derStandard.at | Kultur | Graz 2003

10.10.2003 20:02

Erste Zwischenlandung: Japan
Die Eröffnungsausstellung der "Camera Austria" im Grazer Kunsthaus - Foto

Graz- Mit einer von Christine Frisinghelli, Seiichi Furuya und Manfred Willmann kuratierten Präsentation von neun Vertretern der aktuellen japanischen Fotoproduktion als Koproduktion mit Graz 2003 weiht die Camera Austria ihre neuen Ausstellungsräume im Grazer Kunsthaus ein (die einzigen der Marke "freundlich", weil nicht im Bauch des blauen Noppen-Nozzle-Buckelwals verdauten). Damit wird die von Beginn an wohl wichtigste internationale Kooperationspartnerschaft der Grazer Kunstzeitschrift und Fototheoriewerkstätte gleich in die ihr gebührende, erste Reihe vorgezogen.

Die vorgestellten Positionen kreisen allesamt um Japan beziehungsweise um das, was eine "japanische Identität" ausmachen könnte. Entworfen wird dabei ein Bild, das sich der klischeezeugenden Wirksamkeit seiner Nachbarn im Diskurs bewusst bleibt, diese manchmal persiflierend aufnimmt, als Klischee des Klischees sodann zurückwirft oder gezielt die Ränder des ansonsten Fokussierten avisiert, und sich damit außerhalb gängiger Schablonen bringt.

Den ersten Fall beschreiben punktgenau die Selbstporträts der Tomoko Sawada in Anverwandlung japanischer Bildtypen wie jenen edel aufgemachten Fotos, mit denen heiratswillige Mädchen für sich werben oder den automatenunterstützt erzeugten Selbstporträts als Fotosticker, die Schulmädchen untereinander gerne tauschen.

Im zweiten Fall wird die Kamera zum Rückzugshort des Fotografen. Eingeschlossen in ihr bleibt er abgeschottet, der eigenen Sicht allein verpflichtet und dennoch in der Welt, destilliert aus Wahrnehmung Erinnerung, um damit ein Album des von ihm Erlebten zu bestücken. Risaku Suzuki dokumentiert so seine Reise von Tokio aus, wo sich der Tenno einmal jährlich seinem Volk zeigt, nach Kumano, wo ein unter Männern abgespieltes Fackelritual die Nacht erleuchtet.

Nicht viel größer als die Kamera ist der Standardwohnraum des Japaners: sechs Tatamimatten plus Kochnische und Kompaktbad. Auf jeden Fall genug Raum, um für die nächste "Catfight"-Darbietung zu trainieren oder den Müll der anderen aus Performancegründen anzusammeln und hernach, mit Gasmaske armiert, das eingeschleppte Ungeziefer zu beobachten.

Der Gebrauch des fotografisch hergestellten Bildes wird dezidiert sozial, sobald sich in das persönlich abgeschaute Bild der Welt auch Fragen mischen, die, wie bei Kyoichi Tsuzuki, die Lebensumstände der Bewohner Tokios diskutieren, oder, in Kisei Kobayashis Bildbänden, die Stellung Japans innerhalb Asiens befragen.

Wirklich politisch wird die Fotoserie aber erst, wenn das Gezeigte, wie in der Arbeit Mao Ishikawas, von japanischen Symbolen, philippinischen Gastarbeiterinnen oder der amerikanischen Militärpräsenz in Okinawa handelt, dies alles dann genauestens klassifiziert und so mit Geschichte tränkt. Einzelkämpfer, träumende Marines, Kriegsversehrte oder Tänzerinnen werden angeführt, Kinder aus Mischehen neben die mit altem Kunsthandwerk finanzierten Protestaktionen gegen die US-Streitkraft gestellt. Ihre textlich versicherte Einordnung lässt die Fotos zu getreuen Dokumenten von historischen Situationen, die fotografierten Haltungen zu kalkulierten Posen werden.

Fotografie ist Dichtung, Verdichtung des Vorgefundenen. Das zeigt auch Sakiko Nomura, die im vermeintlich ganz intimen Setting ihrem immer liegend - erwachend oder einschlafend - gezeigten Gegenüber offenbar verliebte Blicke zuwirft und sich solche auch erwidern lässt, oder Mika Ninagawas zu einem grell ästhetisierten Ganzen poppig zusammengestellten Auseinandersetzungen mit allem, was en vogue und daher schon vergnüglich ist.

(Ulrich Tragatschnig/DER STANDARD; Printausgabe, 11./12.10.2003)



Ein Symposium zum Thema
findet am 31. 10. und 1. 11. im
Kunsthaus, Space 04, statt;
die Schau läuft bis 2. 11.
Link

http://www.camera-austria.at/

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