diepresse.com | ||
zurück | drucken | ||
| ||
04.09.2004 - Kultur&Medien / Kultur News | ||
Ars Electronica: Zurück auf die Baustelle | ||
VON THOMAS KRAMAR | ||
"Timeshift": Das Linzer "Festival für Kultur, Technologie und Gesellschaft" blickt auf seine ersten 25 Jahre zurück. | ||
Unterirdisch. Ein großer, doch be drückender Raum mit dunkelgel bem,
schmutzigem Boden, unter teilt durch Gitter. An einem hängt, allein auf
weiter Flur, ein Fahrrad. Man drängt sich durch den seitlichen Gang,
beschallt von an- und abschwellender Industrial Music, die bald wie
Schaben an Metall klingt, bald wie Bohren in Stein, wie von einer
gigantischen Baustelle? Es ist eine Baustelle. Diese Installation, mit der Linz
den Besucher empfängt, wenn er von der Eisen- zur Straßenbahn geht, gehört
nicht zur Ars Electronica, sie ist eine permanente Installation, work in
progress: Der Linzer Hauptbahnhof wird noch immer umgebaut. Doch in dieser
- vor allem Anfang September - zukunftsreichsten Stadt Österreichs ist der
Besucher eben geneigt, einen Durchgang als Installation, Baustellenlärm
als Industrial Music wahrzunehmen, das macht längst ihr Flair aus: Es ist
ja eine der wunderlichsten Wirkungen von Kunst, dass sie uns beibringt,
den Alltag als Kunstwerk zu sehen (im besten Fall, ohne ihn zu
beschönigen). Die reizvolle Verwirrung durchdringt auch die Kunst
selbst. "Banlieue du Vide", die mit der Goldenen Nica für digitale Musik
ausgezeichnete Installation des Deutschen Thomas Köner, zu sehen in der
Ausstellung "Cyber Arts" im O.K.Centrum, zeigt Bilder aus
Überwachungskameras: graue, trübe, triste, verschneite Landschaften, von
denen wohl niemand weiß, warum sie zu überwachen sind. Dazu hört man ein singendes Brausen, das im Begleittext
als "Soundtrack aus Verkehrsgeräuschen und grauem Lärm" beschrieben wird,
und rätselt: Sind das "nur" Umweltgeräusche? Oder sind sie bearbeitet?
Verfremdet? Gefiltert? Zumindest in letzter Instanz: durch das Hirn des
Hörers. Aufwendigere Methoden, aus "zufälliger" Umwelt Poesie zu
erzeugen, verwenden die Amerikaner Mark Hansen und Ben Rubin in "Listening
Post" (Goldene Nica für Interaktive Kunst): Aus Wörtern und Satzfetzen aus
Internet-Chatrooms formen sie optisch und akustisch Rhythmen, klassisch in
grüner Schrift auf schwarzem Grund, mit wohltemperiertem
Sprachsynthesizer. Eine angenehme Installation, die an alte Arbeiten von
Laurie Anderson erinnert, aber darunter leidet, dass sie (im Begleittext)
vorgaukelt, dass das "unregelmäßige Staccato der Nachrichten" den Rhythmus
forme, dass die Wörter "live" aus dem Internet kämen. Tiefer ist der (in
derselben Kategorie von der Jury nur "ehrend erwähnte") "Turing Train
Terminal" der Österreicher Severin Hofman und David Moises: Eine
Spielzeugeisenbahn, die eine "Turing-Maschine" (Prototyp eines Computers)
simuliert, die Züge und Weichen führen durch ihr Fahren und Umstellen
simple Rechnungen aus. Die komplizierte Anlage mit etlichen Schleifen und
Kreuzungen sei die kleinstmögliche Abbildung der Rechenoperation, erklären
die Künstler. Man staunt und grübelt. Auch geeignet fürs Kinderzimmer,
aber weder zum Staunen noch zum Grübeln ist gleich daneben "Topobo": ein
Baukasten für Tierfiguren, die Bewegungen speichern und wiederholen
