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6. April 2004,  02:10, Neue Zürcher Zeitung

Wiener Aktionsanalyse

Otto Mühl wird in einer umstrittenen Ausstellung gefeiert

Otto Mühl, österreichischer Aktionist der frühen sechziger Jahre, wird in einer grossen Werkschau im Wiener Museum für angewandte Kunst präsentiert. Nach einer Haftstrafe wegen Missbrauchs Minderjähriger kommt Mühl damit zu grossen Ehren. Deutlich sind die Proteste von ehemaligen Mitgliedern seiner Kommune Friedrichshof.

Die Proteste haben den Direktor des Hauses irritiert. Die Ausstellung «Otto Mühl. Leben/ Kunst/Werk» eröffnet Peter Noever mit immer lauter werdender Stimme. Das Museum für angewandte Kunst (MAK) wolle kein «Ersatztribunal» gegen den Künstler veranstalten, sondern einfach nur sein Werk zeigen. Es muss ein gefährdetes Werk sein, wie nicht nur der grimmige, eigens engagierte Sicherheitsdienst ahnen lässt. 1991 ist Otto Mühl von einem österreichischen Gericht wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen zu sieben Jahren Haft verurteilt worden, 1998 wurde er entlassen. Das Museum für angewandte Kunst zeigt jetzt eine grosse Werkschau, die das Schaffen des ehemals radikalsten der österreichischen Aktionisten ziemlich hoch hängt. «Kunst, die ihren Platz in der Geschichte hat, kann man nicht zurückhalten», sagt Peter Noever. Otto Mühl hat sich schon Anfang der sechziger Jahre nicht zurückgehalten. Damals trieb er in Materialaktionen den Aktionismus auf die Spitze. Der «linke Exkremist», als der er damals bezeichnet wurde, schritt zur «Panierung weiblicher Gesässe» oder zur «Versumpfung der Venus». Dabei spielten Abfall, Farbe und Schlamm eine nicht unwesentliche Rolle. Mühl baute seine Gerümpelplastiken, später folgten Aktionen wie die manifestartigen «Zock-Exercises» oder das berüchtigte Fäkal-Happening auf Universitätsboden, «Kunst und Revolution».

Watschenanalyse

In drei Abschnitte gliedert das Wiener Museum für angewandte Kunst seine Schau. Und so folgt auf die «Aktion» die «Utopie». Ist die «Aktion» Otto Mühls unbestreitbar wichtigster Beitrag zur österreichischen Kunst der Nachkriegszeit, so sind seine sozialen Utopien bis hin zur strafrechtlichen Relevanz umstritten. Proteste gab es vor der Eröffnung der grossen Werkschau, Proteste gibt es seither. Neue Vorwürfe, Otto Mühl habe in den Zeiten seiner Kommune Friedrichshof Kinder missbraucht, stehen im Raum. Der Künstler bestreitet die Anschuldigungen. 1971 hat Otto Mühl in Wien seine erste Kommune gegründet. Später übersiedelt man in die Parndorfer Heide im Burgenland und baut dort am Friedrichshof ein sozialesoterisches System auf, das sich «aktionsanalytische Organisation» (AAO) nennt. Dogmatisch verfochtene freie Sexualität ist gepaart mit dem Kampf gegen das bürgerliche Bewusstsein der «Kleinfamilie», im Jargon kurz KF genannt. Wilhelm Reich und Sigmund Freud sind die Ideenspender in einem Sammelsurium aus Achtundsechziger-Utopien und patriarchaler Tyrannei. Am Friedrichshof gibt es «Watschenanalyse», grausame «Kinderpalaver» und anstatt Klassenlosigkeit «Bewusstseinsklassen».

Symbole einer Irritation

Die Ex-Kommunarden, die jetzt mit Pressekonferenzen, offenen Briefen und über die Internetseite http://www.re-port.de gegen die Mühl- Schau vorgehen, sind ein höfliches Volk. Anders als professionell erregte Kunstprotestierer haben sie ein Anliegen, das biografisch bestens begründet ist. Wenn Noever sich wünscht, Kunst und Leben Mühls getrennt zu sehen, dann beweist schon die Ausstellung selbst, dass das nicht geht. Die Entstehung von Mühls Kunst ist untrennbar mit der Kommune verbunden. Mit dem Untertitel «Das Leben ein Kunstwerk» wollte das MAK Otto Mühl ursprünglich würdigen. Das war jenen zu viel, die mit einigem Recht meinen, sie hätten den Preis für Mühls Kunst bezahlt. Die Ausstellung wurde umbenannt. Was bleibt, sind Symbole einer Irritation. Auf Seite 210 des Katalogs wurde auf einer Kommunenfoto noch schnell das Gesicht eines Mannes ausgestanzt, der heute nicht mehr im Umkreis Mühls gesehen werden will. Das Recht am eigenen Bild bekommt in der Ausstellung überhaupt eine doppelte Bedeutung.

