Das Wiener Künstlerhaus widmet sich Alfred Hrdlicka als Zeichner
Die Fleischlichkeit in Lust, Leid und Laster
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Einst einen Eklat wert: Alfred Hrdlickas "Straße waschender Jude". Foto: Johann Klinger
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Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Im Februar ist Alfred Hrdlicka, das Urgestein unter Österreichs
Bildhauern, 80 geworden. Im Künstlerhaus ist er seit 1996 Mitglied, nun
haben Peter Weiermair und Peter Bogner eine auf Zeichnungen gerichtete
Schau konzipiert.
Dabei wurde aus der Not sprichwörtlich eine
Tugend: Weil viele Skulpturen derzeit in der deutschen Sammlung Würth
gezeigt und von Hrdlickas Galeristen ab 30. Juli am Albertinaplatz rund
um das Anti-Faschismus-Denkmal aufgestellt werden, liegt der
Schwerpunkt nun auf Hrdlickas riesigen Bühnenbildern der 80er und 90er
Jahre und auf Grafikzyklen.
Die gigantischen Ausmaße seiner "Faust"-Ausstattung (1982 für Bonn)
verleihen dem Plastikersaal des Künstlerhauses eine Atelieratmosphäre
und verweisen in zweierlei Hinsicht auf den Ausstellungs-Titel "Der
Titan und die Bühne des Lebens": Hrdlicka nennt das, was ihn bewegt,
"Erlebniskunst" – und die ist immer eine freie Interpretation von
Literatur, Musik und Beispielen der Kunstgeschichte.
"Kein Michelangelo"
In diesem Falle von Giulio Romanos "Gigantensturz" im Palazzo del Té
von Mantua. Bei dieser Anleihe identifiziert sich Hrdlicka mit den
Protagonisten des Werks, vor allem mit Zeus, wie er Leda verführt.
Darum und wegen seiner typischen "Pranke", einer persönlichen
Interpretation des Realismus, wurde er bereits hier als Titan tituliert.
Doch Hrdlicka, der 1960 mit Fritz Martinz, Hans Escher und Georg
Eisler die Wiener Oppositionsfelder von Abstraktion und phantastischem
Realismus durchtrennte, kann sich mit Zynismus gut selbst einschätzen:
"Ich wäre gerne Michelangelo, der bin ich aber nicht." Anders als
Günter Grass hat er seine Gespaltenheit zwischen einem kommunistischen
Vater und der eigenen Aktivität in der Hitlerjugend, samt Ausbildung
durch die SS, nie verborgen.
Seine politische Tendenz blieb nach den Kriegsschrecken trotz
Stalins Blutspur links: Das entfachte ebenso viele Skandale wie es
seine Denkmäler zum Thema Antifaschismus taten. Das steinerne Original
des – zu Recht – umstrittenen, lediglich kindsgroßen "Straße waschenden
Juden" (Hrdlicka wurde Verharmlosung vorgeworfen) ist nun vor einem
Bühnenbild zu Luigi Nonos Musiktheater "Intolleranza" (1960) zu finden.
Neben der drastischen Schilderung der "Endlösung" oder der Gräuel
der Französischen Revolution ist vor allem die sexuelle Freiheit, die
seine geliebten Vorbilder wie Michelangelo Buonarotti nur in verbotenen
Zyklen oder Anspielungen zeigen konnten, eine von Hrdlickas
Triebfedern: Im Künstlerhaus treiben es Menschen, Götter und Kentauren
miteinander – das erinnert an die Pornografievorwürfe der 70er. Aber
auch an Pablo Picasso, bei dem die Kunst im Alter Ersatz für die
nachlassende Manneskraft zu sein schien.
Sublimiert hat Hrdlicka aber nie: Wir müssen Blut, Fleisch und die
Brutalität der tierischen Natur im Menschen zur Kenntnis nehmen, ob wir
es wollen oder nicht. Doch eigentlich hat ja Karl Rosenkranz schon 1853
eine "Ästhetik des Hässlichen" postuliert – womit auch der "Titan" ein
wenig Patina bekommt.
Ausstellung
Alfred Hrdlicka Peter Weiermair (Kurator) Künstlerhaus 1010 Wien, Karlsplatz 5 bis 21. September
Mittwoch, 30. Juli 2008
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