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14.10.2003 - Kultur&Medien / Ausstellung | ![]() |
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Bacon: Wilder Geist, wildes Fleisch | ![]() |
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Zum ersten Mal ist in Wien im KHM eine große Schau des radikalen Anglo-Iren zu sehen: "Francis Bacon und die Bildtradition" beeindruckt mit einer Fülle von Vergleichen. | ![]() |
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Fahles Fleisch, ein krankes, deformiertes Kinn, tote Augen. Rundum
alles schwarz. Dieses Bild ist nichts für schwache Nerven. Das Porträt
König Philipps IV. von Spanien, in der Werkstatt von Diego Velázquez
1652/53 gemalt, enthüllt schreckliche Dekadenz. Im Kunsthistorischen
Museum in Wien hängt es in der ab Mittwoch zugänglichen Ausstellung
"Francis Bacon und die Bildtradition" in einem kleinen Raum, neben einem
Selbstbildnis von Rembrandt aus dem Jahre 1657. Auch das ist ein dunkles
Meisterwerk, das Verfall und Zerstörung kaum übertüncht. Es erfordert Mut, vergleichend neben diesen alten
Meistern zu hängen. Nur die Größten können diesen Test bestehen. Und
während sich vor kurzem im Amsterdamer Van-Gogh-Museum ein Porträt von
Vincent mit einem von Rembrandt messen lassen musste, ist es in der
Gemäldegalerie des KHM der wilde Francis Bacon, der neben Velázquez und
Rembrandt, neben Picasso, Giacometti, van Gogh, Rogier van der Weyden und
vielen anderen anzusehen ist. Francis Bacon (1909 bis 1992) besteht diesen Test souverän. Man fragt sich nicht nur, aus welchen Traditionen dieser Maler schöpft, sondern wird auch darauf hingestoßen, dass sein starkes Werk diese Traditionen in Frage stellt und so einen frischen, sezierenden Blick auf die alten Meister ermöglicht. Das macht die Schau im Kunsthistorischen Museum zu einem intensiven Erlebnis. In drei großen Sälen und einigen Nebenräumen sind 16 Themenkreise behandelt: die Päpste, der Schrei, Film, Fleisch, Surrealismus, Selbstporträts, Spiegel usw. - ein buntes Gemisch von Kategorien ergibt sich und dennoch ein Ganzes, das den Betrachter einen der eigenwilligsten Künstler des 20. Jahrhunderts begreifen lässt. Bacon sei von alten Meistern, der klassischen Moderne,
von Filmen und Fotografien beeinflusst worden, sagte die Kuratorin Barbara
Steffen bei der Pressekonferenz am Montag. Es gebe hier die seltene
Möglichkeit, in die Arbeitsmethoden des Künstlers Einblick zu nehmen.
Erhellend wirken sollen neben den rund 40 Bacon-Bildern und ebenso vielen
Werken anderer Künstler auch 65 Exponate aus Bacons Studio, das vor
einigen Jahren eins zu eins in ein Museum in Dublin transferiert wurde.
7500 Einzeldokumente zeigen dort, wie intellektuell sich Bacon mit der
Kunst auseinander setzte, wie rauschhaft sie entstand. Es handle sich um eine grenzüberschreitende Ausstellung,
sagte der Generaldirektor des KHM, Wilfried Seipel, sie zeige die
Sinnhaftigkeit der Einbringung zeitgenössischer Kunst in die Tradition.
Seit den späten achtziger Jahren trug sich Seipel mit dem Gedanken, die
Bacon-Schau nach Wien zu bringen. 50 Museen konnten als Leihgeber gewonnen
werden, darunter auch die Albertina, die Sammlung Leopold. "Leider ist der
Bacon vom Museum für Moderne Kunst nicht dabei", bedauerte der KHM-Chef
die Absenz des einzigen Wiener Bacon-Bildes. Das aber fällt bei der Fülle
von Werken, die hier ausgestellt sind, kaum ins Gewicht.
