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Biennale in Venedig: Zeit zu Reisen

08.06.2011 | 17:47 | von Johanna Hofleitner (Die Presse - Schaufenster)

Die Biennale in Venedig ist ein Pflichttermin. Heuer bestaunt man manch ummantelten Pavillon und eine ausgezeichnete Hauptausstellung.

Die Biennale-Eröffnung verpasst? Und ein Kunstmarkt-Update wäre auch wieder einmal fällig? Ein Zyniker, wer behauptet, die Venedig-Biennale würde als Leistungsschau des internationalen zeitgenössischen Kunstgeschehens beide Aspekte abdecken. Die Behauptung birgt allerdings auch ein Körnchen Wahrheit – angesichts der Tatsache, dass sich ohne Galerienunterstützung kaum ein künstlerischer Beitrag realisieren ließe. Unsere Empfehlung: Eine Stippvisite bei der für kommende Woche anberaumten 42. Auflage der „Art Basel“ (15. – 19. 6.), der ältesten und einflussreichsten aller Kunstmessen. Und dann ab nach Venedig.

Haupt- und Nebenschauplätze.
„La Serenissima“, die schönste Lagune der Welt, das Mekka der Liebenden und Flitterwöchner, das ab und an von den Kulturschaffenden aus Kunst, Architektur und Film in Beschlag genommen wird, um im Zweijahresrhythmus die Besten ihrer Branche im schönstmöglichen Ambiente zu präsentieren.
Längst beschränken sich die Veranstaltungen nicht mehr auf das klassische Biennale-Gelände in den „Giardini“, dem Kunstpark am Ostrand des Zentrums. Auch rund um die Biennale haben sich jede Menge „Side-Events“ angesiedelt, und es werden von Jahr zu Jahr mehr. 37 sind es heuer, einige davon auch mit mehreren Schauplätzen; dazu kommt eine Reihe hochkarätiger Satelliten-Veranstaltungen in den Museen und Sammlungen der Stadt. Das alles verlangt Zeit, die man sich gönnen sollte und die man auch genießen kann, scheint die Zeit in der Lagunenstadt doch ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten zu folgen. Aber angesichts der Kunst-Biennale ist ein Übermaß an Zeit sowieso notwendig, um dieser hochkonzentrierten Form von Kunstgenuss auch gerecht zu werden.

"IllumiNazione" lautet das Motto der Veranstaltung, das die diesjährige Chefkuratorin der Biennale, Bice Curiger, Schweizer Ausstellungsmacherin, Kritikerin und Herausgeberin von „Tate“, einer der einflussreichsten Kunstzeitschriften, 2011 ausgegeben hat.

Länderspiel. Das Wortspiel greift nicht nur die regelmäßig aufs Neue problematisierte Frage des „Nationen“-Begriffs aufgrund der Länderpavillons auf: Mit dem ersten Teil des Kunstwortes huldigt die deklarierte Venedig-Liebhaberin Curiger auch dem unvergleichlichen Licht in der Stadt – und dem größten venezianischen Maler, dem Renaissance-Künstler Jacopo Tintoretto (1518–1594), dem sie in der Hauptausstellung in den Giardini einen eigenen Saal mit Werken widmet. Diese sind aus der Galleria dell’Accademia sowie aus der Kirche San Giorgio Maggiore entliehen. Es ist ein absolutes Novum in der Geschichte der Biennale, dass eine kunsthistorische Position – noch dazu eine derartige Schlüsselfigur – inmitten der zeitgenössischen Beiträge präsentiert wird. Die Hängung von drei Gemälden Tintorettos im ungewohnten Ambiente des White Cube – zum Teil, wie im Fall des monumentalen „Letzten Abendmahls“, in Kniehöhe statt wie üblich hoch über den Köpfen der Betrachter – evoziert eine ganz bestimmte Atmosphäre, die einen nicht mehr loslässt und die sich, wie jede starke Kunsterfahrung, über die sinnliche wie intellektuelle Erfahrung auch dieser Großveranstaltung legt. Tintoretto als „Lichtfigur“ ins Herz der Biennale-Ausstellung zu hängen ist Bice Curigers kräftigstes kuratorisches Statement. Ihr zweiter methodischer Schachzug ist die an vier Künstler ausgesprochene Einladung, Para-Pavillons für die Kunst anderer zu gestalten.

