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Quer durch Galerien

Eisesser machen sich mitschuldig

Mmh, frischer Fisch! Und das Meer ist auch so gschmackig gut durchblutet. (Willy Puchner war in New York.) Willy Puchner

Mmh, frischer Fisch! Und das Meer ist auch so gschmackig gut durchblutet. (Willy Puchner war in New York.) Willy Puchner

Roman Ondak belohnt im Voraus. 500 japanische Stahlarbeiter durften zuerst die Schokolade aufessen, bevor sie aus der Silberfolie Skulpturen herstellen mussten. Galerie Martin Janda

Roman Ondak belohnt im Voraus. 500 japanische Stahlarbeiter durften zuerst die Schokolade aufessen, bevor sie aus der Silberfolie Skulpturen herstellen mussten. Galerie Martin Janda

Von Claudia Aigner

Ein Weltrekord steht seltsamerweise immer noch aus: der Weltrekord in "Pyromanie für fortgeschrittene Dekadente". Und dafür bräuchte man bloß viele, viele Eislutscher, einen Mund (aber wirklich nur einen, sonst wird man disqualifiziert), einen Fön und ein Feuerzeug, um nämlich das längstbrennende Lagerfeuer zu erzeugen, das mit Eisstaberln betrieben wird.

Das Brennholz müsste natürlich laufend aus dem schokoladeüberzogenen Vanilleeis befreit werden (mithilfe der oralen Praktik namens Essen). Und dann, nachdem wieder eines trockengeföhnt worden ist: ab ins Feuer. Im Wettlauf mit der Übelkeit und dem Erbrechen und damit, dass dem Feuer das Brennen ausgehen könnte, bevor das nächste Staberl soweit ist, also dass das Feuer schneller zu Ende ist als der Eislutscher.

Galerie Martin Janda: Weil Schokolade eine Batterie ist

Ja, wo bleibt er denn, der Weltmeister im "Ketteneisschlecken" (in Anlehnung ans Kettenrauchen)? Am besten ein Holzfäller, der sich masochistisch selber mit den Früchten seiner Arbeit konfrontiert: mit den Eisstaberln. Oder haben die Holzhackerbuam schlichtweg Angst, sie müssten dann zur Strafe (weil wegen ihnen jetzt noch mehr Eisstaberln aus den Wäldern gezerrt werden und sich jeder Eisesser sowieso mitschuldig macht am Waldsterben) in ihren Alpträumen den ganzen verloren gegangenen Regenwald wiederaufforsten?

Und sie dürften dafür lediglich Zahnstocher verwenden, müssten diese in den Waldboden stecken, auf den bei Tag 100.000 Lux heruntergleißen (und bei Vollmond 0,20 Lux), weil die Holzindustrie mit dem kompletten Waldschatten abgehauen ist, müssten die toten Zahnpflegehölzchen gärtnerisch betreuen und dürften erst aufwachen, wenn mindestens 327 Schimpansen und 589 Stummelschwanzäffchen auf den Zahnstochern herumtollen?

Na gut, immerhin gibt es jenen verwegenen Mann, der in Kariesverachtung 500 Tafeln Schokolade verzehrt und aus der herumgewickelten Metallfolie dann lauter kleine Skulpturen geformt hat. Seine beeindruckenden Nippes-Kreationen (ein Stiefel, verschiedenste Tierarten, Trinkgefäße, Brillenfassungen, ein absolut perfekter Regenschirm, eine kunstvolle Rose . . .) lassen einen noch bis 16. Juli (beim Martin Janda, Eschenbachgasse 11) vor Ehrfurcht erschaudern. Ach nein, das war gar nicht nur einer. Das waren 500 japanische Stahlarbeiter.

Eh klar: Japaner. Das erklärt vieles. Japaner bräuchten schließlich nicht einmal eine Angel. Die könnten auch mit ihren Essstäbchen Fische fangen. Die würden damit einfach ins Wasser hineinstochern (geistesgegenwärtig wie mit dem Löffel in die Fischsuppe) und mit dem Sushi wieder hochkommen. (Hätte übrigens ein japanischer Regisseur den "Weißen Hai" gedreht, hätte nie ein Schwimmer mit dem Finger aufs Meer gezeigt und gerufen: "Ein Hai!", und nie hätte einer das etwas patcherte Haiku in die Fluten hineingedichtet: "Schwimm, Eddie, schwimm!", nein, alle hätten gebrüllt: "Sashimi!" oder: "Vorsicht, roher Fisch!", um vor dem Fisch zu warnen, der so roh ist, dass er noch zappelt.)

