Gegensätzliche Interessen

"Wir sollten jetzt wirklich lernen, dass bei spannenden, heiklen, problematischen Neubau-Projekten auch wirklich eine offene, ehrliche Öffentlichkeitsarbeit gemacht wird", so Architekt Dietmar Steiner.
Von Sabine Oppolzer.


Denkmalschutz kontra Stadtentwicklung: Das sind die gegensätzlichen Interessen, die in der Diskussion um das Hochhausprojekt Wien-Mitte aufeinanderprallen. Kein Tag, an dem nicht neue Aspekte zu diesem Thema in den Medien auftauchen.

Für kultur.ORF.at hat Sabine Oppolzer als Befürworter den Leiter des Architekturzentrums Wien, Dietmar Steiner, Planungsstadtrat Rudolf Schicker und als Gegner Architekt Gustav Peichl sowie Architektur-Doyen Roland Rainer befragt. Letzterer meinte: "Diese Eitelkeit mit den Türmen geht mir schon auf die Nerven. Und sie ist auch nicht begründet."

Das Projekt (Zum Vergrößern anklicken) / ©Bild: APA
Das Projekt (Zum Vergrößern anklicken) / ©Bild: APA

Denkmalschützer kontra Investoren

In Wien-Mitte feilschen Denkmalschützer und Investoren um jeden der 97 Meter, die dort laut Flächenwidmung erlaubt sind. In dieser Bauhöhe soll das geplante Einkaufs-, Entertainment- und Bürocenter über dem Bahnhof Wien-Mitte entstehen.

Mit einer Bauhöhe von 97 Metern für das Center, das über dem Bahnhof Wien-Mitte entstehen soll, befürchten die Hochhaus-Gegner, dass das Etikett UNESCO-Weltkulturerbe für das allzu nahe Zentrum Wiens verloren gehen könnte.

Befürchtungen um Weltkulturerbe

Diese Befürchtungen betrachtet die Leiterin des UNESCO-Büros Wien, Gabriele Eschig, als übertrieben. Zumal die eigentlichen Initiatoren der Welterbe-Liste die Mitgliedsstaaten selbst sind, wie sie erklärt: "Die 'Rote Liste' ist für die Länder schon ein Signal oder Schande, von der sich jeder Mitgliedstaat bemüht, wieder herunter zu kommen. Mir ist nicht bekannt, dass eine weitere Konsequenz wie Aberkennung des Status' 'Weltkulturerbe' bisher erfolgt ist."

Streit um Höhe

Durch eine Reduzierung der Bauhöhe würden die derzeit geplanten drei schlanken Türme klobiger und klotziger werden. Trotzdem hat Planungsstadtrat Rudolf Schicker die Investoren in einem Schreiben wissen lassen, er wünsche sich eine Reduzierung der Bauhöhe auf unter 90 Meter und eine Stellungnahme bis 15. März verlangt.

Die Denkmalschützer verlangen eine Höhe von 66 Meter wie beim benachbarten "Hilton-Hotel". Von Seiten der Investoren wird ins Treffen geführt: Mit dieser Höhe sei das Projekt nicht mehr rentabel.

Peichl-Kritik an Bauherren

Projektgegner Architekt Gustav Peichl, der gemeinsam mit Boris Podrecca für den Millenniumstower verantwortlich zeichnet, argumentiert so: "Was ich eigenartig finde, ist die Antwort der Betreiber, also der Bauherren. Wenn man Kritik übt, sagen sie: Das rechnet sich sonst nicht. Ich finde das einen Zynismus. Die reden überhaupt nicht von Qualität, von Stadtgestaltung, von Kultur, von Architektur - das interessiert sie überhaupt nicht."

Fluchtlinien-Bescheid

Planungsstadtrat Schicker meint zu den Hochhäusern Wien-Mitte, die auf einem rechtsgültigen Fluchtlinien-Bescheid basieren: "Die Baupolizei muss dann, wenn das Projekt den Vorschriften entspricht, die Genehmigung erteilen. Das ist keine Kann-, sondern eine Muss-Bestimmung. Es soll sich jeder, der da groß wettert, überlegen, was das bei seinen eigenen Projekten bedeuten würde. Professor Peichl würde sich schön bedanken, wenn man sagen würde: Na, jetzt gefällt uns das nicht mehr, jetzt dürfen Sie Ihr Projekt nicht mehr bauen."

Soll Österreich in Zukunft als Standort für internationale Investoren - im Fall Wien-Mitte handelt es sich um eine portugiesische Investorengruppe - interessant bleiben, so muss die Rechtssicherheit gewährleistet sein.

Gefahr von Schadenersatz-Forderungen

Andernfalls wird sich die Regierung mit enormen Schadenersatzforderungen konfrontiert sehen. Immerhin werden in solchen Projekten von Seiten der Investoren Vorinvestitionen in Millionenhöhe getätigt.

"Österreich ist ein Rechtsstaat. Wir haben Rechtssicherheit bisher immer garantieren können. Ich werde mit Sicherheit nicht hergehen und da sagen: 'Jetzt ist Wien Weltkulturerbe und das Projekt darf jetzt nicht gebaut werden - ich könnte es rechtlich gar nicht", stellt Schicker fest.