Im ersten Saal dominieren die von Bacon in den fünfziger
Jahren gemachten Papstbilder, die sich an Tizian orientieren und vor allem
auch an Velázquez, an dessen Porträt von Innozenz X. Bacon hat dieses Bild
im Original nie gesehen. Er studierte eine Fülle von Abbildungen,
verfremdete sie. Schwarze Schlieren, Schleier im Gelb des Bischofs von
Rom, Gestelle - und dann dieser Schrei der tödlich-weiß und
sühnevoll-violett gekleideten Papst-Kreatur, ein unmenschliches Brüllen.
Die Käfige, in die Bacon die armseligen Stellvertreter Christi setzt, sind
wie von Giacometti geborgt, aber irgendwie scheinen sie auch eine
Vorahnung der skurrilen "Papamobile" zu sein, die in den achtziger Jahren
in Mode kamen. Weiter geht es nach den Päpsten mit dem Surrealismus, mit
der entsprechenden Periode in Pablo Picassos Schaffen, die Bacon Anfang
der dreißiger Jahre den Anstoß dazu gab, Maler zu werden. Während Picassos
"Badende, eine Kabine öffnend" (1928) einfache Formen hat, verschwimmt bei
Bacons "Studio Interior" (1934) die fleischfarben wuchernde Figur vor der
roten Wand und der grellweißen Leinwand - erste Auflösungserscheinungen im
Porträt des jungen Künstlers. Der Einfluss des Surrealismus wird in diesem Raum der
Ausstellung auch durch Filmszenen verdeutlicht. Eine Rasierklinge
durchtrennt in Großaufnahme ein Auge, die Träne quillt. Diese Szene aus
"Der andalusische Hund" von Luis Buñuel und Salvador Dalí scheint wie
geschaffen für die sadomasochistischen Fantasien Bacons. Und auch Szenen
aus Sergej Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" bringen in Endlosschleife
die mächtigen Fixierungen des Malers: Der Schrei der alten Frau, als der
Kinderwagen die unendlich lange Treppe in Odessa herab stürzt, der Schrei
der gequälten Kreatur. Die Matrosen, die sich über das von Maden
durchsetzte Fleisch empören, das ihnen vorgesetzt wird. Die Beispiele aus
frühen Filmen sind präzis gewählt. Gewalt bestimmt auch das Werk von
Francis Bacon. Und die Liebe. Zu den berührendsten Bildern zählen die
Darstellungen von Bacons Lebensgefährten, etwa "George Dyer im Spiegel",
das sich an Goya und Velázquez orientiert. Bei Goya befinden sich Torero
und Stier im Rund, im Mittelpunkt bei Bacon stehen der Geliebte und dessen
Spiegelbild. Bei Velázquez gewinnt die "Venus im Spiegel" Raum, bei Bacon
gibt es höllische Transzendenz. Ein deformierter zerrissener George Dyer
wird reflektiert. Zerrissenheit auch bei den Kreuz-Szenen, den
schockierenden "Three Studies for a Crucifixion" aus dem Jahre 1962. Keine
Erlösung: Nicht das Wort ist Fleisch geworden, sondern das Fleisch brüllt,
wird geschlachtet, zersetzt. So hat auch die Frage keinen Sinn, welches
der Mittelteil ist, welches die Flügel des Triptychons sind. Der Horror
bei Bacon hat keinen Anfang und kein Ende. "Natürlich sind wir Fleisch,
wir sind potenzielle Kadaver. Wenn ich zu einem Metzger gehe, erscheint es
mit immer überraschend, dass nicht ich dort hänge anstatt des Tiers", hat
der Maler vor vielen Jahren zu seinem Leib-Thema angemerkt. Das Instrument
des 20. Jahrhunderts war die Säge. Und die Seele? Für Derartiges sollte man sich in der
großartigen Ausstellung des Kunsthistorischen Museums vielleicht noch
einmal den Selbstbildnissen von Rembrandt zuwenden, oder den königlichen
Porträts von Velázquez. Auch dort gibt es die gequälte Kreatur, aber
vielleicht auch noch so etwas wie einen Schimmer von Hoffnung in
tief-traurigen Augen. |
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