Schulterzucken zu Nitsch
Tief schlafen die Prinzendorfer Hähne. Wenn
sie doch einmal erwachen und ihren Ruf erschallen lassen, ist eines
gewiss: Nach Hermann Nitsch krähen sie nicht mehr. Die Zeit der
gesamtkunstwerkelnden Priester-Künstler ist vorbei. Selbst ein
inkommensurables Genie wie Richard Wagner wird der Weihe entkleidet.
Nur mit dem Unterschied, dass Wagners Werk das spielend aushält.
Und Nitsch? Die Ausstellung im Künstlerhaus, gedacht als Salut zum
70. Geburtstag des Tierblutschütters, ist ein Danaergeschenk. Der
Versuch, Nitsch in der Kunstgeschichte zu verankern, schlägt fehl.
Nahezu alle mit Nitsch in Beziehung gebrachten Künstler sind
maltechnisch überlegen und haben Wege gefunden, die Selbstkopie zu
vermeiden. Zahlreiche Schüler Nitschs wiederum sind Kopien Nitschs und
weisen ihren Meister als schwachen Lehrer aus. Denn der gute Lehrer
fördert das individuelle Talent, nicht die Nachahmung seiner eigenen
Ideen.
Bleibt der Orgientheatermysteriker Nitsch – oder vielmehr: Auch er
bleibt nicht. Was Nitsch szenisch treibt, hat das Regietheater etwa
eines Calixto Bieito oder Tilman Knabe längst übertroffen, weil es eben
nicht nur aus dem Bauch heraus geschieht, sondern werkinterpretatorisch
vorgeht. Kann man mögen oder nicht – ist aber mit Sicherheit spannender
als die x-te Neuauflage eines Blut-und-Boden-Megaschlachtfestes à la
Nitsch. Und das Nitsch’sche Orgiasteln hat seinerzeit zweifellos ein
gewisser Varius Avitus Bassianus, der sich Marcus Aurelius Antoninus
nannte und als Elagabal in die Geschichte einging, übertroffen.
Nitsch hängt jetzt in Museen, er bekommt sogar eigene Museen wie
etwa das weitgehend besucherfreie in Mistelbach, er wird geehrt. Nitsch
ist zum Staatskünstler durch und durch geworden.
Es gibt nichts Langweiligeres als Kunst, die nicht kämpfen muss und
die nicht umkämpft ist. Die schulterzuckende Zustimmung zu Nitsch ist
ein erstes ernstes Zeichen für das vernichtende Urteil, das die
Kunstgeschichte sprechen wird. In sie mag Nitsch vielleicht als
schrulliges Original in einer Fußnote eingehen. Ob auch als epochaler
Künstler, wage ich zu bezweifeln.
Printausgabe vom Samstag, 27. Juni 2009
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