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Ein vernebeltes Mahnmal

09.10.2008 | 19:09 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Kunst ist sehr einfach, oder sie ist es nicht.

“ Diese Wortspende des Komponisten Giacinto Scelsi haben mir voriges Jahr dankenswerterweise die Salzburger Festspiele ins Programmheft geschrieben. Seither hängt sie neben meinem PC und soll mir über diverse Sinnkrisen hinweghelfen. Sollte. Denn in der bildenden Kunst ist das Einfache meist ziemlich uneinfach.

Olafur Eliasson zum Beispiel. Sonnenuntergänge, ein Föhn, der sich selbst durch die Luft treibt, Wasserfälle unter New Yorks Brücken und ab heute gelber Nebel, der täglich in der Dämmerung die Verbund-Zentrale am Hof umwabern wird. Unsere Sinne mit (artifizieller) Natur betören und diese uns so wieder sichtbar machen, das hat der umweltbewusste Superstar aus Dänemark mit Wahlheimat Island meist vor. Schön einfach. Und dann gehen wegen seiner Wasserfälle in Brooklyn die Bäume ein – bzw. müssen täglich mit Wasser besprüht werden, um sie von Salz und Öl aus der Gischt der Kunst zu befreien.

Und auch der „Yellow Fog“ – so stolz Wien sein kann, ihn nach dreijährigem Hürdenlauf endlich aufsteigen zu lassen – bietet um einiges Brisanteres als Eliassons offizielle wolkige Problematisierung des öffentlichen Raums. Gerade für den Wiener Standort ist die Entstehungsgeschichte der Installation interessant: 1998 wurde sie für das Jüdische Museum New York entwickelt und war einer von acht Künstlerbeiträgen zum Beginn der Chanukka, des jüdischen Lichterfests. Nur, die Farbe Gelb steht in der abendländischen Kultur für alles andere als warmen Kerzenschein. Seit einem Befehl von Kalif Harun al-Rashid 807, der Juden einen gelben, Christen einen blauen Gürtel vorschrieb, steht Gelb für die Ausgrenzung und spätere Verfolgung und Vernichtung der Juden bis zum Holocaust.

Was Eliasson einst vielleicht an die Schwefelquellen Islands erinnert haben mag, wird in Wien, gleich ums Eck des Holocaust-Memorials – bezahlt vom Verbund, der mit Kaprun und Großraming Wasserkraftwerke nutzt, die in der NS-Zeit von Zwangsarbeitern errichtet wurden – zum unausgesprochenen Mahnmal gegen einen immer wieder aufkeimenden, aufsteigenden, unseren Alltag vernebelnden Antijudaismus.


almuth.spiegler@diepresse.com


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