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Kunstberichte

Spiritismus neben radikaler Aufklärung

Das Frankfurter Liebieghaus zeigt eine umfangreiche Schau der Köpfe von Franz Xaver Messerschmidt
Illustration
- Franz Xaver Messerschmidt: Der Gähner.

Franz Xaver Messerschmidt: Der Gähner.

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Während der Umbauarbeiten im Unteren Belvedere in Wien haben "Die phantastischen Köpfe des Franz Xaver Messerschmidt" im Frankfurter Liebieghaus ihre erste Einzelpräsentation in Deutschland. Für Direktor Max Hollein ist es eine Rückkehr zu wesentlichen Anregungen in seiner Kindheit, Kuratorin Maraike Bückling kann als Spezialistin ein erst 2004 gefundenes Bindeglied zwischen höfischen Porträts und den Charakterköpfen als Auftakt anbieten: Den antikisierenden Kopf des Fürsten Joseph Wenzel von Liechtenstein.

Von den ehedem 64 Köpfen und Büsten kennt man heute 55, davon sind in Frankfurt immerhin 20 (auch aus anderen wichtigen Sammlungen abgesehen vom Belvedere), zusammen gekommen.

Vom Versuch einer eindeutigen Erklärung des Phänomens ist man abgekommen, denn Messerschmidt spaltete schon seine Zeitgenossen. Nennt Friedrich Nicolai die Köpfe eine "unselige Arbeit" und beklagt die vom Künstler nutzlos investierte Zeit, erkennt Franz von Scheyb den "Wegweiser in die Moderne." Wie aktuell dieses Werke sind, wissen wir durch die künstlerischen Reaktionen von Arnulf Rainer, Cindy Sherman, Birgit Jürgensen, Florentina Pakosta, Jeff Wall oder Francis Bacon.

Legenden und

Geisterglauben

Die "Wiener Zeitung" hat in punkto Messerschmidt Pionierleistungen vollbracht, da es schon am 27. August 1783 in einem Ausstellungsbericht heißt: "Die Egyptischen (sic, Anm.) Köpfe drücken alle Arten der Leidenschaften und Rührungen aus". Es ist keineswegs negativ von Kuriosa die Rede.

Viele Legenden und Vorurteile begleiteten Franz Xaver Messerschmidt (1736–1783) schon zu Lebzeiten. Die Köpfe geben aber vor allem sein zeitlich bedingtes wissenschaftliches Interesse und eine kraftvolle Portion Eigensinn preis.

"Ägyptisch" wurden sie nicht nur durch die einem Pharaonenkopftuch ähnliche Kopfbedeckung des "Schmerzhaft stark Verwundeten" genannt, sondern durch die Maßeinheiten der menschlichen Proportionen, die Messerschmidt nach ägyptischem Vorbild verwendete. Allerdings wurde die Antike recht frei abgewandelt – und vor allem mit den geheimen Inhalten der Freimaurerlogen versetzt.

Die zeitgenössische akademische Debatte über Physiognomik in Wien, Paris und Rom beinhaltete – trotz Aufklärung – eine gehörige Portion Geisterglauben. Aber der Spiritismus hat die Künstler bis in die Moderne angetrieben, wenngleich kaum einer zu einer derartigen Höchstleistung gelangte wie Messerschmidt mit den "Charakterköpfen".

Sozialreformerischer Denker und Freimaurer

Ähnlich den späten schwarzen Gemälden und Drucken Francisco de Goyas entstanden sie ohne Auftraggeber aus eigenem Furor, die Kunst voran zu treiben.

Messerschmidt mangelnde Bildung nachzusagen wäre naiv, die seitens des Wiener Psychoanalytikers und Kunsthistorikers Ernst Kris 1932 diagnostizierte Paranoia, wurde längst relativiert.

Unkonventionell zeigt sich der Künstler auch im lachenden Selbstbildnis mit einer bäuerlichen Pelzkappe, die der damaligen Etikette nicht entsprach. Ebenso zäh wie beim englischen Kollegen William Hogarth scheint auch Messerschmidts Kampf gegen die Perücke Teil eines sozialreformerischen Denkens zu sein.

Heute gilt die von Messerschmidt favorisierte "Nachtseite der Wissenschaften" wie der animalische Magnetismus seines Wiener Freundes und Nachbarn (vielleicht auch Logenbruders) Franz Anton Mesmer (1734–1815), als Erklärung für Hanfschnüre, die manchem Charakterkopf den Spottnamen "Erhenkter" eintrug. Auch die Gegenstände im Mund mancher anderer gelten als Magneten und die Therapie des "Heilschlafs" kann einem Kopf zu geordnet werden.

Andere Köpfe passen aber weder in diese Reihe noch zu den sicheren Selbst bildnissen, und so bleibt der rote Faden des Messerschmidtschen Systems der Katharsis durch Kunst listenreich verborgen.

Die phantastischen

Charakterköpfe des Franz Xaver Messerschmidt

Kuratorin: Maraike Bückling

Liebieghaus Frankfurt

Zu sehen bis 11. März

Künstler als Psychologe.

Dienstag, 06. Februar 2007


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