Denkmalschutz kontra Stadtentwicklung:
Das sind die gegensätzlichen Interessen, die in der Diskussion um das
Hochhausprojekt Wien-Mitte aufeinanderprallen. Kein Tag, an dem nicht neue
Aspekte zu diesem Thema in den Medien auftauchen.
Für kultur.ORF.at hat Sabine Oppolzer als Befürworter den Leiter des
Architekturzentrums Wien, Dietmar Steiner, Planungsstadtrat Rudolf
Schicker und als Gegner Architekt Gustav Peichl sowie Architektur-Doyen
Roland Rainer befragt. Letzterer meinte: "Diese Eitelkeit mit den Türmen
geht mir schon auf die Nerven. Und sie ist auch nicht begründet."
![Das Projekt (Zum Vergrößern anklicken) / ©Bild: APA](00060639-Dateien/2-wien-mitte-t.jpe) |
Das Projekt (Zum Vergrößern anklicken) /
©Bild: APA |
Denkmalschützer kontra Investoren
In Wien-Mitte feilschen Denkmalschützer und Investoren um jeden der 97
Meter, die dort laut Flächenwidmung erlaubt sind. In dieser Bauhöhe soll
das geplante Einkaufs-, Entertainment- und Bürocenter über dem Bahnhof
Wien-Mitte entstehen.
Mit einer Bauhöhe von 97 Metern für das Center, das über dem Bahnhof
Wien-Mitte entstehen soll, befürchten die Hochhaus-Gegner, dass das
Etikett UNESCO-Weltkulturerbe für das allzu nahe Zentrum Wiens verloren
gehen könnte.
Befürchtungen um Weltkulturerbe
Diese Befürchtungen betrachtet die Leiterin des UNESCO-Büros Wien,
Gabriele Eschig, als übertrieben. Zumal die eigentlichen Initiatoren der
Welterbe-Liste die Mitgliedsstaaten selbst sind, wie sie erklärt: "Die
'Rote Liste' ist für die Länder schon ein Signal oder Schande, von der
sich jeder Mitgliedstaat bemüht, wieder herunter zu kommen. Mir ist nicht
bekannt, dass eine weitere Konsequenz wie Aberkennung des Status'
'Weltkulturerbe' bisher erfolgt ist."
Streit um Höhe
Durch eine Reduzierung der Bauhöhe würden die derzeit geplanten drei
schlanken Türme klobiger und klotziger werden. Trotzdem hat
Planungsstadtrat Rudolf Schicker die Investoren in einem Schreiben wissen
lassen, er wünsche sich eine Reduzierung der Bauhöhe auf unter 90 Meter
und eine Stellungnahme bis 15. März verlangt.
Die Denkmalschützer verlangen eine Höhe von 66 Meter wie beim
benachbarten "Hilton-Hotel". Von Seiten der Investoren wird ins Treffen
geführt: Mit dieser Höhe sei das Projekt nicht mehr rentabel.
Peichl-Kritik an Bauherren
Projektgegner Architekt Gustav Peichl, der gemeinsam mit Boris Podrecca
für den Millenniumstower verantwortlich zeichnet, argumentiert so: "Was
ich eigenartig finde, ist die Antwort der Betreiber, also der Bauherren.
Wenn man Kritik übt, sagen sie: Das rechnet sich sonst nicht. Ich finde
das einen Zynismus. Die reden überhaupt nicht von Qualität, von
Stadtgestaltung, von Kultur, von Architektur - das interessiert sie
überhaupt nicht."
Fluchtlinien-Bescheid
Planungsstadtrat Schicker meint zu den Hochhäusern Wien-Mitte, die auf
einem rechtsgültigen Fluchtlinien-Bescheid basieren: "Die Baupolizei muss
dann, wenn das Projekt den Vorschriften entspricht, die Genehmigung
erteilen. Das ist keine Kann-, sondern eine Muss-Bestimmung. Es soll sich
jeder, der da groß wettert, überlegen, was das bei seinen eigenen
Projekten bedeuten würde. Professor Peichl würde sich schön bedanken, wenn
man sagen würde: Na, jetzt gefällt uns das nicht mehr, jetzt dürfen Sie
Ihr Projekt nicht mehr bauen."
Soll Österreich in Zukunft als Standort für internationale Investoren -
im Fall Wien-Mitte handelt es sich um eine portugiesische Investorengruppe
- interessant bleiben, so muss die Rechtssicherheit gewährleistet
sein.
Gefahr von Schadenersatz-Forderungen
Andernfalls wird sich die Regierung mit enormen
Schadenersatzforderungen konfrontiert sehen. Immerhin werden in solchen
Projekten von Seiten der Investoren Vorinvestitionen in Millionenhöhe
getätigt.
"Österreich ist ein Rechtsstaat. Wir haben Rechtssicherheit bisher
immer garantieren können. Ich werde mit Sicherheit nicht hergehen und da
sagen: 'Jetzt ist Wien Weltkulturerbe und das Projekt darf jetzt nicht
gebaut werden - ich könnte es rechtlich gar nicht", stellt Schicker
fest.
"Totschlagsargument" Kulturerbe
Auch für den Leiter des Architekturzentrums Wien, Dietmar Steiner wäre
eine Durchsetzung des "Weltkulturerbe-Argumentes" ein Totschlagsargument
für jedes weitere größere Bauprojekt in Österreich.
