Ein Mann, dessen luziden und freiem Geist, dessen
brillanter Sprache sich Millionen mit Gewinn anvertraut haben, der
unzählige Augen für die Kunst geöffnet hat, auf den nach den Kriterien der
Wissenschaft sowie der Volks- und Menschenbildung Verlaß war, ist in
London im Alter von 92 Jahren gestorben: der Kunsthistoriker Ernst
Gombrich.
Er wurde in Wien 1909 geboren, wanderte 1935 nach England
aus, wurde 1988 von der Queen geadelt. Wie sein Freund Karl Popper kam er
ab und an nach Österreich und entzückte mit seiner Eleganz und seinen
altösterreichischen Sprech-Nuancen. Erhard Busek überreichte ihm 1988 als
erstem den damals neugeschaffenen Wittgenstein-Preis der Österreichischen
Forschungsgemeinschaft. Sir Ernst bedankte sich damals mit einem Vortrag -
nicht über die bildende Kunst, sondern über Spracherlebnisse.
Die Sprache, das Erzählen, die sich selbst erzählenden
Bilder: Ernst Gombrichs in sechs Millionen Exemplaren verbreitetes
Welterfolgsbuch heißt im Originaltitel "The Story of Art". Gombrich
assoziierte in oft atemraubendem Zickzack durch die ganze
kulturhistorische Breite. Aber das Wort "kinderleicht" empfand er nicht
als Bedrohung seines akademischen Status. Er war stolz, daß ihn auch
Kinder verstanden.
Dem Schüler Julius von Schlossers an der Wiener
Universität (Dissertationsthema: Giulio Romano) gelang in einer
amerikanischen Vorlesung und im gleichnamigen Buch "Art and Illusion" eine
Verknüpfung der Kunstgeschichte mit der empirischen Psychologie. Er
interpretierte die Darstellungsgeschichte als stetig neuen Konflikt
zwischen dem bekannten, oder vorgegebenen Muster und einer "korrigierenden
Mimesis".
Ernst Gombrich wirkte wohl immer wieder an Universitäten,
in Oxford und New York, er war aber kein typischer Universitätslehrer,
sondern eher ein Privatgelehrter - auch dank der reichen Ressourcen des
Londoner Warburg Instituts für Kulturwissenschaften, das ihn 1936 als
Assistent aufnahm und dem er 1959 bis 1976 als Direktor vorstand.
Der Mut zur persönlichen Meinung ließ ihn bisweilen als
Außenseiter erscheinen. Etwa in den siebziger, achtziger Jahren, als das
Bildungswissen politisch obsolet gemacht wurde, warb er für das
"Abendland". Gegenüber der abstrakten Kunst, die Bilder in seinem Sinn
verweigerte, zeigte er sich lebenslang ungnädig.
Ernst Gombrich, Träger des Erasmus- und Hegelpreises,
trat oft als Anwalt Österreichs auf - und wollte nicht "Emigrant" geheißen
werden. Die Republik würdigte ihn spät. Hat sie nach 1945 versucht, ihn
heimzuholen? Als Erhard Busek in Wien das Forschungsinstitut für
Kulturwissenschaften (IFK) gründete, war er von Gombrichs Londoner Vorbild
inspiriert. So hat Österreich auch ein Stückchen Erbschaft gerettet.
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