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vom 18.01.2006 - Seite 019
"Supergau"

Ja. Es ist wirklich schade, wenn die "Goldene Adele" von Gustav Klimt aufgrund der Rückgabe an die jüdische Erbin nicht mehr in der Österreichischen Galerie Belvedere zu sehen sein wird.

Ja. Sie ist - auch aufgrund ihrer Omnipräsenz - längst zu einem wesentlichen und prägenden Teil unserer kulturellen Identität geworden. Die Folgen dieser Restitution wurden deswegen gar als "kultureller Supergau" bezeichnet.

Abgesehen davon, dass das Wort Gau (= Größter anzunehmender Unfall) als Superlativ ohnehin keine Steigerung mehr vertragen kann, ist das eine verwegene Aussage. Denn in Wahrheit ereignete sich der kulturelle Gau bereits über fünfzig Jahre vorher: Die Nazi-Diktatur mit ihren Verfemungen von Kunstschaffenden, mit ihren Bücherverbrennungen, mit ihren Raubzügen unter Ausgegrenzten, Verfolgten, Ermordeten.

Dass Österreich so lange gebraucht hat, sich effektiv dieses Themas anzunehmen, ist wohl ebenfalls ein Gau. Ein moralischer. Und zwar einer von der übelsten Sorte. Beteten die Taktierer aller politischen Coleurs ja noch bis vor kurzem höchst inniglich zu ihren Säulenheiligen Sankt Hinhaltibus und Sankta Verzögera. Dass die klagende Erbin - fast neunzig Jahre alt - allen Erwartungen zum Trotz durchhielt und das "Problem" somit nicht die Zeit löste, ist ein Stachel, der allen Verdrängern fest ins Denken getrieben gehörte.

Die längst fällige Rückgabe eines rechtswidrig entwendeten Kunstwerks jetzt noch immer mit Larmoyanz zu begleiten, weist auf einen weiteren Gau hin: auf jenen des Humanismus nämlich. Und das ist die wahre Tragödie dieses Urteils.

Als post scriptum noch eine naive Vision zum Adele-Rückkauf: Wenn jede(r) der über 8 Millionen Österreicher(innen) zehn Euro spendet¼

Die Folgen der Nazi-Diktatur sind auszutragen.

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