diepresse.com
zurück | drucken
24.05.2002 - Ausstellung
Gefangen im Rahmen: Wenn Bilder noch das Leben atmen
Die Wiener Kunsthalle spürt in der intimen Ausstellung "Tableaux Vivants" der Tradition der Lebenden Bilder vom 19. Jahrhundert bis in die zeitgenössische Kunst nach.
VON ALMUTH SPIEGLER


Inszenierung ist das halbe Leben. Um ihre Reize keusch zur Schau zu stellen, warfen sich im 19. Jahrhundert junge Damen in die anmutigen Posen von Madonnen, Nymphen und Sagenfiguren. Um eine Mineralwasserflasche zu verkaufen, werden auf Plakaten die Models schon einmal nach Manets "Frühstück im Grünen" plaziert. Was in der Antike begann, in der Renaissance, in den pompösen Festzügen des Barocks weiterlebte und zu Goethes Zeit die bürgerlichen Salons zu andächtigen Seufzern bewegte, ist bis heute in Film, Photographie und Video zu finden: Das lebende Bild, die Tableaux Vivants. Dieser Kunstgattung zwischen Performance und Statik widmet die Kunsthalle im Museumsquartier eine Überblicksausstellung.

Lebende Skulptur

Beginnend mit der Frühzeit der Photographie, Mitte des 19. Jahrhunderts, folgt die Schau der Tradition der nachgestellten Gemälde bis in die heutige Kunstproduktion. Nicht ausgelassen wird auch die künstlerische Zwillingsschwester, die "Attitüde", in der klassische Haltungen eingenommen werden, sozusagen eine "lebende Skulptur" geschaffen wird.

Werke von 35 Künstlern, darunter Magritte oder Man Ray, Karl Valentin oder Cindy Sherman werden gezeigt. Überraschend ist die Vielfalt der Darstellungsmöglichkeiten und die unterschiedlichen Motivationen der Künstler, ein Lebendes Bild einzusetzen. Die feministische Kunst (Sherman, Valie Export) benutzte tradierte Posen zur Demaskierung weiblicher Rollenmuster, der Aktionismus (Arnulf Rainer) stellte den gepeinigten Körper in den Mittelpunkt, Pierres et Gilles die hohlen zum Kitsch verkommenen Idealbilder.

Neben absehbar zum Thema passenden Künstlern, setzte die Kunsthalle aber auch auf Grenzgänger. Wenn in einem Video Drogensüchtige mit aller Mühe für einige Minuten zu einer Art Sozialplastik erstarren, wie ein Caravaggio-Gemälde mit Schlagschatten modelliert, wird Kunst beunruhigend.

Ausschnitt und Rahmen

Was definiert ein lebendes Bild? Die Grenzen scheinen immer stärker zu verschwimmen. In einem Video von Liza May Post robben und schleichen mit gemusterten Stoffen bekleidete Figuren wie Chamäleons durch eine Teppichlandschaft, erstarren in immer neuen Posen zum exotischen, atmenden Skulpturengarten. Hier macht der Ausschnitt das Bild. Festgelegter Rahmen, strenge Inszenierung sind wohl die Kennzeichen der Lebenden Bilder der Gegenwart.

Durchdacht ist auch die Ausstellungsarchitektur. In die Halle Eins wurde praktisch ein eigenständiges Objekt, ein überdimensionaler Tisch, eingebaut. Auf der Platte werden großformatige Arbeiten wie Hiroshi Sugimotos mehr als sieben Meter breites "Letztes Abendmahl" gezeigt. Auch Eleanor Antins Serie von knalligen Farbphotographien, "The Last Days of Pompeii", findet hier ihren Platz. Sozusagen unter der Tischplatte, zu ebener Erde, wurde ein System von intimen Kojen eingerichtet, wo kleinere Arbeiten wie Karl Valentins Posen als lebende Karikatur durch die Nähe wirken können.

Bis 25. August, täglich 10 bis 19 Uhr, Do. bis 22 Uhr.



© Die Presse | Wien