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19.05.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Ausstellung: Perlen auf der Baustelle
VON NICOLE SCHEYERER
"Lebt und arbeitet in Wien II" in der Wiener Kunsthalle.

Carola Dertnig will einen Gemeindebau umtaufen, der nach einem Arzt mit Nähe zum Nationalsozialismus benannt ist. Rita Vitorelli verbindet auf großen Leinwänden Zeichnung und expressive Malerei. Jun Yang hat ein Kinderspielmöbel für den Warteraum einer Staatsbürgerschaftsstelle entworfen. Richard Hoeck schickt in seinem Video einen patscherten Eilboten durch Wien. In der Kunsthallen-Ausstellung "Lebt und arbeitet in Wien II" prallen gleich auf den ersten paar Metern Gesellschaftskritik, Stilfragen, engagierte Kunst und Sozialsatire aufeinander. "Etwas von Jedem" ist Leitspruch dieser unverfänglichen Schau, die eine lebendige Szene vorstellen will und doch nur Einzelkämpfer auffädelt, die einander neutralisieren.

Im Jahr 2000 machte die Kunsthalle den ersten Anlauf, Wien als Kunststadt zu präsentieren. Wie damals wurden auch heuer ausländische Kuratoren zwecks Unbefangenheit eingeladen. Bei der Pressekonferenz meinten Trevor Smith (New Museum/New York) und Yuko Hasegawa (21st Museum of Contemporary Art/Kanazawa), sie wären schon neugierig auf die Ausstellung, die sie dann zum ersten Mal betraten. Sie waren mit der faktischen Gestaltung wenig betraut. Mit ihrer Warschauer Kollegin Hanna Wróblewska (Zacheta Gallery) hatten sie in nur zwei Tagen 40 Ateliers besucht und 23 Glückliche ausgewählt. Ein Vorteil der externen Kuratoren: Parallel zu Wien werden etliche Positionen auch in den österreichischen Kulturforen in New York, Warschau und Tokio gezeigt. Zu einer kuratorischen Idee konnten sich die Verantwortlichen aber nicht durchringen. Nur "jung" galt als Vorgabe - das heißt hier großzügig: unter 40.

"Lebt und arbeitet in Wien I" war die letzte Ausstellung im gelben Container am Karlsplatz. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Kunsthalle seit ihrem Umzug in das Museumsquartier mit dem weniger hippen Standort kämpft. Die Ausstellungsarchitektur soll offensichtlich etwas vom urbanen Flair der Verkehrsinsel ins barocke Gebäude bringen. "Propeller z" haben ein hohes Baugerüst entworfen, das den Raum völlig dominiert und sogar die riesige Diskokugel von "fabrics interseason" klein aussehen lässt. Die zwei Stockwerke dieses hässlichen Gestells erlauben zwar Ausblicke auf die Arbeiten aus unterschiedlichen Niveaus, aber die Wahrnehmung wird dadurch zusätzlich zerstreut. Zudem hapert es bei der Präsentation der vielen Videos, die dunkle Räume nötig hätten. Passenderweise gibt es in der Schau eine Bar: Museumsdirektor Matt hofft wohl auf Vernissage nonstop.

Den Mankos gegenüber steht die gezeigte Kunst, die unbedingt sehenswert ist. So zieht sich durch die deklariert thesenlose Schau ein feiner Schwerpunkt zum Thema Stadt. Nikolaus Gansterer lässt einen Wirbel aus bedruckten Papierstreifen zur Decke steigen, macht die zerschnipselten Texte als Soundscape hörbar. Diese Raumskulptur, die das Wissen einer urbanen Zone darstellen soll, vermittelt sehr ästhetisch künstlerische Denkprozesse.

Dorit Margreiter beschäftigt die Veränderung der öffentlichen Sphäre unter dem Diktat des Konsums. Ihr Video führt durch eine kalifornische Shopping Mall mit perfektem Altstadtgepräge. Leopold Kessler hat die Stadt als Schmarotzer durchquert: Mit einem 1200 Meter langen Kabel, das er an Strommasten und Bäumen befestigte, hat er von der Akademie der bildenden Künste Strom zu sich nach Hause geleitet.

Etliche Künstler aktualisieren gekonnt historische Stoffe. In seinem betörenden Video "Children's Crusade" setzt Markus Schinwald eine Puppe als Rattenfänger von Hameln ein. Misha Stroj nimmt ein Gedicht des afrokaribischen Schriftstellers Aimé Cesaire zum Ausgangspunkt einer anziehend rätselhaften Installation. Das Erbe des Modernismus spielt eine besondere Rolle in den vielschichtigen Arbeiten von Flora Neuwirth und Marko Lulic.

Was unterscheidet den Wiener Kunstbetrieb von anderen Großstädten? Unter welchen Produktionsbedingungen arbeiten Künstler hierzulande? Wie prägt heimische Geschichte die Gegenwartskunst, was sind gemeinsame Angelpunkte? Diese Fragen beantwortet auch die zweite Ausgabe von "Lebt und arbeitet in Wien" nicht. Es bleibt wohl an den Beteiligten, in den Künstlergesprächen darüber Auskunft zu geben.

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