Die
Biennale-Eröffnung verpasst? Und ein Kunstmarkt-Update wäre auch wieder
einmal fällig? Ein Zyniker, wer behauptet, die Venedig-Biennale würde
als Leistungsschau des internationalen zeitgenössischen Kunstgeschehens
beide Aspekte abdecken. Die Behauptung birgt allerdings auch ein
Körnchen Wahrheit – angesichts der Tatsache, dass sich ohne
Galerienunterstützung kaum ein künstlerischer Beitrag realisieren
ließe. Unsere Empfehlung: Eine Stippvisite bei der für kommende Woche
anberaumten 42. Auflage der „Art Basel“ (15. – 19. 6.), der ältesten
und einflussreichsten aller Kunstmessen. Und dann ab nach Venedig.
Haupt- und Nebenschauplätze.
„La Serenissima“, die schönste Lagune der Welt, das Mekka der Liebenden
und Flitterwöchner, das ab und an von den Kulturschaffenden aus Kunst,
Architektur und Film in Beschlag genommen wird, um im
Zweijahresrhythmus die Besten ihrer Branche im schönstmöglichen
Ambiente zu präsentieren.
Längst beschränken sich die
Veranstaltungen nicht mehr auf das klassische Biennale-Gelände in den
„Giardini“, dem Kunstpark am Ostrand des Zentrums. Auch rund um die
Biennale haben sich jede Menge „Side-Events“ angesiedelt, und es werden
von Jahr zu Jahr mehr. 37 sind es heuer, einige davon auch mit mehreren
Schauplätzen; dazu kommt eine Reihe hochkarätiger
Satelliten-Veranstaltungen in den Museen und Sammlungen der Stadt. Das
alles verlangt Zeit, die man sich gönnen sollte und die man auch
genießen kann, scheint die Zeit in der Lagunenstadt doch ihren eigenen
Gesetzmäßigkeiten zu folgen. Aber angesichts der Kunst-Biennale ist ein
Übermaß an Zeit sowieso notwendig, um dieser hochkonzentrierten Form
von Kunstgenuss auch gerecht zu werden.
"IllumiNazione" lautet
das Motto der Veranstaltung, das die diesjährige Chefkuratorin der
Biennale, Bice Curiger, Schweizer Ausstellungsmacherin, Kritikerin und
Herausgeberin von „Tate“, einer der einflussreichsten
Kunstzeitschriften, 2011 ausgegeben hat.
Länderspiel.
Das Wortspiel greift nicht nur die regelmäßig aufs Neue
problematisierte Frage des „Nationen“-Begriffs aufgrund der
Länderpavillons auf: Mit dem ersten Teil des Kunstwortes huldigt die
deklarierte Venedig-Liebhaberin Curiger auch dem unvergleichlichen
Licht in der Stadt – und dem größten venezianischen Maler, dem
Renaissance-Künstler Jacopo Tintoretto (1518–1594), dem sie in der
Hauptausstellung in den Giardini einen eigenen Saal mit Werken widmet.
Diese sind aus der Galleria dell’Accademia sowie aus der Kirche San
Giorgio Maggiore entliehen. Es ist ein absolutes Novum in der
Geschichte der Biennale, dass eine kunsthistorische Position – noch
dazu eine derartige Schlüsselfigur – inmitten der zeitgenössischen
Beiträge präsentiert wird. Die Hängung von drei Gemälden Tintorettos im
ungewohnten Ambiente des White Cube – zum Teil, wie im Fall des
monumentalen „Letzten Abendmahls“, in Kniehöhe statt wie üblich hoch
über den Köpfen der Betrachter – evoziert eine ganz bestimmte
Atmosphäre, die einen nicht mehr loslässt und die sich, wie jede starke
Kunsterfahrung, über die sinnliche wie intellektuelle Erfahrung auch
dieser Großveranstaltung legt. Tintoretto als „Lichtfigur“ ins Herz der
Biennale-Ausstellung zu hängen ist Bice Curigers kräftigstes
kuratorisches Statement. Ihr zweiter methodischer Schachzug ist die an
vier Künstler ausgesprochene Einladung, Para-Pavillons für die Kunst
anderer zu gestalten.
