Die Schirn Kunsthalle Frankfurt steht seit Oktober 2001 unter der künstlerischen und kaufmännischen Leitung von Max Hollein. Nach dem Abschluss der Studien Betriebswirtschaft und Kunstgeschichte in Wien erfolgte der Umzug nach New York, wo er als Projektleiter für Ausstellungen am Solomon R. Guggenheim Museum New York arbeitete. Von 1996 bis Ende 2000 folgte eine enge Zusammenarbeit mit Guggenheim-Direktor Thomas Krens. Der 1969 in Wien geborene Max Hollein war Kommissär und Kurator des amerikanischen Pavillons bei der VII. Architekturbiennale in Venedig im Jahr 2000 und ist unter anderem Kommissär des österrei- chischen Pavillons bei der kom- menden Kunstbiennale in Venedig 2005 sowie Kurator des Salzburger "kontra.com Avantgarde-Festival" anlässlich des Mozart-Jahres 2006. Sein Buch "Zeitgenössische Kunst und der Kunstmarktboom" erschien im Jahr 1999.
STANDARD: Wie sieht für Sie ein ideales Museum aus?
Hollein:
Das ideale Museum ist eines, das von seiner Raumstruktur her wie eine Matrix
funktioniert. Eines, in dem man es schafft, eine Geschichte gleichzeitig auf
unterschiedliche Weisen zu erzählen, und das sich nicht in der Darstellung einer
rein kunsthistorischen Entwicklung erschöpft. Für mich ist das Museum keine
Aneinanderreihung von Räumen, kein Labyrinth mit Ein- und Ausgang. Ich glaube
jedoch auch, dass die Zeiten einer sehr extrovertierten Architektur wie zum
Beispiel des Guggenheim Museums in Bilbao passé sind. Diese Formensprache hat
sich in gewisser Weise erschöpft. Die Erweiterung des MoMA in New York hingegen
folgt einer ganz anderen Konzeption. Als die Entscheidung für den Bau von Yoshio
Taniguchi Ende der 1990er-Jahre in New York gefällt wurde, habe ich noch den
Kopf darüber geschüttelt. Ich habe mich gefragt, warum wählen sie einen so
konservativen Ansatz? Jetzt denke ich, dass es ein Schritt in die richtige
Richtung war.
STANDARD: Wie sieht denn die ideale Wohnung für den privaten Hollein aus?
Hollein: Wir wohnen in Frankfurt in einem Altbau mit hohen Decken
und fühlen uns darin sehr wohl. Diese Vorgabe ist natürlich auch von Wien
geprägt.
STANDARD: In der "Bel Etage".
Hollein: Wenn man so will. Unser
größtes Problem war die in Deutschland omnipräsente Raufasertapete. Die haben
wir entfernt, und jetzt haben wir glücklicherweise wieder weiß verputzte Wände.
STANDARD: Was hat sich noch verändert?
Hollein: Wir haben
mittlerweile drei Kinder, und da können Sie sich ja vorstellen, was ich meine.
Die Wohnung ist übersät mit allen möglichen Kleinfahrzeugen und ähnlich
dekorativen Dingen. Der minimalistischen Kargheit, die sie am Anfang hatte, wird
jetzt anarchistisch entgegengearbeitet.
STANDARD: Was wäre denn für ein Paar mit drei Kindern eine ideale Wohnung?
Das kann ja nicht einfach nur ein Zimmer mehr sein?
Hollein: Ich
denke, wenn sie Kinder haben, ist es nicht ideal im Loft zu wohnen. Da bedarf es
schon einer Raumstruktur, die Rückzugsgebiete zulässt. Auch visueller Art. Eine
Raumunterteilung mit Bereichen, die von den Kindern mit bewohnt werden, aber
auch mit Räumen, die neutral gehalten sind.
STANDARD: Gibt es denn den Traum von dem Haus im Grünen?
Hollein: Noch nicht. Aber ich fürchte, er könnte kommen. Ich
werde immer sesshafter und familiärer.
STANDARD: Darf man passend zum Sofa ein Bild kaufen? Oder ist das Frevel?
Hollein: Damit hätte ich persönlich Probleme, weil ich Kunst
nicht als Dekoration betrachte. Wenn man allerdings eine Arbeit kauft, weil sie
einen sehr interessiert, dann hat man ja bereits meist einen Ort dafür im Auge.
In diesem Fall kann dieser Ort auch über dem Sofa sein. Aber das Kriterium, zum
grünen Sofa die grüne Arbeit, ist natürlich vollkommen falsch.
STANDARD: Und was denken Sie über Sammler, die in Kunst ersticken, aber nicht
einmal einen gescheiten Tisch haben?