Künstler für Künstler. Da gibt es zum Beispiel die junge Polin Monika Sosnowska, die für die Fotografien David Goldblatts ein faszinierendes, golden tapeziertes Labyrinth schuf. Einer der vier Pavillon-Gestalter ist gar ein Österreicher: Franz West, der heuer mit dem „Goldenen Löwen für das Lebenswerk“ ausgezeichnet wurde, hat im Arsenal einen Nachbau seines Küchenateliers errichtet und dessen Wände mit Werken befreundeter Künstler bestückt. Generell beschreibt Curiger ihr Vorgehen als „additiv“. Ein Zugang, der zumal in der linearen Abfolge der Hallen des Arsenale – des zweiten Austragungsorts der über 80 Künstler umfassenden Hauptausstellung – dank gekonnter Hängung aufzugehen scheint. Eine perfekte Kulisse geben die Außenräume des Arsenale ab, insbesondere der verwilderte Garten am Ende der Anlage: Da hat etwa Katharina Fritsch ein grell eingefärbtes monumentales Memento-mori-Stillleben aufgestellt; Elaine Sturtevant, ebenfalls mit dem „Goldenen Löwen für das Lebenswerk“ geehrt, lässt in einem alten Wachturm via Videowand ihren hinreißenden „Elastic Tango“ abfahren; und mitten in der Wiese bastelt die sich neuerdings wieder mit „a“ schreibende Wiener Boy-Gruppe „Gelatin“, vormals „Gelitin“, mittels Glasbrennofens an ihrer „bisher heißesten Skulptur“.

Die wichtigsten Figuren. Im Vergleich zum Arsenal lässt die Präsentation im italienischen Pavillon, abgesehen von den Hauptsälen in der Nähe des Tintoretto-Saals, Spannung vermissen – auch wenn kaum eine wichtige Figur der Gegenwartskunst der westlichen Hemisphäre fehlt: Von Sherman bis Catellan, Polke bis Bonvicini, Trockel bis Fischli/Weiß, Rist bis Kelm sind sie alle da.
Was die Länderpavillons betrifft, zeichnet sich diesmal ein Trend zu Radikalumbauten bis hin zur Auslöschung der ursprünglichen Raumstruktur ab: So verwandelte Mike Nelson den britischen Pavillon in einen vielgeschoßigen muffigen Bunker. Diohandi hat in anspielungsreicher Geste den nur über einen Steg betretbaren Pavillon Griechenlands geflutet und außen hinter Bauholz verschwinden lassen. Den Pavillon Frankreichs versah Christian Boltanski mit einer kalten Maschinenarchitektur, über die fließbandartig Babybilder rattern. Vis-à-vis davon steht der zur Eröffnung prämierte deutsche Pavillon, der als Revival einer Arbeit des im Vorjahr verstorbenen Christoph Schlingensief in eine Dada-Kirche umgebaut wurde. Und im lichten österreichischen Pavillon hat schließlich Markus Schinwald neben sparsam verteilten Videos, Bildern und Skulpturen von der Decke einen labyrinthischen Einbau abgehängt. Das sind durch die Bank klaustrophobische Konzepte, von denen sich etwa der Beitrag des US-Künstlerduos Allora & Calzadilla mit seinen auf den dekadenten „Way of Life“ der USA zugespitzen Skulpturen – vom umgestürzten Panzer bis zu Komfortsesseln der großen Luftlinien als Plattform für eine maßgeschneiderte Performance einer Olympiaturnerin  – radikal abhebt.

Gute Reise. Und die dritte Schiene dieser Kunst-Biennale, die „Eventi collaterali“? Sie bieten eine wunderbare Gelegenheit, die Tage in Venedig mit ausgedehnten Kunstspaziergängen quer durch die Stadt ausklingen zu lassen. „Schaufenster“-Empfehlungen: Die Fotoskulpturen Anastasia Khoroshilovas in der verwunschenen Biblioteca del Ternanza des armenischen Kulturinstituts. Die Ausstellung des „Future Generation Art Prize“ der ukrainischen Victor Pinchuk Foundation im Palazzo Papadopoli. Oder die fantastische, die Dächer von Venedig überragende begehbare Bambusskulptur von Doug & Mike Starn in einem Nebengebäude der Guggenheim-Foundation. Buon viaggio!


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