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12.08.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Die Terra bleibt incognita
VON JOHANNA HOFLEITNER
Ausstellung. Krems präsentiert "Die ungarische Seele".

Tiefebene mit Ziehbrunnen. Uferlandschaft. Weidende Pferde. Heimkehrende Schafherde. Holztragende Frau. Dorfheld. Ochsengespann. Kein pannonisches Klischee, das die soeben in der Kremser Kunsthalle eröffnete Ausstellung "Die ungarische Seele" ausläßt. Nicht einmal die "Lagernden Zigeuner" fehlen oder der als verträumter "Orpheus" getarnte Stehgeiger. Letzterer hat es sogar aufs Plakat geschafft.

Das Material für die Schwelgerei liefert eine großzügige Leihgabe der Ungarischen Nationalgalerie in Budapest. 70 Gemälde, fast alle aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also der Periode der Romantik und des Realismus, hat das Budapester Museum für die von der Kunsthalle kühn auf ein halbes Jahr anberaumte Schau zur Verfügung gestellt. Der Großteil davon stammt, wie Kunsthallen-Direktor Tayfun Belgin bei der Presse-Begehung mitteilt, aus der ständigen Präsentation der Nationalgalerie, nicht aus dem Lager.

Die Schau versammelt natürlich nicht nur ländliche Sujets, auch der bürgerliche Alltag gelangt ausgiebig zur Darstellung. So sehen wir Lesende, Witwen, Taufgesellschaften. Dazu kommen noch Historienbilder, Mythologien und Szenen aus der Nationalliteratur. Etwa ein nach einer Ballade von János Arany erzähltes "Bahrgericht" von Jenó Gyárfás aus dem Jahr 1881, das zumindest größenmäßig imponiert: mit fast zwei Metern Höhe erreicht die sich hell aus einer dunklen Schar abhebende Protagonistin Lebensgröße. Worum es genau geht - nämlich ein traditionelles Gerichtsverfahren an der Bahre eines Ermordeten -, das erfährt der Besucher in der Ausstellung allerdings nicht.

Das ist eines der Hauptversäumnisse dieser Veranstaltung, die sich ebenso wenig gegen Klischees durchsetzen kann, wie es ihr an Spitzen und Reibungsflächen fehlt: Dass sie jedwede Erklärung schuldig bleibt.

Nicht nur, dass sich dem Publikum nicht erschließt, warum es sich mitten in der Wachau mit einem so entlegenen wie auch harmlosen Kapitel der europäischen Kunstgeschichte befassen soll: Da, wo dann, selten genug, doch einmal Interesse aufflammen könnte (etwa aufgrund eines interessanten Geschehens), erhält der Besucher erst recht keine Auskunft.

Wer etwa ist László Hunyadi, dessen Leichnam von seiner Verlobten so herzzerreißend beweint wird? Welches Schicksal ereilte Míhály Dobozy und seine Gattin, die sich auf einem düsteren Gemälde des Bertálan Székely mitten auf dem freien Feld umarmen? Im Katalog ist's nachzulesen. In der Ausstellung aber muss sich der Besucher auf die an den Kunstschulen zwischen Paris und Wien erlernte Raffinesse der Malerei, die Feinheit ihrer Farbverläufe und die Dramatik der Gestaltung konzentrieren. Oder am Ende, in der Fotogalerie, auf die leider durchgehend billigen Reprints des Budapester Stadtlebens im Fin-de-Siècle.

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