derStandard.at
| Kultur |
Bildende
Kunst
24.06.2003 19:19
Das Eigenleben der guten Bilder
Das Wiener Museum für angewandte Kunst zeigt "Kurt Kocherscheidt. Das
fortlaufende Bild", eine Retrospektive auf den 1992 im Alter von 49 Jahren
verstorbenen österreichischen Maler - Foto
Markus Mittringer
Wien - Ein Bild zu beenden
erschien ihm unmöglich. Und doch fand er - "trial" und "error" sind letztlich
immer die Basisprogramme, um zu einem guten Bild zu gelangen - für sich einen
Moment, vom Weiterarbeiten abzusehen: "Eine Idee oder auch nur ein Gedanke wird
aufgerissen, verdichtet und überlagert, zersplittert und wieder zusammengefasst,
zurechtgerückt. In dem Augenblick, in dem ein kurzer Verlust der Kontrolle
eintritt, eine kleine Wendung vorgenommen wird, die das lähmende Fixiertsein
unterbricht, mit einem Wort, wenn das Bild selbständig wird, eine Gelegenheit
findet zurückzuschlagen, ist ein guter Moment gekommen, aufzuhören."
Und
das nächste Bild anzugehen: Denn letztlich sind alle Bilder "bloß" Standbilder,
mehr oder weniger beliebig gesetzte Momente des Innehaltens im permanenten
Bilderfluss. Momente, die sich im Außen finden - bei Kocherscheidt ebenso in
tropischen und mediterranen Landschaften wie in teergeflickten Straßen oder in
Brehms Tierleben - oder sichtbaren "Sensationen", die das Malen selbst ergibt,
die der spezielle Auftrag der Farbmasse, deren Eigenheiten, deren Widerstand
gegen Pinsel, Spachtel und Grund, deren Konkurrenz-oder Deckungsverhalten zu und
mit anders tonigem Material provozieren.
Die Retrospektive im MAK ist
zugleich didaktisch gehängt - und auch wieder nicht. Beginnend mit den Quellen
des Amazonas IV in einem äußeren Ring um die Ausstellungshalle im oberen Stock
(Weißkirchnerstraße) lässt sich Kurt Kocherscheidts Parcours durch die Welt aus
Bildern und die damit einhergehende, kontinuierliche Abkehr vom
wiedererkennbaren Zitat aus Flora und Fauna, hin zum alles subsumierenden
Knäuel, zum einzig verbliebenen, dicht gepackten Bildmotiv,
verfolgen.
Und weiter, zur endgültigen Verselbstständigung, zum
Heraustreten der Ballen aus der Leinwand in die dritte Dimension der
Holzplastik.
Der konzentrische innere Umgang wiederholt die
chronologische Einführung, zeigt aber auch, dass Kocherscheidts Umgang mit dem
Papier weit weniger zupackend ist, dem ästhetischen Rest nicht derart vehement
zu fliehen trachtet, wie er das in den - teils nachträglich zu Blöcken und
unregelmäßigen Triptychen zusammengestellten - Ölbildern ganz offensichtlich
versucht.
Von den Badenden Nymphen nach Spitzweg aus 1971, über
Landschaften mit architektonischen Elementen (1972-1974), die einen Nähe zum
Zeichnen Walter Pichlers erkennen lassen, und ersten Verdichtungen, wie dem
Gebundenen Strauch (1976), hin zu späten unbetitelten Papieren mit amorphen
Elementen, die ebenso dem Mikro- wie dem Makrokosmos zuordenbar scheinen, gibt
sich Kocherscheidt zumindest vordergründig sensibler.
Kocherscheidt, das
ist auch der Sumpf, das sind schwere, erdige Farbtöne, fahle Räume, zerfurchte
Oberflächen, gebrochene, oft arg gezeichnete Elemente. Wenn die doppelläufig
chronologische Hängung versucht, dem Betrachter einsichtig zu machen, was die
späten Konzentrate nährt, welche Eindrücke da schlagend ins Allgemeine gehoben
wurden, so relativiert die annähernd speicherartige Ballung von Exponaten den
pädagogischen Ansatz, näher zu kommen. Elementarem lässt sich nicht auflauern,
ebenso wenig, wie der biografische Hinweis zu einer allein gültigen Erklärung
führt. Es bleibt am Betrachter hängen, die Gewalt der "zurückschlagenden Bilder"
zu ertragen, sich jenen Momenten auszusetzen, in denen sich der Maler
Kocherscheidt zurückgezogen hat, auf Distanz ging, seine Bilder in die Welt
entließ. (DER STANDARD; Printausgabe, 25.06.2003)
KURT KOCHERSCHEIDT Das fortlaufende Bild 25.6.2003 - 5.10.2003 Ort:
MAK-Ausstellungshalle Bis 5. 10.
Link
MAK
Politik | Investor | Web | Sport | Panorama | Etat | Kultur |
Wissenschaft
| Meinung |
Kinoprogramm | Zeitungsarchiv