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21.06.2003 - Ausstellung
Der Liebende von Pont Neuf
Dem Fotografen Brassaï (1899-1984) widmet die Albertina eine mit rund 300 Werken äußerst reichhaltige Ausstellung voll Nostalgie und leiser Patina.
VON BARBARA PETSCH


Man ist im Begriff, die Seele von Paris zu tö ten; unter dem Vor wand, ,ungesunde Nester' auszuheben, wird niedergewalzt, was den Charme der Hauptstadt ausmacht." Ein wahres Wort von Brassaï. Als Gyula Halász wurde er 1899 in Brasso, Transsylvanien, geboren, über Budapest und Berlin fand er seine Heimat in Paris. Dort verdiente er seinen Lebensunterhalt zunächst mit Zeitungsartikeln.

Weil das Foto immer mehr an Bedeutung gewann, sattelte er um. Als Auge von Paris wurde er berühmt. Die Schönen der Nacht, Liebende, Bars, die Armen, Schatten, Laternen, den Fluss nahm er auf. Das klingt einfach, die Raffinesse liegt in der Technik. Brassaï "schoss" nicht, er wartete den geeigneten Zeitpunkt ab, arrangierte liebevoll, arbeitete mit Komparsen. Durch sein Objektiv erstand die Stadt neu und geheimnisvoll. Man erlebt sie so heute an immer wenigen Plätzen.

In der Masse, wie jetzt in der Albertina, wirken die Bilder romantisch, etwas altmodisch, euphemistisch, wenn auch sicher nicht touristisch. Brassaïs Paris wirkt so prägnant und eigentümlich wie das Wien des Dritten Mannes oder Berlin Alexanderplatz, Döblins Roman, von Fassbinder verfilmt.

Der Reiz liegt in der Erinnerung an die Zeit, als die Stadt mit Gas, elektrischem Licht die Schwelle zur Moderne überschritt. Großen Anklang fanden Brassaïs Fotos im puritanischen Amerika, genau so stellte man sich dort die frivole Metropole an der Seine vor. Nebenbei: nicht nur in Amerika, sondern auch in Deutschland. Brassaï protokollierte auch das Paris der Besatzungszeit, Resignation, Depression. Er hätte in die USA auswandern können. Auf dem Weg in den Süden kehrte er um, wollte seine Negative retten. Die Deutschen verboten ihm zu arbeiten.

Brassaï war nicht nur Fotograf, er zeichnete, malte, schuf Skulpturen, schrieb. Er verehrte Proust - und Goethe; diesem folgte er in dem Wunsch, "alles" in sich aufzunehmen. Bereits im Berlin der zwanziger Jahre traf er Künstler wie Moholy-Nagy, Kokoschka, Varèse - und schloss die Kunstakademie ab. 1924 ließ er sich in Paris nieder. Aus seiner Zeit mit den Surrealisten, von deren Dogmatik er sich abgrenzte, stammen Aufnahmen "unwillkürlicher Skulpturen", eine Seife mit einem zusammengerollten Busfahrschein sieht aus wie ein Flugobjekt, bizarr: eine keimende Kartoffel, die ihre Triebe wie Arme ausstreckt, Nadeln, die wie eine Orgel aussehen.

Von seiner Freundschaft mit Picasso ist spürbar Brassaïs bildende Kunst geprägt. Die Frau als Musik-Instrument, gebildet aus Gitarren, Mandolinen. Brassaï liebte Graffiti als ursprünglichste Kunst-Form. Das Werk stand für ihn im Mittelpunkt, nicht der Schöpfer. Ein weiteres Segment seines OEuvres sind Porträts: Genet in Hemdsärmeln, jungenhaft, viril. Mit Henry Miller durchstreifte Brassaï die Nächte: lässig sieht Miller aus mit Hut, Tschick, trotzdem: ein Amerikaner in Paris. Sich selbst bildete Brassaï mit nachdenklichem Forscherblick hinter der Kamera ab.

Persönlich galt er als asketisch, arbeitsam. Nach dem Krieg lebte er jeweils einen Teil des Jahres an der Cote d'Azur, wo er 84jährig starb. Von dem Buch, das ihn bekannt machte, "Paris de Nuit" (1932) profitieren viele Nachfolger, bis heute. Ihm selbst bereitete es eine Enttäuschung: der Verlag gab bis zu seinem Tod die angeblich verschwundenen Negative nicht heraus. (bis 21. September, 10-18, Mi. 10-21 Uhr, Eintritt 7.50, Katalog 28 €).



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