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20. August 2009
17:32 MESZ

So Schuh, so schön: Die Grenzen von Natur und Technik sind längst fließend geworden. Die Ars Electronica ist die beständige Chronistin dieser Entwicklung.

 


Die Verbesserung des Menschen
Die Fortschritte in der Wissenschaft verwischen die Grenzen zwischen Natur und Technik - die Kunst gibt einmal mehr die Begleitmusik ab

Was würde eigentlich ein genialer Künstler wie Wolfgang Amadeus Mozart machen, wäre er nicht Mitte des 18. Jahrhunderts geboren worden, sondern irgendwann vor der Wende zum dritten Jahrtausend? Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt meinte auf diese hypothetische Frage einmal, dass Mozart, würde er heute leben, wahrscheinlich Molekularbiologe geworden wäre. Eine Antwort, die aufs Erste verwundern mag. Auf den zweiten Blick besehen spricht freilich einiges dafür.

Am Anfang des 21. Jahrhunderts sind nämlich die kreativen Geister, die über ihre Ideen und Erfindungen Einfluss auf unsere Gesellschaft nehmen, längst nicht mehr (nur noch) in der Kunst und ihrer schier unendlichen Imaginationskraft zu Hause. Die neuen Konzepte und Artefakte kommen zusehends bis ausschließlich aus der wissenschaftlichen Forschung. Und indem insbesondere die zeitgenössischen Lebenswissenschaften Begriffe wie Leben, Gen oder Individuum neu definieren, arbeiten sie auch an der Verbesserung - wenn schon nicht von uns als Geisteswesen, so zumindest doch unserer Körper. Trotz und wegen Paris Hilton und Co.

Die vollständige Entzifferung des menschlichen Genoms im Jahr 2000 war das sichtbarste Zeichen dafür, dass wir auch in unserem Wissen um die Baustelle Körper an einer Epochenschwelle angelangt sind. Seitdem sind schon wieder fast zehn Jahre vergangen, in denen sich etwa die Einblicke in das komplexe Zusammenspiel unserer Gene und Proteine mit der Umwelt radikal erweitert haben.

Spektakuläre Einsichten

Doch es ist nicht nur bei den spektakulären Einsichten in unsere Natur geblieben: Mit dem Erkennen wird sie auch verändert. In der Stammzellforschung etwa wird in der Zwischenzeit zum Beispiel daran gearbeitet, Hautzellen zu jungen "pluripotenten" Stammzellen rückzuprogrammieren, um so maßgeschneiderte Therapien bis hin zu implantierbarem Gewebe zu entwickeln.

Und im neuen Forschungszweig der Synthetischen Biologie, für den Genetiker buchstäblich zu Ingenieuren des Lebens werden, verändert man unter anderem die DNA von Lebewesen längst schon so, dass etwa Bakterien in biologische Rechenmaschinen verwandelt werden.

Dass sich die ersten Bakterien auf unserem Planeten zeigten, ist 3,5 Milliarden Jahre her. Vor gut 150.000 Jahren tauchte irgendwo in Ostafrika eine neue Primatenart namens Homo sapiens auf, die heute eben längst nicht mehr nur die Oberfläche der Erde nach seinem Gutdünken verändert, sondern auch schon das "Innerste der Natur" , die oft zitierten Bausteine des Lebens. Mittlerweile arbeitet der Mensch auch im Innersten der Natur mehr oder weniger planvoll an deren Verbesserung.

Die romantischen Vorstellungen einer "natürlichen Natur" , die gerade im deutschsprachigen Raum so wirkmächtig wurden und bis heute - etwa in der Kritik an der Gentechnik - nachwirken, sind heute jedenfalls hoffnungslos überholt.

Natur und Technik gehen unter der Regie des Menschen immer neue, noch verwickeltere Verbindungen ein, die durch das Motto des diesjährigen Ars-Electronica-Festivals auf den mehrdeutigen Punkt gebracht werden.

"Human Nature" verweist zum einen auf die Natur des Menschen, die sich immer mehr als eine veränderliche erweist, zugleich aber auch auf eine vom Menschen gestaltete Natur.

Welche Rolle bleibt da noch den Künstlern, die von den Fortschritten ihrer Kollegen in den Lebenswissenschaften gleichsam überrollt scheinen? Das Festival, das seit seinem Beginn an den Schnittstellen von Kunst, Wissenschaft und Medien operiert, sucht auch heuer, im dreißigsten Jahr seines Bestehens, wieder nach den neuesten und besten Antworten, die alles andere als unisono sind.

Eindeutig ist nur, dass viele zeitgenössische Künstler quer durch alle Genres die Relevanz des Themas erkannt haben. So etwa ist für den deutschen Dichter Durs Grünbein längst offensichtlich, dass "das Erschrecken vor dem perfektionierten, optimierten Menschen mehr und mehr zum ,Furchtzentrum der Moderne‘ wird" .

Doch wie soll man mit den Fortschritten der Forschung und der Furcht vor ihr künstlerisch umgehen?

Und was lässt sich den neuen Kreationen der Lebenswissenschaften überhaupt noch hinzufügen, die selbst schon hochgradig künstlich geworden sind?

Eine oft zitierte Antwort lieferte der brasilianische Künstler Eduardo Kac, seit Jahren Stammgast des Ars-Electronica-Festivals. Er beauftragte den französischen Molekularbiologen Louis-Marie Houdebine, einen grün leuchtenden Hasen herzustellen, was durch das Einschleusen des sogenannten GFP-Gens aus Quallen letztendlich gelang.

Sturm der Entrüstung

Als das Kunstwerk beziehungsweise der "unnatürliche Hase" namens Alba im Jahr 2000 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hatte das damals einen medialen Sturm der Entrüstung zur Folge.

Diese Aktion ist nun auch schon wieder fast zehn Jahre her und würde heute wohl nur noch ein müdes Augenzwinkern auslösen. Erst im Vorjahr wurde der Nobelpreis für Chemie - also die wichtigste wissenschaftliche Anerkennung - an drei Forscher verliehen, die das GFP-Gen zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel in den Lebenswissenschaften gemacht haben.

Deren Labors werden in Zukunft dennoch wohl mehr denn je Orte der künstlerischen Recherche sein. Zumal, wenn Künstler vermitteln wollen, mit welchen biotechnologischen Hervorbringungen die Gesellschaft zu rechnen hat und wie sie damit umgehen könnte - es sei denn, sie heißen Wolfgang Amadeus Mozart und sind selbst Molekularbiologen. (Klaus Taschwer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.8.2009)

 

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