Nachlese:
Blamage für EU-Vorsitz: Tschechischer Künstler David Cerny bluffte
Der Stand der Dinge:
Brüssel/Bratislava - Das
Bild Bulgariens als eine Ansammlung von Hocktoiletten muss aus dem
umstrittenen Kunstwerk im Gebäude des EU-Ministerrates verschwinden.
"Natürlich bestehen wir darauf", sagte eine Sprecherin der bulgarischen
EU-Botschaft am Donnerstag in Brüssel. Man habe bereits einen zweiten
Brief mit dieser Forderung an die tschechische EU-Ratspräsidentschaft
und zudem einen weiteren an den EU-Außenpolitik-Beauftragten Javier
Solana geschickt. Der tschechische Vizepremier für Europafragen
Alexandr Vondra hatte sich bei Bulgarien entschuldigt und eine
Entfernung des bulgarischen Teils der Collage angeboten. Unterdessen
protestierte auch die Slowakei gegen die Darstellung des Landes in dem
Kunstwerk "Entropa". Außenminister Jan Kubis missfiel die Präsentation
der Slowakei als Salami mit ungarischer Fahne. Der Sprecher des
Außenamts sagte der Nachrichtenagentur CTK, Kubis habe deswegen dem
tschechischen Vizepremier Vondra die Vorbehalte Bratislavas
übermittelt. (APA/dpa/CTK)
Jetzt sind alle von den Socken: David Cerný, weil offenbar niemand sein als Witz getarntes Kunstwerk versteht; die EU-Staaten, weil sie über Entropa partout nicht lachen wollen; und die Auftraggeber der 100-Quadratmeter-Provokation, die sind auch von den Socken. Doch die hätten durchaus wissen müssen, was ihnen blüht, wenn sie den Aktionskünstler David Cerný damit beauftragen, die tschechische EU-Präsidentschaft mit einer Installation zu verschönen. Schließlich hat der 43-Jährige im Laufe seiner Karriere oft genug bewiesen, dass seine Kunst zumindest eins ist: ausgesprochen diskussionsanregend.
Da war beispielsweise die schlagzeilenträchtige "Pink Tank"-Aktion 1991: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion malte der glühende Antikommunist einen russischen Panzer - es war angeblich der erste, mit dem die Rote Armee 1945 in Prag eingerückt war - rosafarben an. Cerný wurde vorübergehend festgenommen; heute steht der rosarote Panzer als eine Ikone kritischer Kunst im Militärmuseum.
Oder die Persiflage auf den Prager Nationalheiligen: Cerný setzte Wenzel auf den Bauch eines kopfüber und mit heraushängender Zunge von der Decke baumelnden Pferdes. Die Skulptur hängt übrigens gleich neben dem Wenzelsplatz in der Lucerna-Passage.
Oder der Brunnen vor dem Kafka-Museum: Zwei nackte Bronze-Männer pinkeln in einen Teich, der die Form der tschechischen Republik hat; mit ihrem Wasserstrahl zeichnen sie Zitate berühmter Prager Persönlichkeiten ins Becken.
Nicht realisiert wurde sein Entwurf anlässlich des tschechischen EU-Referendums 2003, mit dem er die Nationalisten ärgern wollte: Ein masturbierender Riese sollte auf dem Dach des Nationaltheaters sitzen und aus dessen Penis immer wieder Wasser sprühen.
Ziemlich ungewöhnlich war auch sein Rechenbeispiel für künstlerischen Erfolg, das er im Buch "The Fucking Years" anstellte: Er rechnete die Zeit des künstlerischen Schaffens in die Menge des in dieser Zeit verbrauchten Spermas um. Seine persönliche Erfolgslatte: 30 Liter.
Nicht er sei berühmt, sondern das Pferd, sagte er, angesprochen auf die Wenzel-Persiflage, einmal kokett. Tatsächlich war seine Prominenz außerhalb der tschechischen Kunstwelt enden wollend. Das hat sich schlagartig geändert. So gesehen ist "Entropa" sein mit Abstand erfolgreichstes Werk.
Wieder einmal ist ihm bestens gelungen, mit Kunst zum Nachdenken zu provozieren. Erstaunlich ist nur, dass er auf einen Teil des Honorars (€ 9000) verzichten will. (Andrea Schurian / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.1.2009)