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Kontinuität des Kolossalen

18. Jänner 2011, 17:41
  • Artikelbild: Bizarre, bezaubernde Objekte im "Heiligtum" oder "Traumraum eines 
Kindes" von Gülsün Karamustafa. - Foto: Rastl/Akademie

    Bizarre, bezaubernde Objekte im "Heiligtum" oder "Traumraum eines Kindes" von Gülsün Karamustafa.


Gülsün Karamustafas "The Monument and the Child" in der Wiener Akademie

Wien - Ein kleines Mädchen im Faltenrock posiert keck mit einem Steinriesen: Die Hände an dessen Popo schiebt es - erfolglos. "Türken, seid stolz, arbeitet hart und vertraut", steht auf dem Sockel. Kolossales mit monumentalem Gestus: Als sich die Türkei mit der Republiksgründung 1923 neu erfand, gab sie sich auch ein anderes architektonisches Äußeres. Ab 1927 war dieser Bruch mit traditionellen Baustilen zu bemerken.

Das Gesicht des nun zur Kapitale ausgerufenen Provinzstadt Ankara prägten künftig deutsche und österreichische Architekten, etwa Clemens Holzmeister. Auch Staatsdenkmäler entwarfen Europäer, darunter Österreicher wie Anton Hanak und Josef Thorak. Und erblickt man in einer türkischen Stadt eine Statue von Atatürk hoch zu Ross, ist sie oft von Heinrich Krippel. Dass mit Erstarken des Dritten Reichs viele Kulturschaffende ihre Heimat verlassen mussten, intensivierte die Zusammenarbeit. Atatürk war gerade erst damit beschäftigt, Universitäten zu gründen; emigrierte Intellektuelle übernahmen an diesen wichtige Funktionen.

Vom Nazismus, einem traurigen Kapitel der Geschichte, konnte die Türkei sehr profitieren, sagt die türkische Künstlerin Gülsün Karamustafa. Ihre Ausstellung The Monument and the Child schließt das von EU und British Council finanzierte Projekt My City ab (der Standard berichtete).

Zeit der Erneuerung

Die intensiven Verknüpfungen zwischen Türkei und Österreich beschäftigten die 64-Jährige, die zu den international renommiertesten Künstlerinnen ihres Landes zählt, bereits während ihres letzten Projekt-Aufenthalts in Wien 2010. Dass sie den Fokus neuerlich auf die 1920er, die Zeit der Erneuerung, richtet, hat mit dem Ort der Schau, der Akademie der bildenden Künste zu tun, erklärt Karamustafa: Holzmeister und Hanak waren hier Professoren.

Das autobiographische Foto, das Karamustafa in einer Aufnahme ihres Vaters, eines Journalisten, zeigt, ist der Auftakt zu einem in vier Räumen variierten, aber stets der Erinnerung der Künstlerin folgenden Thema. Die Fotos der Kleinen inmitten der Riesen hat sie etwa als Fries arrangiert und so "die Enge, das Sich-eingezwängt-Fühlen" verbildlicht: Sie stellte den unmittelbaren körperlichen Ausdruck eines Kindes dem machtvollen Apparat des Staates gegenüber.

Zentral ist ihre Installation aus kitschigen Figürchen, hybrid zusammengefügte, bizarre Objekte. Es ist ein Traumraum des Kindes, ein Eindruck, den ein in Rosa getauchter Film eines tanzenden Mädchens verstärkt. Die Porzellanhündchen, Bonbonieren und Vasen stehen für Nippes europäischer Herkunft, der auch die Salons der Türkei behübschte, und für Formen und Stilvokabular, das Kleinmädchenträume anfüllte. Im letzten Raum, dem "Haus", lässt sie alles zusammenfließen: Die Motive, der Traum und die harte Realität, überlagern sich.

Gülsün Karamustafa ist eine äußerst intelligente und formal grandiose Auseinandersetzung mit den Themen Prägung, Verinnerlichung und Bewahren von Kontinuitäten gelungen, die neuerlich unterstreicht, wie politisch das Private ist.  (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 19. 1. 2011)


Bis 27. 2.

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