Still auf Franz Schuberts Videoarbeit Kerze (2008), zu sehen bei der Ausstellung Videorama in der Kunsthalle Wien.
Archive schaffen Ordnung, sie bewahren Wissen - so ihre allgemeinste Aufgabe. Im besten Fall öffnen Archive aber immer neue Erkentnisräume, sie führen zu immer tieferen Interpretationen und bieten ein Depot an Möglichkeiten für ihre BenutzerInnen.
Als "nicht belastet durch Sammeln und Konservieren" sowie "als Zentrum der Kunstvermittlung" versteht sich das Ursula Blickle Video Archiv, das seit einigen Jahren von der Kunsthalle Wien betrieben wird und mittlerweile auf eine beachtliche Zahl von 2000 österreichischen und internationalen Videos im Fundus zurückgreifen kann. Mit der Ausstellung Videorama hat das Archiv nun seinen virtuellen Zettelkasten geöffnet und gewährt einen Einblick in die österreichische Kunstclip-Szene der vergangenen zehn Jahre.
Wummernder Projektionismus
Bei der Präsentation der über fünfzig Videoarbeiten, die von der Kuratorin Angela Stief, gemeinsam mit einer namhaften Jury (Gioni, Himmelsbach, White) ausgewählt wurden, sind aber weder ein Kunstvermittlungsaspekt noch eine archivarische Grundhaltung auszumachen. Fast alle Arbeiten werden gleichzeitig in den Räumen der Kunsthalle präsentiert - großformatig an die Wand projiziert oder auf kleinen Monitoren, sei die Tonspur noch so durchdringend oder das Bild noch so empfindlich, ohne jeglichen Unterschied und vor allem lautstark.
So empfängt einen bereits beim Betreten der Ausstellungsräume ein Wummern, das kontemplative Arbeiten wie Franz Schuberts Animation Kerze (2008) leider nicht - wie eigentlich intendiert - über Kunst von Gerhard Richter und ihre popkuturelle Verwertung sinnieren lässt. Weiter im Inneren fällt es immer schwerer, sich auf das im Ausstellungstext angekündigte "orchestrale Neben- und Hintereinander" zu konzentrieren, da die für Besucher nicht mehr erfassbare Anzahl an Videos eine Soundlandschaft ergibt, die dem unrhythmische Getöse aus dem Orchestergraben kurz vor der Premiere ähnelt.
Schmerzlicher Erfahrungsraum
Selbst die Arbeit Lux (2002) von Kurt Hentschläger und Ulf Langheinrich, die als einzige Position einen eigenen Raum bekommen hat, büßt ihre wahrnehmungsverstärkende Wirkung ein. Die augen- und ohrenbetäubende Komposition aus abstrakten digitalen Bildern und Tönen bietet nicht, wie ebenfalls angekündigt, einen "schmerzlichen Erfahrungsraum", sondern lediglich Erholung von genau diesem. Ebenso wenig wahrnehmen lassen sich technisch brillante Arbeiten wie Veronika Schuberts Tintenkiller (2009), Rainer Ganahls surreales Ce qui roule (2008), Anna Jermolaewas humoristisches Affentheater (2002), Sabine Maiers Performance Küpele Central (2005), Mara Mattuschkas und Gabriele Szekatschs pointiertes Unternehmen Arschmaschine (1997) oder Josh Müllers konzeptuelle Ausführungen in le ton et la musique (2006/2008).
Dezidiertes Ziel der Ausstellung Videorama: einen Umgang mit Bild und Technik vorzustellen, "der uns nicht die Augen schließen, sondern wieder sehen lässt". Der Kunstwert des bewegten Bildes soll durch eine "Dialektik von visueller Überforderung und ästhetischer Konzentration" wieder in den Vordergrund gerückt werden. Die Konzentration ist aber spätestens nach drei Minuten und elf Sekunden - genau so lange brennt Franz Schuberts Kerze am Beginn des Ausstellungsparcours - weg. Was bleibt: Überforderung. Und der Beigeschmack einer Ausstellung, die bar jeglicher - nicht nur sammlerischer und konservatorischer - "Belastungen" entstanden zu sein scheint. Schade für alle Beteiligten - schade für das Medium Video. (fair)
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