Hollein: Man muss
akzeptieren, dass Kunst in der Wohnung die Funktion eines "Möbelstücks"
übernimmt. Das heißt, die Kunst ist Teil eines Gesamtensembles, und als Sammler
steht man immer wieder vor der Realität, dass die Wohnung zu klein für die
Kunstwerke ist. Es gibt Wohnungen, in denen die Bilder in Fünferreihen
übereinander hängen. Das ist sicher nicht die ideale Art der Präsentation. Aber
jeder muss selbst entscheiden, wie er seine Passion für die Kunst in sein
räumliches Umfeld einfügt.
STANDARD: Wie vermitteln Sie Ihrer Frau eine Neuerwerbung? Wird das gemeinsam
entschieden, oder "überraschen" Sie sie?
Hollein: Ich bin ja kein
Sammler in dem Sinne. Die Werke in unserer Wohnung sind von Künstlern, mit denen
wir uns beide schon lange auseinander gesetzt haben. Da geht es um
Entscheidungen, die aus einem Fluss heraus getroffen werden und bei denen jeder
von uns sehr überzeugt ist von dem Werk, das er mit nach Hause bringt. Der
andere muss damit gut leben können. Aber unsere Wohnung ist keine, die extrem
von Kunst geprägt ist.
STANDARD: Das würde man bei einem Kunsthallendirektor aber erwarten. Woran
liegt die "Abstinenz"?
Hollein: Ich bin im alltäglichen Leben von
Kunst umgeben.
STANDARD: Sie haben zu Hause Kunst von Carsten Nicolai hängen, den Sie auch
in der Schirn zeigen. Können Sie seine Arbeit in drei Sätzen erklären?
Hollein: Nicolai ist jemand, der organische Strukturen,
Naturphänomene, Systeme, die wir in unserer Umgebung wiederfinden, in visuelle
und auditive Signale umsetzt. Er ist jemand, der uns zeigt, dass auch im größten
Chaos unter der Oberfläche immer Struktur und Ordnung herrschen. Insofern ist er
ein Künstler, der in den Grenzbereichen zwischen bildender Kunst, Wissenschaft
und Physik arbeitet.
STANDARD: Ist es ein Luxus, dass Sie jemanden, den Sie auch privat sehr
schätzen, in der Schirn ausstellen können?
Hollein: Es gibt
Künstler, an deren Werk ich sehr glaube und das ich auch privat um mich haben
möchte. Im Fall von Carsten Nicolai ist die große Einzelpräsentation, die wir
jetzt zeigen, jedoch auch eine logische Weiterführung der Ausstellung
"Frequenzen [Hz] - Audiovisuelle Räume", mit der wir das Programm in der Schirn
vor mittlerweile drei Jahren eröffnet haben. In ihr haben sich Künstler wie
Carsten Nicolai, Angela Bulloch, Franz Pomassl, Farmersmanual, Ryoji Ikeda,
Ultra-red und andere mit den Phänomenen Klang und Raum auseinander gesetzt.
STANDARD: Im Programm der Schirn spielt Architektur immer wieder eine Rolle.
Als Sohn eines Architekten: Gehen Sie anders ran als "Laien"?
Hollein: Die Ausstellung "Visionen und Utopien -
Architekturzeichnungen aus dem Museum of Modern Art, New York" war mir sehr
wichtig, weil ich zeigen wollte, dass Architekturzeichnungen eine eigene Gattung
sind und dass man die Arbeiten einmal außerhalb eines architektonischen
Kontextes betrachten sollte, als eigene Kunstwerke von hervorragender Qualität.
Zu einer unserer ersten Veranstaltung habe ich Rem Koolhaas eingeladen. Daniel
Libeskind hat einen Essay für den Katalog der Arnold-Schönberg-Ausstellung
geschrieben, Ben van Berkel und Asymptote haben Architekturen für unsere
Ausstellungen entworfen. Mich interessieren Architekten aufgrund ihrer starken
analytischen Fähigkeiten. Natürlich hat das Interesse damit zu tun, dass ich
damit aufgewachsen bin. Wobei ich eher in der Generation nach meinem Vater
verhaftet bin. Vor vier Jahren habe ich bei der Architekturbiennale in Venedig
den amerikanische Pavillon kuratiert. Mit Greg Lynn und Hani Rashid und deren
Studenten. Mir war es immer wichtig, die Architekturrezeption aus ihrem engen
Kontext zu befreien. Kunst kann sich heute in verschiedenen Gattungen und Medien
abspielen, sei es Design, Performance, Video etc.
STANDARD: Hat Beuys endgültig Recht mit dem Statement "Jeder ist ein
Künstler"?
Hollein: Beuys hat die Grenzen ja noch wesentlich
weiter aufgebrochen, nicht nur innerhalb der Kunstgattungen, sondern er hat eine
völlig neue Kategorie von Kunst eingeführt, die ins Politische, Wirtschaftliche
und Soziale reicht. Das Bild an der Wand ist nur mehr selten das Endresultat
eines künstlerischen Schaffensprozesses.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe,
11.2.2005)