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Kunstberichte

Notgemeinschaft zerreißt Vorhänge

Mumok Ebene 1: Die Sammlung Julius Hummel dokumentiert den Wiener Aktionismus von den Anfängen an
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- Günter Brus in der Aktion „Zerreißprobe“ am 19. Juni 1970.  Foto: Sammlung Hummel/mumok

Günter Brus in der Aktion „Zerreißprobe“ am 19. Juni 1970. Foto: Sammlung Hummel/mumok

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Das Freudjahr trifft sich passend mit dem Jahr des Sammelns im Mumok. Daher geht einer Schau eigener Neuankäufe die Sammlung Julius Hummel voran, von der Insider immer wussten, dass sie etwas Besonderes ist.

Die enorme Breite der Sammlung von Marcel Duchamp über Joseph Beuys bis Bruce Nauman konnte aber niemand so genau abschätzen, vor allem wenn es um den Bereich des Wiener Aktionismus ging. Wer jedoch einmal in Hummels Galerie in der Bäckerstraße hinein gerochen hat, begreift schnell: Hummel war meist vor anderen vor Ort und er kaufte oder tauschte nur höchste Qualität.

Theoretisch interessiert, hat er sich auch mit dem wichtigen Dokumentationsmaterial "eingedeckt" und früh Filme und Fotografie hoch eingeschätzt. Kurator Edelbert Köb kann als Direktor des Mumok eigentlich nur hoffen, dass sein Haus irgendwann mit diesen Werken vereint zum wirklich größten Kompetenzzentrum für Wiener Aktionismus wird.

Neben Günter Brus, Otto Muehl, Hermann Nitsch und dem früh verstorbenen Rudolf Schwarzkogler hat Hummel auch den teils internationalen Umkreis und die Nachfolge der umstrittenen Tabubrecher der Sechzigerjahre beleuchtet: Da taucht nicht nur Valie Export auf, es kommen auch Friedl Kubelka und Friederike Pezold, Adolf Frohner, Alfons Schilling, Arnulf Rainer und die Nachfolger Franz West, Gelatin (jetzt Gelitin) sowie Elke Krystufek vor.

Blickt man auf die Jahreszahlen und die klare Zielrichtung ist alles da, von den Materialbildern über Gerümpelskupturen bis zu Fotozyklen und Filmen, Manifesten und Publikationen.

Erstaunlich ist der historischen Kontext, in dem Hummel die Vertreter der Avantgarde von Anfang an sah. In seiner Sicht hat der körperbezogene Ansatz in Österreich von Egon Schiele bis Erwin Wurm eine konsequente Fortsetzung, ebenso aber Bezüge nach Amerika und zur Fluxusbewegung. Dabei schafft er es, Außenseiter wie Padhi Freiberger oder die Schlachthoffotos von Madame D'Ora zu integrieren. Die Kunstgeschichte könnte da einige Neuansätze finden.

Nitsch wies bei der Presseeröffnung einmal mehr auf die Notgemeinschaft hin, die er mit seinen drei Kollegen damals bildete, um eine konservative Gesellschaft aufzurütteln. Der Vergleich von der Aufarbeitung des Faschismus mit dem Zerreißen eines Vorhangs ist dabei eine religiöse Metapher.

Als Märtyrer der Boulevardpresse stellen sich die vor 40 Jahren nach der Uni-Aktion "Kunst und Revolution" gerichtlich Verfolgten gerne dar. Muehl transformiert Freuds Beschäftigung mit dem Tabu in seine persönliche Ansicht, es handle sich dabei um den gesellschaftlichen Maulkorb zur Behinderung des Denkens. Er ist heute, nach gescheitertem Gesellschaftsexperiment seiner Kommune, wieder Maler, Brus widmet sich vor allem der Verbindung von Bild und Text, Nitsch ist als einziger im Performativen geblieben.

Edelbert Köb (Kurator)

Mumok (1070 Wien, Museumsplatz 1)

Allumfassend!

Freitag, 05. Mai 2006


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