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05.07.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Die ganze Welt in Rot-Gelb-Blau
VON ALMUTH SPIEGLER
Belvedere. Roland Goeschl gab Humanic Farbe, Kollegen den Moderne-Baukasten.

D
ein Lehrer bin i", soll Fritz Wotru ba seinen Meisterschüler Roland Goeschl am Gang der Akademie angeschnauzt haben. Kurz davor hatte der österreichische Bildhauer-Solitär in einem Zeitungsartikel über die erste Einzelausstellung seines Studenten in der Galerie Würthle lesen müssen: Sein Vorbild sei Giacometti. Das war natürlich hart. Noch dazu, wenn man sich an den eigenen stilistischen Einfluss bereits derart gewöhnt hatte. Wotruba-Schüler, die erkennt man, sind sie im Medium der Bildhauerei geblieben, bis heute meist schnell.

Nicht ganz so schnell beim 1932 in Salzburg geborenen Goeschl. Vor allem, begeht man seine erste große Werkschau, die ihm die Österreichische Galerie jetzt, ein Jahr vor seinem 75. Geburtstag, ausgerichtet hat, verkehrt, von hinten nach vorne.

Doch erst einmal die Initialisierung, das Durchschreiten der Schlucht, die Goeschl in die Sala Terrena des Oberen Belvedere eingebaut hat, zwischen die schwer tragenden Atlanten, mitten ins Barock: kristallin-zackige Mauer-Fragmente, glänzend in knalligem Rot, Gelb und Blau. Wer hier passiert, weiß eigentlich schon alles, was die von Franz Smola und Tobias Natter ausgewählten 130 Exponate - in den letzten 50 Jahren entstandene Zeichnungen, Fotos, Skulpturen, Modelle, Posters - erzählen werden.

Goeschls in den drei Primärfarben bemalte hölzerne, eiserne oder kunststoffige Quader wurden zu seinem Markenzeichen. Aus ihnen baute er Säulen fürs Salzburger Messegelände und die TU Wien. Ließ sie vom Dach des 20er-Hauses purzeln oder aus den Fenstern eines Hauses am Berliner Kurfürstendamm. Pinselte sie auf Grazer Feuermauern und Wiener Hausfassaden. Die Idee der "Passage"-Installation im Belvedere etwa kann man bis in die sechziger Jahre zurückverfolgen über die "Sackgassen", die Goeschl vor dem Liechtenstein Palais, dem Österreich-Pavillon Venedig oder anlässlich des "Steirischen Herbsts" errichtet hat.

Der Reichtum von Goeschls Formenschatz ist nun einmal beherrschbar. Sprunghaftigkeit kann man ihm wirklich nicht vorwerfen. Seit gut 40 Jahren hat sich seine künstlerische Welt nicht wesentlich verändert. Und die erinnert frappant an einen quietschbunten Baukasten aus der Riesen-Kinderstube. Was sie durchaus soll und zu ihrer Zeit den Skulpturbegriff auch brav erweiterte. Mit Erfolg: Goeschls streng formaler Ansatz, seine Beschäftigung mit dem Modernismus der Zwanzigerjahre prägen heute einen mächtigen Teil der jüngeren österreichischen Künstlerschaft.

Und wäre da nicht der frühe Auftrag eines Schuh-Großhändlers gewesen, hätte Goeschl sich wegen des Ecks, in das er geriet, wohl nicht "zerfranzen" müssen. 1969 bis 1973 verpasste er dem Humanic-Logo seine Farben - und der österreichischen Werbung die coolsten, weil absurdesten Schuh-Spots ihrer Geschichte. Eine Retrospektive ohne gesprengten Quader-Stapel oder das mit bunten Klötzen aufgefüllte Kroko-Schwimmbecken wäre keine ehrliche gewesen. Sie waren Goeschls Schicksal und Chance. Doch wer nach dieser Penetration in Rot-Gelb-Blau weiter an schmerzende Füße und nicht an seine Augen denkt, ist selber schuld.

Die Überraschung folgt zu Beginn der Ausstellung, besser aber zum Schluss: Goeschls kurze klassische Phase Mitte der 50er Jahre. Sensible Zeichnungen von Figurengruppen, die in ihrer Bündelung an Avramidis denken lassen. Bronzen, die Giacomettis geschundene Fragilität atmen. Und plötzlich, im Raum danach, der Schritt ins Eigene, nach einem Aufenthalt in London 1962: monumentale, plakativ rot und blau bemalte Holzfiguren. Das ist er, der Moment, der festgehalten gehört. Der Rest ist schlaue Wiederholung mit großem Effekt.

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