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Jan Fabre: "Sehen Sie? Die Handgelenke tanzen!"

03.05.2011 | 18:04 | BETTINA STEINER (Die Presse)

Der Allround-Künstler Jan Fabre konfrontiert die Alten Meister im KHM mit Kugelschreiberzeichnungen. Mit der "Presse" sprach er über seinen Urgroßvater, über Rubens, Warhol und die Ehrlichkeit der Zeichnung.

Es sind wundersam fragile Werke: ein winzig kleiner, hellgelber Schmetterling etwa, ganz verloren auf dunkelblauem Grund. Oder zwei Käfer, die aufeinander zuzukrabbeln scheinen. „Ich habe mich als Kind sehr für Käfer interessiert“, erklärt Jan Fabre, der nach dem Königlichen Museum der Schönen Künste in Antwerpen (2006) und dem Pariser Louvre (2008) seit heute das Wiener Kunsthistorische Museum mit seinen Arbeiten bespielt: „Mir ging es darum, wie sich Käfer fortbewegten, um diese Mechanik des Lebens. Irgendwann hat mein Vater gemeint: Aber du hast doch einen Verwandten, der Insekten erforscht hat! Und er hat mir seine Bücher gegeben.“

Urenkel eines Insektenforschers

Urgroßvater Jean-Henri Fabre war Biologe, hat rund ein Dutzend wissenschaftlicher Werke über Insekten publiziert – und seine Studienobjekte in der damals üblichen präzisen Manier der Naturforscher gezeichnet. Eine Fragilität, die sich jetzt zum Teil in den im KHM gezeigten großformatigen Werken seines Urenkels wiederfindet. Und nicht nur das – auch der Titel des weitgehend zwischen 1986 und 1992 entstandenen Zyklus „Die Blaue Stunde“ verdankt sich dem Biologen: „Er hat die blaue Stunde beschrieben, als jene seltsam stumme Zeit, da die Tiere der Nacht sich zur Ruhe begeben und die Tiere des Tages noch nicht erwacht sind.“

Ein Zwischenreich, das Jan Fabre, der 1958 in Antwerpen geborene Schriftsteller, Performer, Filmer und Choreograf, seit den Achtzigerjahren mit einem simplen BIC-Kugelschreiber erkundet. Weil, wie er erzählt, so ein Kugelschreiber immer und überall verfügbar ist. Weil er sich verliebt hat ins Changieren der Farben, in dieses je nach Lichteinfall silbrig oder grünlich oder gar rötlich glitzernde Blau. Das es freilich erst zu konservieren galt: Denn so ein Kugelschreiber ist nun einmal für flüchtige Notizen gedacht, für Kritzeleien, die bald im Papierkorb landen – nicht für Kunst, die bestehen bleiben soll.

Lange hat er dafür experimentiert, erzählt Fabre: „Ich habe das Papier behandelt, damit die Farbe ins Material eindringt.“ Er hat Methoden und Materialien ausprobiert und die so behandelten Flecken aus Papier oder Seide im Garten der Sonne ausgesetzt, um zu prüfen, wie rasch sie verblassen. Er war sehr gründlich: Die meisten der Arbeiten, wiewohl Jahrzehnte alt, strahlen noch immer in geheimnisvollem Dunkelblau.

Bei seinen früheren Eingriffen in die Bestände des Louvre und des Museums der Schönen Künste hat Jan Fabre Skulpturen, Installationen und Filme gezeigt. Für das KHM sollte es ein neuer Ansatz werden. Die Malerei der Alten Meister konfrontiert er hier – von einer Skulptur am Dach abgesehen – mit der Zeichnung. Er hängt seine „Eule“ neben Tizians Papst, weil dieses Tier nicht nur als Zeichen der Weisheit gilt, sondern auch, weil sie vor Selbstüberschätzung warnen soll. Er zeigt sich selbst als „Leimfänger“, ein altes niederländisches Motiv. Er konfrontiert Arbeiten Canalettos mit Zeichnungen, hinter denen noch ein fotografiertes Schloss durchschimmert. „Ich feiere die Zeichnung als Kunstform. Sie wird unterschätzt. Genau betrachtet, befindet sich hinter jedem Gemälde eine Zeichnung.“ Oder anders gesagt: Jedem Gemälde geht eine Zeichnung voran, und sei sie nur erdacht. Die Zeichnung ist spontan. „Gemälde verbergen immer etwas. Zeichnungen können das nicht!“

 

Verhüllte Rubens-Gemälde

Was ihn an den Beständen des KHM besonders reizt? Die Arbeiten von Meistern wie Brueghel und Rubens. „Mein Vater hat mich zweimal ins Rubens-Haus mitgenommen. Einmal, da war ich zehn. Beim zweiten Mal war ich gerade von New York zurückgekommen und schwärmte für Andy Warhol und seine Factory. Da hat mein Vater gemeint: ,Komm, ich zeige dir was.‘ Und er hat mich noch einmal ins Rubens-Haus geführt, mir von seiner Werkstatt erzählt und mir gesagt: ,Was Warhol machte, das gab es schon vor Jahrhunderten!‘“

Warum er dann ausgerechnet Rubens-Gemälde den Blicken der Besucher entzogen hat? Immerhin hängen vor einigen seiner Werke riesige, blau bekritzelte Vorhänge! „Wenn man etwas verhüllt, macht man erst recht neugierig auf das, was darunter verborgen ist.“ Außerdem: „Früher wurden in den Kirchen manche Rubens-Gemälde verhängt. Sie zeigten zu viel nacktes Fleisch!“

Im Sommer, noch während seine Schau im KHM läuft, sind Fabres Choreografien beim Festival Impulstanz zu Gast: Am 16. und 17.Juli ist die österreichische Erstaufführung von „Preperatio Mortis“ im Odeon zu sehen, am 19.Juli zeigt Fabre seinen „Prometheus“ im Volkstheater – über die Frage, wie Helden heute aussehen könnten. Was nun Zeichnen und Tanzen miteinander zu tun haben? Jan Fabre malt flink Kreise und Linien in die Luft: „Schauen Sie genau hin. Merken Sie? Die Handgelenke tanzen!“

Jan Fabre: „Die Jahre der Blauen Stunde“, Kunsthistorisches Museum, bis 28.8.


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