art-Impetus hat er auch die
Poster-Posen aktueller US-Sexbomben abgepinselt. Für Bouchet von
Relevanz: Wie sich Prestige auf diesen Bildern sowohl im Kokettieren mit
Noblesse wie mit Porno-Chic niederschlägt.
Wer dagegen die Niederungen der Esskultur erforschen will, muss ins
Untergeschoß: Feierlich gestapelt stehen hier rund 10.000 goldglänzende
Dosen. Sieht aus wie in Fort Knox, würde ohne Verpackung aber unnobel
riechen: Darin schlummern nämlich Hamburger inklusive Senf und Ketchup,
die der Künstler ersann – und die mittlerweile abgelaufen sind und, so
heißt es, irgendwann explodieren könnten.
Und? Schließlich wollten die Architekten ja einen "neutralen,
nutzbaren und vielleicht auch zerstörbaren Raum" schaffen.
Ausstellung
Retreat
Bawag Contemporary
bis 30. Juni
Printausgabe vom Freitag, 07. Mai 2010
Online
seit: Donnerstag, 06. Mai 2010 18:08:15
Kommentar senden:
* Kommentare werden nicht automatisch
veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Regeln.
Die Redaktion behält sich vor Kommentare
abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als
Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die
Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese
Adresse wird online nicht veröffentlicht.