"Gerhard Rühm ist einer der bedeutendsten
Künstler dieses Jahrhunderts. Hoher künstlerischer Ernst, Unbeirrbarkeit
und Konsequenz, Ideenreichtum und Humor zeichnen ihn seit seinen Anfängen
aus. Sein Anspruch als Künstler ist stets der höchste, und er wird ihm in
glänzender Weise in jedem einzelnen Werk gerecht. Kompromisse kennt er
nicht", schrieb Ernst Jandl über den vielfältigen Künstler.
Nach dem Zerfall der legendären "Wiener Gruppe" zog sich Gerhard Rühm,
selbst einer der Mitbegründer, 1964 zurück und ging nach Deutschland. Der
Verfasser des im hiesigen Blätterwald einst zerzausten "blumenstücks"
lehrt an der Kunsthochschule Hamburg.
![Gerhard Rühm](00052449_files/2-ruehm.gif) |
Gerhard
Rühm |
Anlässlich des Schwerpunktes,
der dem Werk von Gerhard Rühm beim diesjährigen steirischen herbst
gewidmet ist, hat ON Kultur mit dem Künstler ein Gespräch zu seiner Arbeit
und zu aktuellen Themen wie z.B. modernen Stück-Interpretationen
geführt.
ON Kultur: Herr Rühm, Sie eröffnen den steirischen herbst mit
einer Rede. Das Festival widmet Ihnen einen Schwerpunkt. Wie kommt man zu
solcher Ehre?
Gerhard Rühm: Ich bin ja mittlerweile 71. Aber das geht ja nicht
so von heute auf morgen. Beim steirischen herbst war ich schon öfters
vertreten. Diesmal ist es eben in Form eines Schwerpunktes. Natürlich
freut mich das, denn es gibt mir die Gelegenheit , drei neue Werke
uraufzuführen. Und nicht zuletzt habe ich eine schöne, große Ausstellung
u.a. mit 26 großen Zeichnungen. Das sind Körperzeichnungen. Ich habe mit
zwei Modellen die 26 Buchstaben des Alphabets gezeichnet.
ON Kultur: Das diesjährige Motto des Festivals lautet "Das
Subjekt rebelliert". Intendant Peter Oswald spricht von einer neuen
Auseinandersetzung mit dem Ich. Inwiefern hat sich Ihre Arbeit diesem
Thema angepasst?
Gerhard Rühm: Das Selbstverständnis des Menschen hat
Veränderungen durch die Forschung in der Neurobiologie und in der
Gehirnforschung erlebt. Ich wollte ursprünglich noch sehr viel stärker auf
dieses Thema eingehen, es wäre aber doch zu speziell gewesen. Und das
Thema "Ich" taucht ja bei vielen meiner Arbeiten auch für das Festival
auf. So z.B. in der Serie von Ich-Zeichnungen und Collagen, die seit 1955
- so lange ist das schon her - entstanden sind. Dieses Thema wird von mir
durchaus angesprochen. Aber nicht exklusiv in meiner Rede. Die beschäftigt
sich mit dem Thema "Provokation". Ich hatte sie schon vorher entworfen,
aber durch die Anschläge in New York und Washington hat das jetzt eine
ganz neue Brisanz bekommen. Allerdings handle ich das Thema nicht nur von
einer Seite ab. Ich mache eine kurze Vorrede, die sich mit diesen
aktuellen Ereignissen beschäftigt und zeige die verschiedenen Aspekte im
ästhetischen Bereich.
ON Kultur: Sie haben visuelle Musik und visuelle Poesie
angesprochen. Das ist aber nur ein Teil Ihrer über 40-jährigen Arbeit.
Kann man daraus eine Entwicklung ablesen?
Gerhard Rühm: Ich denke schon. Ich habe ja viele verschiedene
Medien miteinbezogen. Für mein Schaffen ist die Arbeit im Rundfunk sehr
wesentlich gewesen - und ist es noch. Ich habe ja sehr viel sozusagen
experimentelle - ich mag das Wort im Zusammenhang mit Kunst nicht sehr -
Hörspiele gemacht. Und die sind alle abrufbar in der Ausstellung. Das ist
z.B. ein ganz spezieller Bereich von auditiver Poesie, die ich, wenn man
das so ausdrücken kann, sehr stark beackert habe.
ON Kultur: Sie haben nicht nur experimentelle Hörspiele, sondern
auch Theaterstücke geschrieben. Eines davon war die Ehe-Tragikkomödie "Der
Ring". Es ist ein ganz kurzes Stück: Vorhang auf, auf der Bühne liegt ein
Ehering, Vorhang zu. Heuer wird "die goldene hochzeit " als Puppentheater
zu sehen sein.
Gerhard Rühm: Das ist ein eher grotesker Text, der um Pillen und
um Brillen - Sie sehen, da gibt es eine Laut-Verwandtschaft - handelt. Und
es treten darin der Teufel und der Engel auf. Es ist ein spektakuläres
Puppenspiel, zu dem ich auch die Musik geschrieben habe. Das sind Dinge,
die mir zwar wichtig sind, die aber zum Teil zu meinem eigenen Vergnügen -
ich hoffe, auch zum Vergnügen des Publikums - entstanden sind.
ON Kultur: Bleiben wir beim Theater. Ich habe kürzlich ein
Interview gelesen, in dem Sie sich gegen modernes Regietheater, gegen
Textveränderungen, gegen die Modernisierung von Klassikern ausgesprochen
haben. Ist das für jemanden, der einmal gesagt hat "Kunst soll
provozieren" nicht sehr ungewöhnlich?
Gerhard Rühm: Ich finde das überhaupt nicht ungewöhnlich. Denn
ich finde wenn schon, dann soll man neue Texte verwenden. Wogegen ich bin
ist, dass ein Stilbruch entsteht. Wenn ich eine Händel-Oper in Bluejeans
sehe, hört für mich der Spaß auf. In diesem Sinne bin ich gegen derartige
Dinge. Abgesehen davon, ist es ja so, dass das Theater im Text-Bereich
noch immer sehr konservativ ist. Im Grunde - das ist z.B. auch bei Thomas
Bernhard so, der unter "modernes Theater" verkauft wird - ist das ja
vollständig konventionelles Dialog-Theater, eben mit raunzendem Unterton.
Aber eigentlich passiert da mit der Sprache nichts Interessantes und
Neues. Da toben sich dann die Regisseure aus, statt dass sie entsprechende
Stücke aufführen. Ich warte auf den Moment, wo die "Entführung aus dem
Serail" in Afghanistan handelt. Aber wahrscheinlich kommt das auch noch.
Irgendwo gibt es eine Grenze. Denn das passt nicht zum Stück, da müsste
man dann auch eine andere Musik schreiben. Man müsste es in Popmusik
verarbeiten.