diepresse.com
zurück | drucken
28.11.2001 - Ausstellung
Altvater aus der weltweiten Familie visueller Poesie
Konrad Balder Schäuffelen stellt in Wien einige neue Arbeiten aus. Ein Gespräch mit dem Künstler und Arzt.
VON HANS HAIDER


In und mit der experimentellen Literatur wurde der 1929 in Ulm geborene Dr. med. Konrad Balder Schäuffelen bekannt. 1967 trat er bei der ersten Mammutlesung der Laut- und Bildpoeten in Stuttgart auf - mit Max Bense, Eugen Gomringer, Ludwig Harig, Helmut Heißenbüttel, Ernst Jandl, Franz Mon, Dieter Rot, Gerhard Rühm. 1970, zur historischen Ausstellung in Amsterdam, 1971 in Stuttgart wiederholt ("akustische text / konkrete poesie / visuelle texte"), stießen noch Ferdinand Kriwet, Tim Ulrichs, Friederike May-röcker und der Innsbrucker Heinz Gappmayr dazu.

Im Wiener Kunstschauraum Splitterart (I., Salvatorgasse 10) gastiert Schäuffelen vierzehn Tage mit Schriftobjekten und Mini-Installationen. Eine passende Adresse: Die Edition Splitter verlegt das Gesamtwerk des Experimentellen-Vormanns Gomringer. Als Schäuffelen zum Begräbnis von Freund H. C. Artmann nach Wien kam, knüpfte Freund Bodo Hell die Fäden zu Splitter. In Wien hat Schäuffelen schon in der Alten Schmiede gelesen, bei den Salzburger Hochschulkursen war er 1998 und 1999 Dozent.

1969 druckte Suhrkamp das Schäuffelen-Buch "Raus mit der Sprache". In Dutzenden Büchern und Ausstellungskatalogen manifestiert sich sein Schaffen. Er ist ein Grenzgänger zwischen Literatur und Bildnerischem: "Das war manchmal zu meinem Schaden, weil ich nicht zu den einen so recht, wie auch nicht zu den andren gerechnet wurde."

Er verehrt den Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg und führt wie dieser "Sudelbücher". "Sehr verwandt ist mir die Art, in Fragmenten zu denken, das ironische Element daran. Wichtig waren für mich auch Valéry - und unter den Zeitgenossen eine Zeit lang der Tscheche Jiri Kolar, mit dem ich auch einige Arbeiten zusammen gemacht habe."

Dann nennt er "Lionardo". "Ich war gerade an einer Ausstellung zu einem Jahrestag beteiligt in Vinci mit meinen Objekten, in denen ich eine Formulierung von ihm aufgegriffen habe und in Objekten dargestellt habe: Alles Krumme wird einmal gerade. Ich habe am Anfang auch gemeint, Lionardo meint diesen Satz ironisch - das war aber wohl doch mehr moralisch gemeint. Also bei mir ist es nicht so."

Gerade-Machen: nein! Heilen, Helfen: ja! Schäuffelen hat erst heuer seine Praxis in München geschlossen. Wie hielt er die Doppelrolle Künstler-Arzt aus? "Die beiden Bereiche sind wenig miteinander verquickt, weniger, als man denken könnte - allenfalls, wenn man sehr in die Tiefe geht, ins Unbewußte, gibt es sicher Verschränkungen, aber sonst, auch rein praktisch, waren das zwei Lebenswelten. Ich habe Medizin studiert und war an der Akademie in München, habe mich als Facharzt spezialisiert, am Max-Planck-Institut gearbeitet, Verhaltensforschung, Verhaltenstherapie, und mich dann als Psychoanalytiker, als Psychotherapeut niedergelassen."

Avantgarde und Werbung

Bei den frühen Gruppen-Treffen der Experimentellen, so den Tagen für "neue literatur in hof" ab 1966, waren die dank ihrer "formalistischen" Tradition in der weltweiten Bilddichtung berühmten Tschechen (sogar Václav Havel hat sich als visueller Poet versucht) eingeladen: Jiri Kolar, Josef Hirsal, Bohumila Grögerová, Ladislav Novák (1999 gestorben), Vera Linhartová. Neun Bücher tschechischer Kollegen hat er ins Deutsche übersetzt. "Ich habe keine Vorfahren aus dem deutschen Grenzgebiet, auch keine Beziehung zu Tschechien, das ging über das Literarische. Ernst Jandl war ein Mittelsmann."

Sein Gedicht "Da kannten die Soldaten kein pardon mehr!" aus dem Revoltejahr 1968 findet man noch heute als Exempel für visuelle Poesie in deutschen Schullesebüchern. "Es geht auf einen Vorfall zurück, der sich in der Nähe von München abgespielt hat und über den in der Presse berichtet wurde. Die Sätze stammen aus der Presse."

Längst hat sich die Werbe-Graphik Erfindungen der visuellen Poesie angeeignet. Schäuffelen verdingte sich nie in der Produktwerbung, aber er hat auch kein Problem mit der Vermarktung avantgardistischer Kunst durch andere: "Man kann sich gegen soetwas nicht stemmen, ich versuche das, obwohl es mir oft auch lästig ist, dennoch letzten Endes zu integrieren." Auch seine eigene Generation hat nicht alles neu erfunden - sondern auch zurück geschaut, etwa auf die Emblematik des Barock. "Aber ein kritisches Moment ist bei mir auch meistens drinnen. Etwas, das sonst in der Kunst zur Zeit nur selten anzutreffen ist."



© Die Presse | Wien