Wer neue Blickfelder der frühen Fotografie,
bezogen auf Wien im 19. Jahrhundert, entdecken möchte, bekommt nun mit der
Ausstellung "Stadt. Leben. Wien. Fotografische Stadtansichten 1850–1915"
Gelegenheit. Dabei können verbliebene Zweifler an der künstlerischen
Wertigkeit des Mediums viel Neues erkennen: Kuratorin Monika Faber stellt
in der für sie bekannten, besonderen Weise den Übergang von der
Steindrucktechnik (Lithografie) zum Foto dar.
Es ist ein Aspekt, der logisch scheint, aber dann doch zu wenig bekannt
ist. Vor allem der Rückgriff auf grafische Techniken wie Lithografie wegen
des vervielfältigbaren Verfahrens um 1850 ist spannend, waren doch die
ersten Daguerreotypien einmalige Abbilder auf Silberplatte. Die ersten
Ansichten der Stadt Wien umfassten Sehenswürdigkeiten wie die
Stephanskirche in einer Perspektive, die man schon von Rudolf von Alt
kennt. Nur zeichnete man damals für ein Ansichtenalbum der Firma Artaria
die Daguerreotypien händisch für die Druckvorlage des Lithosteins nach.
Frühe Fotografien versuchte man außerdem mit Wasserfarben derart zu
verändern, dass sie vordergründig wie ein Aquarell wirken: so fremd war
das Medium damals dem allgemeinen Geschmack, so schwierig das Verfahren.
Alois Auer stieg zwischen 1850 und 1860 in der von ihm begründeten
Fotoabteilung der k. k. Staatsdruckerei in die neuen Techniken ein:
Salzpapierabzüge nach Glas- und Papiernegativen machten das
"Naturselbstabdruckverfahren" möglich.
Erste Schnappschüsse
Mehrere Serien der sich ab 1850 rasend schnell verändernden Großstadt
sind in der Schau zu finden. In nur zwei Jahren war das ganze
Stubenviertel durch den Bau der Franz-Josephs-Kaserne verändert, das
Arsenal oder die Votivkirche erbaut. Leider gibt es die Dokumentation nur
partiell und die Stadtbilder, auch die frühen Panoramen, sind wegen der
langen Belichtungszeiten menschenleer.
Eine Verfahrensänderung und die neuen Handkameras ermöglichten dann so
etwas wie erste Schnappschüsse des Arbeitslebens auf der Straße: Momente
am Linienwall (heutiger Gürtel) zeigen nun auch die Bewohner Wiens. August
Stauda ging durch die Vorstädte und hielt Augenblicke in den heute
verschwundenen Hinterhöfen fest. Mehr als 3000 Fassaden, Höfe und
Stiegenhäuser hat er fotografiert: eine Geschichte der kleinbürgerlichen
und proletarischen Alltagskultur.
Daneben wurde hauptsächlich das großbürgerliche Ringstraßenleben
dokumentiert, für Touristen gab es erste Kartenansichten. Dazu passt die
Serie "Wiener Typen" von Emil Mayer, der Berufen wie dem Brezenverkäufer
oder Orten wie dem alten Wurstel-Prater ein Denkmal setzt. Spannend auch
die privaten Momente eines unbekannten Knipsers am Karlsplatz, die nun als
Cover des Katalogs neugierig machen.
Was Wer Wo Wie
Stadt. Leben. Wien. Fotografische Stadtansichten 1850–1914 (Ausstellung
von Monika Faber, 2005)
Bis 22. Jänner
Albertina
01/534 83-0
Interessanter Übergang von der Lithografie zur Fotografie.
Freitag, 18. November
2005