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Performance: Kopf gegen Stahl

16.01.2010 | 18:33 | von Edith Schlocker (Die Presse)

Staatsgewalt verhinderte Wolfgang Flatz' blutige Performance "Schuldig – nicht schuldig" in Rom. Jetzt holte er sie im Kunstraum Innsbruck nach.

Der Ausgang der Performance war offen. „Schluss wird dann sein, wenn entweder ich in die Knie gehe oder der Letzte aus dem Publikum den Raum verlassen hat“, so Flatz im Vorfeld. Doch zurück zum Anfang: Eine schwarze Linie läuft im Abstand von 70Zentimetern von der Wand rund um den Kunstraum. In jeder Ecke hängt eine mannsgroße Stahlplatte von der Decke. Im Zentrum des Raums nimmt Flatz Platz, ein Friseur rasiert ihm Haupt- und Barthaar. Anschließend wird er gegen eine Wand gestellt und von einer Frau entkleidet. Mit einem Klaps wird der Nackte, dessen Hände nun am Rücken gefesselt sind, in sein Gefangensein entlassen.

Flatz beginnt, seine Runden zu drehen und seine Stirn gegen die Stahlplatten zu schlagen, wobei er abwechselnd „schuldig“ bzw. „nicht schuldig“ sagt. Die Spuren dieses Tuns werden auf Stirn wie Stahl Runde für Runde blutiger. Ein Besucher ruft „Aufhören!“, zwei fassen Flatz an den Armen, schleppen ihn ins Innere des Raums und rufen: „Nicht schuldig!“ Andere wieder blockieren die Stahlplatten. Eine Frau sammelt die Haare des Künstlers ein und birgt sie wie eine Kostbarkeit in ihrer Tasche.

Doch bald mutiert das durch Lautsprecher verstärkte Knallen des Kopfes zur Geräuschkulisse, der Voyeurismus des Publikums ist bedient. Fast so etwas wie Partystimmung kommt auf, bis ein Rot-Kreuz-Mann auftaucht und wieder abzieht. Wenig später kommen drei Polizeibeamte, diskutieren mit Kunstraum-Chef Stefan Bidner und gehen wieder, genauso wie zwei Uniformierte der städtischen Sicherheitstruppe. Knapp zweieinhalb Stunden dauert das Spektakel. „Sieger“ wird Flatz, allerdings nur nach Punkten. Durch den Appell Bidners an das Publikum, den Raum zu verlassen.

In Rom von Polizei abgeführt. Die Performance in Innsbruck aufzuführen war nur zweite Wahl. Eigentlich war sie als Abschluss von Flatz' Beitrag zu der von Christoph Bertsch kuratierten Ausstellung „Cella“ vorigen November in einem ehemaligen römischen Gefängnis gedacht. 38 Künstler machten sich hier Gedanken zum Thema Überwachung, Ein-, Ausgrenzung. Flatz nahm das Thema wörtlich und quartierte sich in seiner Zelle ein. Was verboten war, weshalb der widerständige Künstler von vier Carabinieri abgeführt und die gesamte Ausstellung eine Woche vor ihrem regulären Ende geschlossen wurde.

Die Idee zur Performance, in der es um reale Mauern wie solche im Kopf geht, kam Flatz in den langen Nächten, in denen er durch die Gänge des alten Gefängnisses wanderte. Zur Gewalt habe er ein Naheverhältnis, nicht nur wegen seiner von Zuckerbrot und Peitsche geprägten Kindheit, erzählt er, er folge auch ganz Karl Marx: „Kunst ist nicht der Spiegel, den man der Gesellschaft vorhält, sondern der Hammer, mit dem man sie gestaltet.“ So spektakulär seine Auftritte auch sind, um das Spektakel an sich gehe es ihm nie, beteuert er. „Es geht immer um die Form.“

Dass die Performance statt in Rom im Kunstraum Innsbruck aufgeführt wird, war Flatz klar. Hat dieser für den umtriebigen Vorarlberger in der Kunstwelt doch einen exzellenten Ruf. Hier fanden die ersten Österreich-Personalen deutscher Stars wie Tobias Rehberger und Carsten Nicolai statt, hier zeigte Christoph Schlingensief eine seiner Schlüsselarbeiten, schufen Künstler wie Jonathan Meese oder Franz West speziell zugeschnittene Arbeiten. Was die lokale Politik wenig anerkennt. Über der Zukunft des seit fünf Jahren von Stefan Bidner geleiteten Ortes aktueller Kunst schwebt ein großes Fragezeichen.

Das Budget schrumpft jährlich, beträgt derzeit 180.000€. Theoretisch. Denn die Stadt Innsbruck als mit 104.000€ größter Subventionsgeber hat die Mittel für 2010 auf Eis gelegt. Offiziell, bis geklärt ist, wie es mit dem Kunstraum weitergehen soll, hat Bidner doch von einer großen Wiener Institution ein Jobangebot. Vor seinem Abgang aber will er die Zukunft des Kunstraums geklärt wissen. Sollte das Einfrieren der Gelder an seiner Person liegen, „bin ich schon morgen weg“, so Bidner. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Chemie zwischen ihm und Innsbrucks Bürgermeisterin Hilde Zach nicht stimmt.

Bidner ist einer, der offen ausspricht, was viele nur denken. Etwa den Mangel kulturpolitischer Visionen bei Stadt und Land, das Fehlen eines seit Jahren diskutierten Museums für moderne Kunst, bis zu dessen Realisierung der Kunstraum 1996 als Übergangslösung installiert worden ist. Doch seit dem Bau des für die Pflege der Traditionskultur gewidmeten Bergiselmuseums ist dieser Plan wohl für Jahrzehnte vertagt. „Tirol ist das Schlusslicht im Bereich zeitgenössischer Kunst, und das ist blamabel“, sagt Bidner. Ob er nach Wien geht oder nicht: Das Programm für das heurige Jahr jedenfalls steht. Kommende Woche ist ein klärendes Gespräch des Kunstraum-Vorstands mit der Bürgermeisterin angesetzt.


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