Unterbrochene Träume

Spuren von Lebensgefühlsuche in asiatischen Megastädten findet die Ausstellung "Polypolis"   Von Hajo Schiff

Nirgends verändern sich die Lebensbedingungen so schnell wie in den ostasiatischen Megastädten. Im scheinbar so traditionellen China wurden in den letzten zehn Jahren fast 70 Prozent des städtischen Altbaubestandes abgerissen. Millionenstädte entstanden dagegen gänzlich neu, und für die nächsten 25 Jahre sind 150 weitere in Planung.

Für die derzeit präsentierte Ausstellung Polypolis im Kunsthaus bereiste der Hamburger Kunstkritiker und Kurator Ludwig Seyfahrt die alten und neuen Zentren Süd-Ost-Asiens und suchte dort nach Kunst, die das städtische Lebensgefühl inmitten dieses geschichtlich einzigartigen Umbruchs spiegelt. In Zusammenarbeit mit Chang Tsong- Zung, dem Direktor der Hanart-Gallery aus Hong Kong, hat er Arbeiten von siebzehn KünstlerInnen aus Beijing, Bangkok, Changchun, Hong Kong, Shanghai, Singapur, Taipei und Tokio nach Hamburg gebracht.

Mehr als die Hälfte der KünstlerInnen, die teils erstmals überhaupt in Europa ausstellen, leben in der VR China. Und sehr chinesisch kommen den Besuchern auch die Arbeiten von Huang Yan vor, erinnern sie doch auf den ersten Blick an traditionelle Rollbilder. Doch was da wie alte Skripturen aussieht, sind in Wirklichkeit Abreibebilder von Abrisshäusern und somit ein durchaus politisches Statement gegen die fortschreitende Vernichtung alter Identitäten. Doch die sind eben nicht mehr gefragt. Ausgerechnet eine KP scheint als Ideal des neuen Menschen die Hollywoodfamilie im Sinn zu haben. Das zeigt Shi Yong mit seinen überdeutlich überzeichnenden Familienplakaten, die Soap-Opera und Politpropaganda zu einer Brave New World mischen.

Den Zukunftsträumen stehen drastisch drei schwarz-weiße Fotoserien entgegen: Manit Sriwanichpooms Dream interruptus-Bilder von Investitionsruinen, Osamu Kanemuras Bilder des verwirrend gefüllten japanischen Stadtdschungels und Erika Yoshinos Fotos von beängstigend dicht genutzten Freizeiträumen.

Auch im hyperquirligen, aber extrem engen Hong Kong herrscht eher Platzangst. Mit seinem bettgroßen Raum und zwei daneben gestellten, miteinander verbundenen Flüchtlingskisten zeigt Tsang Tak-Ping den kleinstmöglichen Privatraum - und tatsächlich müssen noch heute manche mit einem so minimalen Rückzugsraum auskommen.

Leung Chi-Wo zeigt Fotos von Himmelsausschnitten zwischen den Hochhäusern und Architekturmodelle, die den so frei gelassenen Raum auch noch vollbauen. Es ist "eher ein Blick aus dem Vogelkäfig als aus der Vogelperspektive", wie Chang Tsong-Zung im Vergleich mit den schönen Fotografien des deutschen Fotografen Jan Siefke aus dem neuen Shanghai bemerkte, die im Vorraum der Ausstellung gezeigt werden.

In Taiwan konnte dagegen ein großes Interesse an verschiedens-ten Formen lokaler Identität ausgemacht werden - vielleicht auch als Gegenhaltung zum politischen Repatriierungsgeschrei aus der Volksrepublik. So ging K.H. Tchen die politische Grenzlinie von Taipeh ab und filmte diesen nur durch einen Strich auf der Karte begründeten Weg. Mit dem körpererweiternden Spielzeug einer tragbaren Wiedergabeanlage ist das jetzt auch an anderen Orten nachvollziehbar. Tchen beabsichtigt, das Verfahren auch auf die Hamburger Stadt- und Staatsgrenze anzuwenden, betont aber ebenso, auch jeder Körper sei ein hautmäßig und vielleicht letztlich gar nicht so sinnvoll begrenzter Ort.

Trotz aller Verschiedenheiten zeigt die durch die thematische Eingrenzung ungewöhnlich inte-ressante, von der Kulturbehörde stark geförderte Ausstellung eine Kunstproduktion, die in der souveränen Auswahl aller Stilmittel der ökonomisch verordneten Dynamik in nichts nachsteht.

Es ist die Spiegelung eines Aufbruchs, dessen Ambivalenz die Installation von Wang Guangyi beschreibt: Schaufeln aus China und Deutschland warten vor einem Baugerüst auf den Einsatz. Ob zu friedlichem Aufbau oder kriegsbedingter Graben- oder Grabarbeit ist ungewiss, denn im Hintergrund dräuen noch die alten Plakate für den Zivilschutzeinsatz im Falle eines Atomkrieges.

Polypolis - Art from Asian Pacific Megacities: 17 KünstlerInnen aus Beijing, Changchun, Shanghai, Hong Kong, Taipei, Singapur, Bangkok und Tokio ausgewählt von den Kuratoren Chang Tsong-Zung, Direktor der Hanart Gallery in Hong Kong, und Ludwig Seyfarth, Hamburg. Dazu zeigt Jan Siefke im Foyer Fotos aus Shanghai. Kunsthaus, Klosterwall 15; bis 2. September, Katalog im modo-Verlag, 116 Seiten, 25 Mark

taz Hamburg Nr. 6474 vom 19.6.2001, Seite 23, 64 Kommentar Hajo Schiff, Rezension

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