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07.11.2001 - Kultur News
"The Story of Art": Was uns Bilder erzählen
Ernst Gombrich ist tot. Die Welt-Kunstgeschichte verlor ihre wienerischste Stimme.
VON HANS HAIDER


Ein Mann, dessen luziden und freiem Geist, dessen brillanter Sprache sich Millionen mit Gewinn anvertraut haben, der unzählige Augen für die Kunst geöffnet hat, auf den nach den Kriterien der Wissenschaft sowie der Volks- und Menschenbildung Verlaß war, ist in London im Alter von 92 Jahren gestorben: der Kunsthistoriker Ernst Gombrich.

Er wurde in Wien 1909 geboren, wanderte 1935 nach England aus, wurde 1988 von der Queen geadelt. Wie sein Freund Karl Popper kam er ab und an nach Österreich und entzückte mit seiner Eleganz und seinen altösterreichischen Sprech-Nuancen. Erhard Busek überreichte ihm 1988 als erstem den damals neugeschaffenen Wittgenstein-Preis der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Sir Ernst bedankte sich damals mit einem Vortrag - nicht über die bildende Kunst, sondern über Spracherlebnisse.

Die Sprache, das Erzählen, die sich selbst erzählenden Bilder: Ernst Gombrichs in sechs Millionen Exemplaren verbreitetes Welterfolgsbuch heißt im Originaltitel "The Story of Art". Gombrich assoziierte in oft atemraubendem Zickzack durch die ganze kulturhistorische Breite. Aber das Wort "kinderleicht" empfand er nicht als Bedrohung seines akademischen Status. Er war stolz, daß ihn auch Kinder verstanden.

Dem Schüler Julius von Schlossers an der Wiener Universität (Dissertationsthema: Giulio Romano) gelang in einer amerikanischen Vorlesung und im gleichnamigen Buch "Art and Illusion" eine Verknüpfung der Kunstgeschichte mit der empirischen Psychologie. Er interpretierte die Darstellungsgeschichte als stetig neuen Konflikt zwischen dem bekannten, oder vorgegebenen Muster und einer "korrigierenden Mimesis".

Ernst Gombrich wirkte wohl immer wieder an Universitäten, in Oxford und New York, er war aber kein typischer Universitätslehrer, sondern eher ein Privatgelehrter - auch dank der reichen Ressourcen des Londoner Warburg Instituts für Kulturwissenschaften, das ihn 1936 als Assistent aufnahm und dem er 1959 bis 1976 als Direktor vorstand.

Der Mut zur persönlichen Meinung ließ ihn bisweilen als Außenseiter erscheinen. Etwa in den siebziger, achtziger Jahren, als das Bildungswissen politisch obsolet gemacht wurde, warb er für das "Abendland". Gegenüber der abstrakten Kunst, die Bilder in seinem Sinn verweigerte, zeigte er sich lebenslang ungnädig.

Ernst Gombrich, Träger des Erasmus- und Hegelpreises, trat oft als Anwalt Österreichs auf - und wollte nicht "Emigrant" geheißen werden. Die Republik würdigte ihn spät. Hat sie nach 1945 versucht, ihn heimzuholen? Als Erhard Busek in Wien das Forschungsinstitut für Kulturwissenschaften (IFK) gründete, war er von Gombrichs Londoner Vorbild inspiriert. So hat Österreich auch ein Stückchen Erbschaft gerettet.



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