diepresse.com
zurück | drucken
12.02.2003 - Ausstellung
Sammlung Essl: "Revolution jedenfalls jeden Tag"
"Nackt und mobil" zeigt sich Elke Krystufek in der Sammlung Essl. 200 Werke lassen den Einblick in einen beeindruckenden Plan zu.
VON ALMUTH SPIEGLER


Wer ist Elke Krystufek? Sie ist die wasserstoffblonde junge Frau, die in kurzem roten Kleid verloren vor der Fernsehkamera steht. Sie ist die Nackte mit der blutenden Nase auf der Leinwand dahinter. Sie ist die scheue Brünette, die bei Vernissagen ernsthaft versucht, nicht aufzufallen. Sie ist das Mädchen, das 1994 während der Eröffnung der Ausstellung "Jetztzeit" vor Hunderten Menschen öffentlich masturbierte.

Was Elke Krystufek zum wahren Star unter Österreichs jüngeren Künstlern macht, ist ihre Ungreifbarkeit, obwohl sie in Wien wohnt und man wirklich alles von ihr zu kennen meint. Jeden Zentimeter ihres Körpers bis in die intimsten Intimzonen, ihre Männer, ihre Wohnung, den Inhalt ihres Kleiderkastens, ihre Gedanken, die sie auf ihre Bilder schreibt. Und doch, am Ende des Tages, schlüpft einem diese von ihr als "Kunstfigur" geschaffene tabulose Frau durch die Hände.

Wieviel an Fiktion kann ein Mensch denn aus einem einzigen Leben hinausschleudern? Ist der Mensch Krystufek deckungsgleich mit seinem Alter Ego in der Kunstwelt? Ein Gedanke, der einen ob des von Krystufek so stark betonten Gegensatzes zwischen "privatem" und öffentlichem Auftritt auch ebenso stark beschäftigt.

Mit Elke Krystufek hat Österreich endlich wieder eine starke Künstlerin. Tendenziell wird sie mit ihren 32 Jahren zwar gern als Nachwuchs bezeichnet, im jünger werdenden Kunstmarkt konnte sie sich aber schon etablieren.

Mit ihrem streng durchgehaltenen Konzept und Stil hat die Wienerin ein unverwechselbares Werk geschaffen, hat ihren Körper zur idealen Projektionsfläche unserer Wünsche, Vorurteile und gesellschaftlichen Probleme umgewidmet. 200 Arbeiten von Beginn der neunziger Jahre bis heute werden zur Zeit in der Sammlung Essl unter dem Titel "Nackt und mobil" gezeigt, geben so den bisher größten Überblick von Krystufeks eindringlichem Konzept.

Mintgrünes Klosett

Mit spielerischer Sicherheit bedient sich Krystufek der Medien, die sich dem Künstler heute bieten: Malerei, Photographie, Video, Zeichnung, Collage, Fundmaterial verdichtet sie zu emotional aufgeladenen Räumen. Sogar an Keramikarbeiten hat sie sich gewagt: Zwei Teller und ein mintgrünes Klosett mit zwei Armen, bemalt mit den typischen Selbstporträts, sind zwar vor allem skurril, zeigen aber die universale Anwendbarkeit von Krystufeks System.

Für die Ausstellung wurden einige international präsentierte Installationen rekonstruiert. Ein Wiedersehen gibt es etwa mit den Kabinen aus zartem Stoff, in denen seltsam altkluge Puppen warten.

Sex, Mißbrauch, Liebe

Aus einem Walkman dringen Geschichten von Sex, Mißbrauch, vergeblicher Liebe. Von den Wänden rund um die gespenstischen Kojen starren Krystufeks Augen aus den Selbstporträts. Der Gesichtsausdruck bleibt, nur Frisur und Accessoires ändern sich.

In dünnen Fäden rinnt in den Bildern zur Installation "The Revolution Kind" (2001) die Farbe über das vertraute Gesicht. Wie Striemen, wie dunkle Tränen. Hier findet man Kunst, die noch schockiert - auch wenn man es gelassen auf sich wirken lassen kann: Regelblut an Fingern, Gesicht, Geschlechtsteilen - photographiert und gemalt.

Fast lieblich wirken dagegen Krystufeks frühe Selbstporträts. Und doch ist hier ihr Plan schon fertig angelegt. Noch auf Deutsch schrieb Krystufek 1990 in "Selbst" neben ihre Gesichtszüge: "Die wahre Freiheit passiert im Kopf und im Herz. Den Körper über das Hirn reformieren oder umgekehrt. Revolution jedenfalls jeden Tag."

Bis 27. April. Di.-So. von 10 bis 19 Uhr, Mi. von 10 bis 21 Uhr.



© Die Presse | Wien