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Zurück oder vor: Moderne gesucht

25.04.2007 | 18:29 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Sommer der Kunst. Was bringt die seltene Konstellation aus Biennale, Documenta und Skulptur-Projekte Münster?

Boom, Hype und Hausse – die Inflation dieses eher in der Wirtschaft üblichen „New Speek“ für bildende Kunst hat in den vergangenen Monaten einen neuen Tiefpunkt erreicht. Wenig Magazine, wenig Sachbücher („Hype! Kunst und Geld“), wenig Pressemeldungen kommen ohne dieses grelle Trällern aus. Weltweit melden Museen Besucherrekorde (der Louvre führt mit 8,3 Mio.), der Kunstmarkt schleudert ein teuerstes Bild nach dem anderen aus dem Auktionssaal – und die Vielflieger-Konten von Künstlern feiern ebenso wie die Wartelisten ihrer Galeristen fröhliche Höchststände.

Dass so heiß aber auch wieder nicht gegessen wird, davon kann jeder ausgehen, der ahnt, dass die Königsmacher von Boom, Hype und Hausse nicht zufällig Marketing und PR heißen dürften. Trotzdem. Der Trend – inklusive Nebenwirkungen von Banalisierung, Überforderung bis Überhitzung – ist klar. In England sollen schon mehr Leute in Museen als in Fußballstadien gehen. Nach dem global expandierenden Guggenheim-Prinzip der 90er Jahre steigen jetzt, in der nächsten Welle der Kommerzialisierung der Kunstinstitutionen im neuen Jahrtausend, auch die französischen Museen wie Louvre und Centre Pompidou ins Franchise-Geschäft ein – und vermieten sich um hunderte Millionen Euro als Touristenattraktionen nach Abu Dhabi und Shanghai.

Und fast so rasant wie die Kunstmessen (die in jedem noch so fernen Winkel, in mehr als 50 Staaten mittlerweile sprießen) wachsen die Kunst-Biennalen. 120 sind es bereits, jährlich werden es mehr, heuer etwa gönnt sich auch Athen eine Biennale.


„Grand Tour“ von Venedig bis Kassel

Kunst ist das neue Massenmedium, stellte „Die Zeit“ schon vergangenen Sommer fest. Spätestens diesen Sommer kann der beste Beweis zu dieser Beobachtung geführt werden: Vier Großveranstaltungen fallen diesen Juni zusammen – Biennale Venedig, Documenta 12 in Kassel und das seit 1977 nur alle zehn Jahre veranstaltete „Skulptur Projekte Münster“, wegweisend für Kunst im öffentlichen Raum. Dazwischen drängt sich noch die jährliche, aber wichtigste Kunstmesse weltweit, die „Art Basel“.

Über eine Million Besucher werden in Venedig erwartet, 650.000 in Kassel, 500.000 in Münster. Eine Art Mega-Sonnenfinsternis für die Kunstwelt, eine spektakuläre Konstellation, die erst einmal, 1997, zustande kam. Auf einer eigenen Homepage kann man sich über diese „Grand Tour 07“ informieren.

In diesem Viergestirn am gespanntesten erwartet wird die zwölfte Documenta. Von der als bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst geltenden Großschau, 1955 gegründet, um den Deutschen die unter dem Nazi-Regime vertriebene Moderne wieder näher zu bringen, wird traditionell Richtungsweisendes erwartet. Was auch die ebenso traditionelle Heimlichtuerei um Konzepte und Künstlerlisten im Vorfeld erklärt, die der diesjährige Leiter und Ex-Wahlwiener Roger M. Buergel geschickt für Irritationen zu nützen weiß.


„Was ist das bloße Leben?“

Statt auf Namedropping – aus Österreich bereits durchgesickerte Teilnehmer sind u.a. Gerwald Rockenschaub, Simon Wachsmuth, Peter Friedl, Olga Neuwirth – soll so wohl mehr Aufmerksamkeit auf die drei von ihm und seiner Frau und Co-Kuratorin Ruth Noack ausgegebenen Leitmotive gelenkt werden: Ist die Moderne unsere Antike? Was ist das bloße Leben? Bildung: Was tun?

Große Fragen. Auf die große Antworten erwartet werden. Die Buergel/Noack allerdings nicht liefern wollen. Sie nützen die Documenta eher als bildungsbürgerliche Institution für sich selbst: „Wir waren Idioten im ursprünglichen Sinn. Wir wollten uns bilden“, beschreiben sie den Beginn ihrer Reise durch die Welt, von der sie u.a. die nur mäßig originelle Einsicht mitbrachten, dass die Selbsteinschätzung der Europäer, Mittelpunkt der Welt zu sein, ziemlich provinziell sei.


Zurück zu den Wurzeln

Vielversprechender scheint da der Ansatz, zurück zu den Wurzeln der Documenta zu gehen und eine Typologie der Moderne sichtbar zu machen – untypisch für das zuletzt dem Zeitgeist verschriebene Ausstellungsformat. So wird das älteste Exponat aber eine persische Zeichnung aus dem 14.Jahrhundert sein, in der versucht wird, chinesische Formen zu wiederholen. Mit derartigen Ableitungen und Dialogen zwischen den Werken will Buergel Gegenwartskunst wieder verständlich machen. Ein Konzept, das etwa „Die Zeit“ bereits im Vorfeld zu Jubelstürmen und der Ankündigung einer „dialektischen Sensation“ verleitete.

Einiges deutet allerdings auch darauf hin, dass die Documenta für den normalen, sprich einmaligen Besucher recht schwierig zu rezipieren sein wird: Es scheint – wie bereits Buergel/Noacks Ausstellung „Die Regierung“ in der Secession 2005 – ein Work in Progress zu werden. Die Künstler müssen „nicht zu Beginn fertig sein“, sagte Buergel in einem Interview im „Profil“.


So viele Länder wie noch nie bei Biennale

Genau die konträre Strategie der Documenta – nämlich statt in die Vergangenheit in die Zukunft zu blicken, um die Gegenwart zu verstehen – proklamierte man im Vorfeld der Biennale Venedig. Hauptverantwortlicher ist heuer, nach den zwei Kuratorinnen María de Corral und Rosa Martínez 2005, wieder, wie üblich, ein Mann: US-Amerikaner Robert Storr.

Mit 77 Ländern werden so viele wie nie zuvor vertreten sein. Erstmals dabei sind der Libanon und die Türkei, Afrika bekommt einen Kontinent-Pavillon. Während Österreich im Länderpavillon mit Maler Herbert Brandl punkten will, sind in der Gruppenschau im Arsenale, Motto „Mit den Sinnen denken, mit dem Geist fühlen – Die Kunst in der Gegenwart“, drei weitere Österreicher vertreten:

Rainer Ganahls Projekt ist ebenso schon fertig wie das von Valie Export, die eine Performance aus den 60ern mit Aufnahmen ihrer Stimmritze wiederholen und einen neuen Film zeigen wird. Am präsentesten in Venedig aber wird Franz West sein: Im Arsenale mit großen Papiermaschee-Skulpturen und metallenen Sitzobjekten; im Palazzo Grassi, wo Françoise Pinault seine Sammlung zeigt, mit einer Hütte samt Lemurenkopf (Kooperation mit Rudolf Stingel); und in der von Künstlern organisierten Schau „Hamsterrad“ in einem der schönsten Häuser beim Arsenale.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2007)


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