25.10.2002 13:33
"Eine Kunstform, die anwendbar ist"
Architekt Patrik Schumacher, Zaha Hadids Büropartner, im Interview
über das virtuelle und das reale Bauen
Für Patrik Schumacher, Kurator von Latente
Utopien und Partner von Zaha Hadid, , stellt sich die Frage nach
Kunst oder Architektur nicht: Wichtig ist das Neue und das tatsächlich
Anwendbare.
STANDARD: Sie haben die Ausstellung
Latente Utopien gemeinsam mit Zaha Hadid zusammengestellt. Was soll sie
können?
Patrik Schumacher: Sie soll ein ästhetisches Erlebnis
sein, hier soll man Architektur nicht nur über Zeichnungen oder Modelle, sondern
von innen heraus erleben können.
STANDARD: Die
gezeigten Gruppen sind fast alle relativ bekannt und stehen für eine ganz
bestimmte avantgardistische Sicht der Architektur. Andere Sparten wurden nicht
berücksichtigt. Wie haben Sie die Auswahl getroffen?
Schumacher:
Latente Utopien soll einen Überblick über die Haupttendenzen der gegenwärtigen
Architekturszene bieten. Gezeigt wird die experimentelle Frühphase einer
Stilentwicklung mit den dazu notwendigen neuen Entwurfsmedien. Wir haben eine
3D-Situation, in die auch Interaktivität und Elektronik eingeführt werden. Am
Zeichentisch geht ein solches Entwerfen nicht, per Computer kann man etwa
Lichtsituationen animieren und kinetische Objekte simulieren. Die Architektur
entwickelt sich in Richtung einer abstrakteren, interaktiven Welt, und was wir
hier sehen, sind Fragmente davon.
STANDARD: Der
Besucher spielt als Raumerfahrer eine gewichtige Rolle?
Schumacher: Es ist wichtig, das Publikum einzubeziehen. Die Besucher
sollen Raumideen erfahren und ausprobieren. Architekten wie etwa Propeller Z
spielen geradezu damit.
STANDARD: Trotzdem sind bei
Ausstellungen dieser Art immer die Arbeiten der selben Architekten zu sehen.
Warum?
Schumacher: Es gibt nun einmal nicht viele, die in dieser
Sparte arbeiten, und man kann neue Leute nicht aus der Luft greifen. Wer mit
diesen Dingen beschäftigt ist, der kennt die anderen, die ähnlich entwerfen,
sehr rasch alle. Ereignisse wie diese Ausstellung und das Symposium sind auch
eine gute Gelegenheit für Künstler, Architekten und Designer, einander zu
treffen und sich untereinander auszutauschen. Ich denke, dass diese Ausstellung
repräsentativ ist für das, was da momentan international abgeht.
STANDARD: Inwieweit hat diese Art, Architektur zu
machen, Niederschlag in der wirklichen, gebauten Welt?
Schumacher:
Leute wie Zaha Hadid und Coop Himmelb(l)au sind aufgrund ihres Alters die
Ausreißer, sie zeigen aber zugleich vor, dass ihre Projekte auch gebaut werden.
Alle anderen hier vertretenen Architekten sind Kinder der 90er-Jahre, und selbst
sie beweisen, wie etwa Spuybroeck, MVRDV und UN-Studio, dass sie große gebaute
Realitäten liefern können. Es sind darüber hinaus sehr junge Teams dabei, Leute,
die unter 30 Jahre alt sind.
STANDARD: Provokant
gefragt: Will die Schau eine Kunst- oder eine Architekturausstellung sein?
Schumacher: Was soll's? Gezeigt wird das Experimentieren mit neuen
Medien, Materialien, Formenwelten. Es passiert das Gleiche in der Architektur
wie in der Kunst auch. Es handelt sich letztlich um Kunstformen, die anwendbar
werden, wie etwa die städtebauliche Simulationen von Foreign Office Architects
in Yokohama oder von Zaha Hadid Architects in Singapur zeigen. Es geht aber auch
um das Ausprobieren von neuen Lebensgefühlen und um eine neue Phänomenologie des
Alltags.
STANDARD: Ist das neu? Oder ist das nur die
Übersetzung einer alten Idee in neue Medien und mit neuen Mitteln?
Schumacher: Es gibt die Selektion und die Reproduktion, wir befinden
uns in der Phase der Mutation. Die Überfülle der gezeigten Beispiele ist
notwendig, um Neues, Anwendbares herausfiltern zu können. (DER STANDARD,
Printausgabe, 25./26./27.10.2002)