"Totschlagsargument" Kulturerbe

Auch für den Leiter des Architekturzentrums Wien, Dietmar Steiner wäre eine Durchsetzung des "Weltkulturerbe-Argumentes" ein Totschlagsargument für jedes weitere größere Bauprojekt in Österreich.

Dietmar Steiner ist optimistisch: Auch in anderen Architektur-Diskussionen setzte sich letztlich die moderne Architektur durch. "Beim Weltkulturerbe geht es darum, ob das historische Zentrum von Timbuktu erhalten wird oder nicht. Es steht überhaupt nicht zur Debatte, ob dieser Fall auf Wien zutrifft - oder nicht. Wir haben Schutzzone, wir haben das Bundesdenkmalamt. Es ist ein rein touristisches Argument. Man sieht ja schon, dass die Tourismus-Staatssekretärin jetzt eine eigene Kampagne zur Vernetzung des österreichischen Weltkulturerbes als touristisches Programm ausruft. Das ist der einzige Grund, warum es ein Weltkulturerbe gibt."

Lex Haas-Haus

Als Beispiel führt Architekt Steiner die Problematik um den Abriss des alten Haas-Hauses an: "Damals gab es noch einen sehr komischen Paragrafen in der Wiener Bauordnung. Der lautete, dass ein Neubau in der Schutzzone sich den Stilen der Nachbar-Häuser anzupassen hätte. Was im Falle des Haas-Hauses rund 200 Jahre Baugeschichte in den unterschiedlichsten Ausprägungen umfasst hätte. Dieser Unsinn wurde damals abgeschafft. Diese Änderung nannte man damals Lex Haas-Haus'", erläutert Steiner.

Entertainment und Shopping-Malls

Nahe der Innenstadt, aber außerhalb des Rings, sollen nun über dem Bahnhof Wien-Mitte Entertainment-Center und Shopping-Malls entstehen. Zu zwei Dritteln sollen die Türme als Büros und Hotels Verwendung finden.

Derzeit ist das Bahnhofsgebäude für Planungsstadtrat Rudolf Schicker höchst renovierungsbedürftig: "Der Busbahnhof ist abgesiedelt. Die Gänge, die dort bestehen, sind wenn Sie erlauben unerträglich. Sie sind von der Beleuchtung her unattraktiv. Das Gebäude selbst ist abgewohnt und unattraktiv. Man flüchtet durch. Wir wollen an so einem Standort keine Verslumung entstehen lassen. Wien ist eine reiche Stadt, Österreich ist ein reiches Land. Wir können es uns leisten, solche Standorte zu etwas Schönem zu entwickeln."

Aspekt der Stadtentwicklung

Dietmar Steiner betont vor allem den Aspekt der Stadtentwicklung: "Wien-Mitte ist deswegen ein wichtiges Projekt für die Stadt, weil einfach die Hochwertigkeit des Standortes nach vielen verschiedenen Nutzungen verlangt. Man muss sich vergegenwärtigen: Wenn die Flughafen-Schnellbahn kommt, ist man in 15 Minuten am Flughafen. Überall in der Welt bauen sie Flughäfen zu Büro- und Einkaufsstandorten aus. Es ist dann wirklich eine städtebauliche Gefahr, dass hier Kaufkraft und Nutzflächen nach Schwechat abwandern."

Es muss etwas geschehen

Dass an diesem Standort etwas geschehen muss, ist bei Befürwortern und Gegnern des Projektes unbestritten. Roland Rainer selbst hat Mitte der 80er Jahre als Gutachter ein Projekt für Wien-Mitte erstellt. Auch sein Entwurf sah ein Einkaufzentrum mit Dachgeschoßwohnungen vor - allerdings nicht höher als die umliegenden Gebäude.

"Das ist dieser Block. Ich habe ihn dicht gemacht, weil man ihn gut nutzen will, aber ich habe ihn nicht in der Form von Türmen in die Höhe getrieben. Es war meine Auffassung, dass man hier wohl dicht sein muss, um den Platz gut zu nutzen und Leben zu fördern. Aber man muss das Projekt nicht so in die Höhe treiben, dass eine ganze Gruppe von Türmen entsteht", meint Rainer.

Konzept aus Architektur-Wettbewerb

Das jetzige Konzept mit drei Türmen mit maximal 97 Meter Höhe ist das Resultat eines Architektur-Wettbewerbes.

Befürworter Dietmar Steiner wirft der ARGE Architekten Wien Mitte, zu der die Büros Neumann&Steiner, Ortner&Ortner sowie Lintl&Lintl gehören, Folgendes vor: "Gerade bei Wien-Mitte muss man dem Bauträger vorwerfen, dass er zu wenig getan hat, um die Bevölkerung zu informieren. Wie man sieht, kann es die nichtigsten Gründe geben, dass irgendwann wieder einmal eine Bewegung gegen ein Projekt aufflammt."

Beschwerde beim Verfassungsgericht

Jüngster Stein des Anstoßes: die Flächenwidmungspläne, die die Bürgerinitiative Wien-Mitte - wie am Mittwoch bekannt wurde - veranlassen, eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Übrigens konnte auch für diesen Beitrag trotz mehrmaliger Versuche keine Stellungnahme von der ARGE Architekten Wien-Mitte eingeholt werden.

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