Otto Mühl, sagen seine Gegner, habe Kommunardentagebücher verbrennen lassen, weil sie ihn im Prozess hätten belasten können. Mit den Überresten hat der Chef des Friedrichshofs im Jahr 1989 Aschebilder gemalt. Dass auch eines dieser Bilder in der Ausstellung hängt, empört Rüdiger Paulsen, Ex-Mitglied eines Hamburger Ablegers der Mühl-Kommune, besonders. Man will diesem Zynismus ein Ende machen und erreichen, dass Mühls Aschemalerei aus der Schau entfernt wird. Geradezu verschämt wird die Utopie des Unternehmens Friedrichshof in einer Ecke der Ausstellung präsentiert. Der Text stammt von einem Kommunarden, der nicht wirklich mit Mühl gebrochen hat. Während Karl Iro Goldblat in Otto Mühl den «Entertainer und Schamanen» sehen will, hat man das auch schon anders gelesen. Vom «Monster» Mühl und von traumatischen Erfahrungen war die Rede. Mittlerweile sind mehrere Bücher erschienen, die mit der Zeit des Friedrichshofs abrechnen. Der ehemalige Aktionist Otmar Bauer hat jetzt seine Erinnerungen unter dem Titel «1968» niedergeschrieben.

Dekorativer Kopist

Es ist ein Riss, der die Ex-Kommunarden voneinander trennt. Bis zu 700 Mitglieder zählte das Experiment Friedrichshof in seinen besten Zeiten. Insgesamt etwa 2000 Menschen haben der Kommune zumindest für einige Monate angehört. Davon, sagt Rüdiger Paulsen, seien heute vielleicht noch 50 Anhänger Mühls. Kritisch setzen sich die ehemaligen Kommunenmitglieder mit der alles andere als gewaltfreien Realität einer sozialen Idee auseinander. Viele Traumatisierungen, sagt Paulsen, kämen jetzt erst ans Tageslicht. Otto Mühl unterdessen bleibt ein Paradebeispiel ideologischer Kontinuität. Man könnte das auch Starrsinn nennen. Immer noch sieht sich der ehemalige Deutschlehrer als verfemten und politisch verfolgten Künstler. Seit den Aktionismus-Tagen der sechziger Jahre sei er den Staatsorganen ein Dorn im Auge. Der Prozess gegen ihn sei ausserdem ein Tribunal gewesen, das von eifersüchtigen Ex-Kommunarden angezettelt worden sei.

Es hat etwas Circensisches, wenn Mühl jetzt von den Feuilletons in aller Farbigkeit präsentiert wird. Da wird der Heide-Guru so gezeigt, wie man sich gescheiterte Revolutionäre eben vorstellt: vom Kampf gezeichnet, aber ungebrochen. Unter fortgeschrittenem Parkinson leidend und auf einem Auge fast blind, malt Mühl heute vorzugsweise Haifische. Vollmundig sind die Interviews, auch wenn der Achtundsiebzigjährige seine Sicht der sexuellen Freizügigkeit mit Minderjährigen am Friedrichshof schildert. «Das waren alles entwickelte Mädchen», sagt Mühl der «Zeit». Er fühle sich im Übrigen verfolgt wie ein «geistiger Jude». Angesichts der Debatten wirkt die im MAK breit gezeigte postaktionistische Kunst Mühls eher unerheblich. Als dekorativer Kopist tritt der Künstler mal wie Picasso, mal wie Andy Warhol oder als van Gogh auf. Er ist Collagenkünstler à la Dada, Expressionist oder Neuer Wilder. Mühl malt Porträts der österreichischen Kanzler, von Gewerkschaftspräsidenten oder von Maggie Thatcher. Zuletzt hat er das «Electric Painting» entdeckt, bei dem Atelierfotos digital verfremdet werden. Das ist so kurios wie mancher Protest seiner Gegner. Heinz Fischer, Präsidentschaftskandidat der Sozialdemokraten bei den demnächst stattfindenden Wahlen, wurde als Besitzer eines Mühl-Bildes geoutet. Seine «ethische Verantwortung» verpflichte ihn, gegen das «Lebenskunstwerk» des Lehrerssohnes zu protestieren. So steht es in einem offenen Brief. Fischer, bis jetzt nicht als besonders kunstinteressiert bekannt, hat sich noch nicht geäussert.

Paul Jandl

Bis 31. Mai. Katalog Euro 44.-.

 
 
 

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