Dietmar Steiner ist optimistisch: Auch in anderen
Architektur-Diskussionen setzte sich letztlich die moderne Architektur
durch. "Beim Weltkulturerbe geht es darum, ob das historische Zentrum von
Timbuktu erhalten wird oder nicht. Es steht überhaupt nicht zur Debatte,
ob dieser Fall auf Wien zutrifft - oder nicht. Wir haben Schutzzone, wir
haben das Bundesdenkmalamt. Es ist ein rein touristisches Argument. Man
sieht ja schon, dass die Tourismus-Staatssekretärin jetzt eine eigene
Kampagne zur Vernetzung des österreichischen Weltkulturerbes als
touristisches Programm ausruft. Das ist der einzige Grund, warum es ein
Weltkulturerbe gibt."
Lex Haas-Haus
Als Beispiel führt Architekt Steiner die Problematik um den Abriss des
alten Haas-Hauses an: "Damals gab es noch einen sehr komischen Paragrafen
in der Wiener Bauordnung. Der lautete, dass ein Neubau in der Schutzzone
sich den Stilen der Nachbar-Häuser anzupassen hätte. Was im Falle des
Haas-Hauses rund 200 Jahre Baugeschichte in den unterschiedlichsten
Ausprägungen umfasst hätte. Dieser Unsinn wurde damals abgeschafft. Diese
Änderung nannte man damals Lex Haas-Haus'", erläutert Steiner.
Entertainment und Shopping-Malls
Nahe der Innenstadt, aber außerhalb des Rings, sollen nun über dem
Bahnhof Wien-Mitte Entertainment-Center und Shopping-Malls entstehen. Zu
zwei Dritteln sollen die Türme als Büros und Hotels Verwendung finden.
Derzeit ist das Bahnhofsgebäude für Planungsstadtrat Rudolf Schicker
höchst renovierungsbedürftig: "Der Busbahnhof ist abgesiedelt. Die Gänge,
die dort bestehen, sind wenn Sie erlauben unerträglich. Sie sind von der
Beleuchtung her unattraktiv. Das Gebäude selbst ist abgewohnt und
unattraktiv. Man flüchtet durch. Wir wollen an so einem Standort keine
Verslumung entstehen lassen. Wien ist eine reiche Stadt, Österreich ist
ein reiches Land. Wir können es uns leisten, solche Standorte zu etwas
Schönem zu entwickeln."
Aspekt der Stadtentwicklung
Dietmar Steiner betont vor allem den Aspekt der Stadtentwicklung:
"Wien-Mitte ist deswegen ein wichtiges Projekt für die Stadt, weil einfach
die Hochwertigkeit des Standortes nach vielen verschiedenen Nutzungen
verlangt. Man muss sich vergegenwärtigen: Wenn die Flughafen-Schnellbahn
kommt, ist man in 15 Minuten am Flughafen. Überall in der Welt bauen sie
Flughäfen zu Büro- und Einkaufsstandorten aus. Es ist dann wirklich eine
städtebauliche Gefahr, dass hier Kaufkraft und Nutzflächen nach Schwechat
abwandern."
Es muss etwas geschehen
Dass an diesem Standort etwas geschehen muss, ist bei Befürwortern und
Gegnern des Projektes unbestritten. Roland Rainer selbst hat Mitte der
80er Jahre als Gutachter ein Projekt für Wien-Mitte erstellt. Auch sein
Entwurf sah ein Einkaufzentrum mit Dachgeschoßwohnungen vor - allerdings
nicht höher als die umliegenden Gebäude.
"Das ist dieser Block. Ich habe ihn dicht gemacht, weil man ihn gut
nutzen will, aber ich habe ihn nicht in der Form von Türmen in die Höhe
getrieben. Es war meine Auffassung, dass man hier wohl dicht sein muss, um
den Platz gut zu nutzen und Leben zu fördern. Aber man muss das Projekt
nicht so in die Höhe treiben, dass eine ganze Gruppe von Türmen entsteht",
meint Rainer.
Konzept aus Architektur-Wettbewerb
Das jetzige Konzept mit drei Türmen mit maximal 97 Meter Höhe ist das
Resultat eines Architektur-Wettbewerbes.
Befürworter Dietmar Steiner wirft der ARGE Architekten Wien Mitte, zu
der die Büros Neumann&Steiner, Ortner&Ortner sowie Lintl&Lintl
gehören, Folgendes vor: "Gerade bei Wien-Mitte muss man dem Bauträger
vorwerfen, dass er zu wenig getan hat, um die Bevölkerung zu informieren.
Wie man sieht, kann es die nichtigsten Gründe geben, dass irgendwann
wieder einmal eine Bewegung gegen ein Projekt aufflammt."
Beschwerde beim Verfassungsgericht
Jüngster Stein des Anstoßes: die Flächenwidmungspläne, die die
Bürgerinitiative Wien-Mitte - wie am Mittwoch bekannt wurde - veranlassen,
eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Übrigens konnte
auch für diesen Beitrag trotz mehrmaliger Versuche keine Stellungnahme von
der ARGE Architekten Wien-Mitte eingeholt werden.