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Kunstberichte

Wiener Albertina präsentiert "Stadt. Leben. Wien. Fotografische Stadtansichten" aus den Jahren 1850–1914

Metropolis, starr bis bewegt

Bewegte Vergangenheit: Ein Schnappschuss vom Karlsplatz. Sammlung H. Seemann, Wien

Bewegte Vergangenheit: Ein Schnappschuss vom Karlsplatz. Sammlung H. Seemann, Wien

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Wer neue Blickfelder der frühen Fotografie, bezogen auf Wien im 19. Jahrhundert, entdecken möchte, bekommt nun mit der Ausstellung "Stadt. Leben. Wien. Fotografische Stadtansichten 1850–1915" Gelegenheit. Dabei können verbliebene Zweifler an der künstlerischen Wertigkeit des Mediums viel Neues erkennen: Kuratorin Monika Faber stellt in der für sie bekannten, besonderen Weise den Übergang von der Steindrucktechnik (Lithografie) zum Foto dar.

Es ist ein Aspekt, der logisch scheint, aber dann doch zu wenig bekannt ist. Vor allem der Rückgriff auf grafische Techniken wie Lithografie wegen des vervielfältigbaren Verfahrens um 1850 ist spannend, waren doch die ersten Daguerreotypien einmalige Abbilder auf Silberplatte. Die ersten Ansichten der Stadt Wien umfassten Sehenswürdigkeiten wie die Stephanskirche in einer Perspektive, die man schon von Rudolf von Alt kennt. Nur zeichnete man damals für ein Ansichtenalbum der Firma Artaria die Daguerreotypien händisch für die Druckvorlage des Lithosteins nach. Frühe Fotografien versuchte man außerdem mit Wasserfarben derart zu verändern, dass sie vordergründig wie ein Aquarell wirken: so fremd war das Medium damals dem allgemeinen Geschmack, so schwierig das Verfahren.

Alois Auer stieg zwischen 1850 und 1860 in der von ihm begründeten Fotoabteilung der k. k. Staatsdruckerei in die neuen Techniken ein: Salzpapierabzüge nach Glas- und Papiernegativen machten das "Naturselbstabdruckverfahren" möglich.

Erste Schnappschüsse

Mehrere Serien der sich ab 1850 rasend schnell verändernden Großstadt sind in der Schau zu finden. In nur zwei Jahren war das ganze Stubenviertel durch den Bau der Franz-Josephs-Kaserne verändert, das Arsenal oder die Votivkirche erbaut. Leider gibt es die Dokumentation nur partiell und die Stadtbilder, auch die frühen Panoramen, sind wegen der langen Belichtungszeiten menschenleer.

Eine Verfahrensänderung und die neuen Handkameras ermöglichten dann so etwas wie erste Schnappschüsse des Arbeitslebens auf der Straße: Momente am Linienwall (heutiger Gürtel) zeigen nun auch die Bewohner Wiens. August Stauda ging durch die Vorstädte und hielt Augenblicke in den heute verschwundenen Hinterhöfen fest. Mehr als 3000 Fassaden, Höfe und Stiegenhäuser hat er fotografiert: eine Geschichte der kleinbürgerlichen und proletarischen Alltagskultur.

Daneben wurde hauptsächlich das großbürgerliche Ringstraßenleben dokumentiert, für Touristen gab es erste Kartenansichten. Dazu passt die Serie "Wiener Typen" von Emil Mayer, der Berufen wie dem Brezenverkäufer oder Orten wie dem alten Wurstel-Prater ein Denkmal setzt. Spannend auch die privaten Momente eines unbekannten Knipsers am Karlsplatz, die nun als Cover des Katalogs neugierig machen.

Was Wer Wo Wie

Stadt. Leben. Wien. Fotografische Stadtansichten 1850–1914 (Ausstellung von Monika Faber, 2005)

Bis 22. Jänner

Albertina

01/534 83-0

Interessanter Übergang von der Lithografie zur Fotografie.

Freitag, 18. November 2005


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