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02.10.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Einen roten Koffer aus Berlin
VON JOHANNA HOFLEITNER
Ausstellung. Johanes Zechners Leinenteile in der Sammlung Essl in Klosterneuburg.

Einen großen maßgefertigten Koffer hat Johanes Zechner nach Kloster neuburg mitgebracht und in der oberen Galerie der Sammlung Essl ausgepackt. Sein Inhalt: 100 Leinenteile, alle kräftigbunt in Eitempera bemalt, alle im selben Querformat. Reih um Reih hat er sie nun in streng chronologischer Folge an die Wände der oberen Galerie der Sammlung Essl gepinnt. Bis unter die Decke, immer wieder unterbrochen von unbemalten Blättern, die, wie Zechner sagt, Ruhe in das Riesenensemble bringen sollten. Einige der bemalten Stoffe sind auf niedrige Podeste ausgelegt, in fünf Viererreihen fügen sich die Quader zu einer Art flachen Malerskulptur.

Was diese Leinwände alle miteinander verbindet, ist ihre signalhafte Bildsprache. In ihrer Kürzelhaftigkeit mutet sie geradezu heraldisch an. Da windet sich etwa eine knallgelbe Schlangenlinie über einem Raster aus lauter Nullen, anderswo ist ein Ausschnitt aus einem Labyrinth zu sehen, ein Tier, eine poppige Zahlenreihe. Aber auch Wortreihen, die die Leinwände halb Gitter, halb Gedicht, wie ein Buchstabengeflecht überziehen. "Berlin Ballung der Besten. Gesundes-Wort-beginnt-an-der-Wurzel-Adepten" kann man auf einer lesen. Das ist aber schon das Maximum an Dechiffrierbarkeit. Wenn sich in die Werkgruppe auch vieles interpretieren lässt: ein Reisetagebuch ist sie ganz sicher nicht. Dazu ist sie zu abstrakt.

100 Leinenteile im Koffer - die künstlerische Summe aus zwei Jahren Aufenthalt in Berlin, der bislang vorletzten Station des rastlosen Kärntner Malers, der seine Zelte zurzeit in Hamburg aufgeschlagen hat. "Berlin-Koffer" ist deshalb der eigentliche Name der Werkgruppe. Wie zuvor der "London-Koffer", der "Irland-Koffer" und all die Koffer, die in Israel, Afrika, Texas entstanden sind, umfasst dieser rote Koffer das künstlerische Resümee eines Arbeitsaufenthaltes.

Für Klosterneuburg hat Zechner dem "Berlin-Koffer" den Zusatztitel "Traum und Trauma" gegeben - als Chiffre für das Erleben der Faszination und Zerrissenheit einer Metropole, die gerade versucht, ihre zwei Hälften zusammenzuflicken. So hat die Arbeit auch einen unaufdringlichen politischen Aspekt. Doch es sind nicht Kommentare, sondern poetisch aufgearbeitete Eindrücke, Nachhalle: wenn sich etwa auf einer Leinwand das schwarz-rot-goldene Band der deutschen Fahne ausbreitet und dem Schwarz in rosaroter Letternfolge "Falafel" eingeritzt ist. Oder wenn schlicht ein Schild zitiert wird: "Sale", Ausverkauf.

In dem Sinn ist der "Berlin-Koffer" auch eine Sinfonie einer Großstadt. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch das parallele Klang-Environment des Komponisten Karlheinz Essl, "N. N.": Aus Geräuschnotizen aus Berlin - Straßenlärm, Kreischen der S-Bahn, Gesprächsfetzen - hat Essl einen durch Computertechnologie ständig neu generierten Klangteppich komponiert.

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