Künstler für Künstler. Da
gibt es zum Beispiel die junge Polin Monika Sosnowska, die für die
Fotografien David Goldblatts ein faszinierendes, golden tapeziertes
Labyrinth schuf. Einer der vier Pavillon-Gestalter ist gar ein
Österreicher: Franz West, der heuer mit dem „Goldenen Löwen für das
Lebenswerk“ ausgezeichnet wurde, hat im Arsenal einen Nachbau seines
Küchenateliers errichtet und dessen Wände mit Werken befreundeter
Künstler bestückt. Generell beschreibt Curiger ihr Vorgehen als
„additiv“. Ein Zugang, der zumal in der linearen Abfolge der Hallen des
Arsenale – des zweiten Austragungsorts der über 80 Künstler umfassenden
Hauptausstellung – dank gekonnter Hängung aufzugehen scheint. Eine
perfekte Kulisse geben die Außenräume des Arsenale ab, insbesondere der
verwilderte Garten am Ende der Anlage: Da hat etwa Katharina Fritsch
ein grell eingefärbtes monumentales Memento-mori-Stillleben
aufgestellt; Elaine Sturtevant, ebenfalls mit dem „Goldenen Löwen für
das Lebenswerk“ geehrt, lässt in einem alten Wachturm via Videowand
ihren hinreißenden „Elastic Tango“ abfahren; und mitten in der Wiese
bastelt die sich neuerdings wieder mit „a“ schreibende Wiener
Boy-Gruppe „Gelatin“, vormals „Gelitin“, mittels Glasbrennofens an
ihrer „bisher heißesten Skulptur“.
Die wichtigsten Figuren.
Im Vergleich zum Arsenal lässt die Präsentation im italienischen
Pavillon, abgesehen von den Hauptsälen in der Nähe des
Tintoretto-Saals, Spannung vermissen – auch wenn kaum eine wichtige
Figur der Gegenwartskunst der westlichen Hemisphäre fehlt: Von Sherman
bis Catellan, Polke bis Bonvicini, Trockel bis Fischli/Weiß, Rist bis
Kelm sind sie alle da.
Was die Länderpavillons betrifft, zeichnet
sich diesmal ein Trend zu Radikalumbauten bis hin zur Auslöschung der
ursprünglichen Raumstruktur ab: So verwandelte Mike Nelson den
britischen Pavillon in einen vielgeschoßigen muffigen Bunker. Diohandi
hat in anspielungsreicher Geste den nur über einen Steg betretbaren
Pavillon Griechenlands geflutet und außen hinter Bauholz verschwinden
lassen. Den Pavillon Frankreichs versah Christian Boltanski mit einer
kalten Maschinenarchitektur, über die fließbandartig Babybilder
rattern. Vis-à-vis davon steht der zur Eröffnung prämierte deutsche
Pavillon, der als Revival einer Arbeit des im Vorjahr verstorbenen
Christoph Schlingensief in eine Dada-Kirche umgebaut wurde. Und im
lichten österreichischen Pavillon hat schließlich Markus Schinwald
neben sparsam verteilten Videos, Bildern und Skulpturen von der Decke
einen labyrinthischen Einbau abgehängt. Das sind durch die Bank
klaustrophobische Konzepte, von denen sich etwa der Beitrag des
US-Künstlerduos Allora & Calzadilla mit seinen auf den dekadenten
„Way of Life“ der USA zugespitzen Skulpturen – vom umgestürzten Panzer
bis zu Komfortsesseln der großen Luftlinien als Plattform für eine
maßgeschneiderte Performance einer Olympiaturnerin – radikal
abhebt.
Gute Reise. Und die dritte Schiene
dieser Kunst-Biennale, die „Eventi collaterali“? Sie bieten eine
wunderbare Gelegenheit, die Tage in Venedig mit ausgedehnten
Kunstspaziergängen quer durch die Stadt ausklingen zu lassen.
„Schaufenster“-Empfehlungen: Die Fotoskulpturen Anastasia Khoroshilovas
in der verwunschenen Biblioteca del Ternanza des armenischen
Kulturinstituts. Die Ausstellung des „Future Generation Art Prize“ der
ukrainischen Victor Pinchuk Foundation im Palazzo Papadopoli. Oder die
fantastische, die Dächer von Venedig überragende begehbare
Bambusskulptur von Doug & Mike Starn in einem Nebengebäude der
Guggenheim-Foundation. Buon viaggio!