Und die Bäume fällen die Japaner wahrscheinlich eh mit Karate. Japaner sind ja dafür bekannt, mit ihrer ungeheuren Disziplin und Körperbeherrschung prägnante Ergebnisse zu erzielen. Und eine Blume stecken sie sich ins Knopfloch nach den Erkenntnissen des Ikebana. Gut, das ist ein bissl übertrieben. Aber am stillen Örtchen überfällt sie womöglich wirklich das unbändige Verlangen nach Origami – und Origami ist ein japanischer Nationalreflex –, sich also mit dem schier unerschöpflich langen, praktisch portionierbaren Papier zu vergnügen, das ja geradezu nach Faltkunst schreit.

Die Feinmotorik des sensiblen Stahlarbeiters

Die 500 kräftigen Stahlarbeiter sind freilich nicht selber auf die Idee gekommen, die Bakterienkolonie in ihrer Mundhöhle, nämlich der Sorte "Streptococcus mutans" (das sind die, die Säure pinkeln und uns beim Zahnarztbohrer Zuflucht suchen lassen), zuerst mit Schokolade zu füttern und dann den sensiblen, musischen Mann hervorzukehren, der die Feinmotorik besitzt, die Verpackungsfolie nicht zu beschädigen, wenn er sie etwa in einen Origami-Klassiker umwandelt. Roman Ondak hat die Schokoladetafeln ausgeteilt. Denn "sein" Künstler ist einer, der andere zur Kreativität anstiftet. Nach seinen Regeln allerdings. Das Resultat ist in diesem Fall ein beeindruckendes soziales Kunstwerk, eine Studie über "die Japaner". Oder über 500 sorgfältige, gut erzogene Schokoladeesser.

Selbstverständlich veranschaulicht das Opus auch irgendwie den so genannten Energiesatz, der besagt, dass Energie nicht vernichtet, sondern bloß in eine andere Energieform umgewandelt werden kann, und dass Energie nichts anderes ist als die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten. Ein Stahlarbeiter isst demnach Schokolade (und eine Tafel Schokolade ist eine Batterie, ein Energiespeicher, der 500 Kilokalorien freigeben kann), bis er so voller Energie ist, dass seine Arbeitsfähigkeit beim Zusammenstoß zwischen seinen Händen und der Alufolie klar in den auftretenden Deformationen (der Verformungsarbeit) zum Ausdruck kommt.

Atrium ed Arte: Die wahre Schokoladenseite

Willy Puchner – das ist der, der auf die Pinguine Joe und Sally geprägt worden ist (als wäre er eine Graugans und Joe und Sally hießen Konrad und Lorenz) und der den beiden überallhin gefolgt ist, bevor sie in der Österreichwerbung verschollen sind.

Sein Glück ist, dass er nicht nur einen Fotoapparat besitzt, sondern auch den fotografischen Blick. Und dass er das starke Bedürfnis hat, die Welt dauernd einzurahmen. Etwa die Welt in New York. Brutal ehrlich verschweigt er die einzige Palme auf Long Island nicht. Und sogar die ist nur eine Attrappe. Ein tragischer Naturidyllendummy. Und wenn der Witz dem Willy über den Weg läuft, macht er mit seiner Kamera schnell eine Kopie davon, bevor die Pointe im Straßenverkehr oder sonst wo untertaucht. Einem Rudel Showgirls, das auf der Straße gerade einem andern Fotografen seine professionell kokette Gunst erweist und von dessen Schauseite er vertrieben worden ist, hat er auf der Rückseite des perlweißgepflegten Lächelns gar viel charmantere Körperteile entlockt.

Ein bisserl ein Perfektionist ist er schon, ein strenger. Im Hafen hat er Rost dabei erwischt, wie er geduldig Schifferlversenken spielt. Und ihn in geometrisch abstrakte, malerische Bilder hineingezüchtigt. Ein romantischer Sadist. Ästhetische Fingerübungen sind auch dabei. Wie die hoch glanzmagazintaugliche Spiegelung der New Yorker Skyline im Rumpf der "Queen Mary II". Und der Dampf aus der Kanalisation kriecht wie ein unheimliches 11.-September-Déjà-vu zwischen die winterlich frierenden Hochhäuser. Bis 2. Juli im Atrium ed Arte (Lerchenfelder Straße 31).

Freitag, 24. Juni 2005

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