können. Spielzeug-Industrie der nahen Zukunft, mehr nicht. In solchen
Installationen - etliche dieser Art sind auch im Ars Electronica Center zu
sehen - spürt man weder ästhetische noch inhaltliche Reflexion, dazu kommt
immer öfter Produktmessen-Flair. Etwa in "Ah-Q", das ganz einfach ein
brutales Adventure Game ist, das halt mit den Füßen gesteuert wird. Oder
in der französischen Installation "3 Minutes2": ein "virtueller Raum" wie
aus dem Möbelhaus, Abteilung Villa Pastell. Gegen solchen futuristischen Kitsch, der sich
einschleicht, wenn die Avantgarde zur Gewohnheit geworden ist, hilft -
gerade noch - das Parade-Antidot der Postmoderne: Retro! In diesem Fall
also Retro-Cyber: der reflektierte Streifzug durchs Techno-Museum. Der
heuer, so ein Glück, programmatisch ist bei der Ars Electronica, die alles
Recht hat, nach 25 Jahren Zukunft ein bisschen zu verschnaufen. Da kann
man etwa im Lentos-Museum die "Digital Avantgarde" von gestern erleben:
etwa Jeffrey Shaws wunderbare "Legible City", in der man noch immer ohne
Verletzungen, aber mit Respekt gegen die Buchstaben Rad fahren kann. Oder
die "Inter Dis-Communication Machine", die geradezu sentimental stimmt,
weil sie damals, 1993, ein Erlebnis war. Ironisiert wird der sentimentale Blick zurück in Werken,
die mit "ganz alten" Techniken arbeiten. So in "Demi-Pas" des Deutschen
Julien Maire: Ein Diaprojektor wird mit feiner Grobmechanik (inkl.
Stichsäge und Feuerzeug) so aufgerüstet, dass er Bilder laufen lassen,
einen "Film" zeigen kann. Ganz ähnlich bewusst "primitive" Mittel setzt
übrigens ein bemerkenswerter Beitrag aus der "U-19"-Kategorie ein: "Es war
einmal ein Mann" von David Haslinger, sozusagen ein Paläo-Comic-Film.
Und weil Partys ohne Ironie heute schon als unangenehm
"square" gelten, regierte das Retro-Geblödel natürlich auch das
Einstiegsfest der Ars Electronica: "An Evening In The Gardens", zurück im
Garten also, wenn schon nicht in Max Yasgurs Farm bei Woodstock, dann
doch, landschaftlich ohnehin viel schöner, am Linzer Freinberg. Von
Fackeln zum Festplatz geleitet, stand man am Feuer, aß zu
Wisper-Knister-Musik wabbligen Wodka-Pudding und/oder Leberkäse, stellte
sich fürs "Action Cooking" des "Scharfness Institute" (Jamie Oliver
rules!) an, zuckte schließlich beim Auftritt von "Fuzzy Love" lächelnd mit
den Füßen: die Heimorgel-Version von "Oldies But Goldies" von "Space
Oddity" bis "Smells Like Teen Spirit", interpretiert von einem
Mick-Jagger-Lookalike in Fransen, illustriert mit Lämpchen und
Leuchtketten, Samt und Seide. Lustig, aber hatten wir so etwas nicht schon
letztes Jahr? (Hieß Alexei Shulgin und war geistreicher.) "Vertikal gestapelte Klangfelder" hatten wir vielleicht
noch nicht. Sam Auinger und Bruce Odland verstehen darunter in ihrem beim
"Evening In The Gardens" präsentierten "Vertical Game", dass sie einige
meist verschwörerisch brummende Lautsprecher in die Aussichtswarte auf dem
Freinberg gehängt haben. Ein typisches Beispiel von Kunst mit
Umwegrentabilität: Denn der nächtliche Blick auf Linz von dieser Warte ist
großartig, das Lentos leuchtet von oben wie ein Geisterschloss. Sagen
wir's einmal umgekehrt: Was wäre die Ars Electronica ohne diese Stadt?
|
||
© diepresse.com | Wien | ||