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09.03.2002 - Kultur News
Mut zur Gestaltung blüht in Österreich im Verborgenen: Kreative mit bester Ausbildung im Ausland willkommen
Produktdesign nimmt in Österreich eine unbedankte Stellung zwischen Kunst und Wirtschaft ein. Trotz hoher Qualität steht es im Schatten. "Die Presse" machte sich auf die Spur nach den Ursachen und auf die Suche nach Lösungen.
VON ALMUTH SPIEGLER


Vom Kugelschreiber zur Parkbank, vom Fernsehgerät zur Bierflasche, vom Würstelstand zur Rolltreppe. Alles: designed. Doch heißt es in Österreich bei Dingen des täglichen Gebrauchs noch oft: Hauptsache, es funktioniert, alles andere ist Luxus. Das Stiefkind heißt Produktdesign. Gelehrt wird es an Kunstuniversitäten und an den stärker wirtschaftlich orientierten Fachhochschulen sowie an Design-Zentren. Kunst oder Kommerz? Design-Fan Peter Noever, Direktor des Wiener Museums für Angewandte Kunst, sinniert: "So wie Kunst ist Design in unserer Gesellschaft einer der letzten verbliebenen Freiräume. Design ist ein Begriff, da glaubt man immer, es passiert nichts. Es ist wie eine Wolke, die irgendwo hineingeschoben wird - völlig amorph, völlig ambivalent."

Schwierig zu fassen ist Produktdesign allemal. Allein die Definition ist nicht klar geregelt: "Wissenschaftlich gesehen ist die Strukturierung nicht sehr sauber. Industrial bezeichnet die Gestaltung von industriell hergestellten Produkten. Product ist eigentlich eine Untergruppe für Investitions- und Konsumgüter", erklärt Gerhard Heufler, Leiter des Studiengangs Industrial Design an der Fachhochschule Joanneum in Graz.

Ignoranz und Hochjubeln

Die Aufmerksamkeit für designte Alltagsgegenstände pendelt in Österreich zwischen Ignoranz und krampfhaft-verschämtem Hochjubeln. Schon seit Jahren lamentieren die heimischen Designer über das notorische Desinteresse der Öffentlichkeit. Nur einige Beispiele:

[*] Der Österreichische Staatspreis für Design wurde erst im vergangenen Jahr, nach einer fünfjährigen Pause, reanimiert.

[*] Vor vier Jahren wurde das Institut für Formgebung, Plattform zwischen Unternehmern und Designern, aufgelöst.

[*] Der in der Wirtschaftskammer erhältliche "Wegweiser durch die Designlandschaft", einst als erstes umfassendes Nachschlagewerk promotet, wurde seit acht Jahren nicht mehr aktualisiert.

[*] Auch das Bemühen um die rechtliche Anerkennung des Designers als ein freier Beruf ist eingeschlafen. "Entweder bezeichnet man sich als Künstler, oder man nimmt einen Gewerbeschein für ein Technisches Büro - das ist eine falsche Einschätzung des Berufsbildes!", klagt Severin Filek, Geschäftsführer von Design Austria (DA), dem Berufsverband der Graphik-Designer, Illustratoren und Produkt-Designer.

[*] Die Ausbildung in Österreich (davon handelt die nächste Folge unserer Serie) hat in Europa einen ausgezeichneten Ruf. Doch bis zur Hälfte aller Absolventen wandern ins Ausland ab. Denn: "In Österreich selbst haben sie nur ganz wenig Chancen", bedauert der Rektor der Wiener Universität für Angewandte Kunst, Gerald Bast.

[*] Ein Ort speziell für die Präsentation von aktuellem Design hat sich in Österreich bisher nicht etablieren können. Die im vergangenen Jahr eröffnete "Design-Zone" im Wiener Looshaus, initiiert im Zuge des Adolf-Loos-Preises für Design, (ehemaliger Staatspreis), hat sich nicht zu einem kontinuierlichen Ausstellungsort entwickelt. Der Hausherr, die Raiffeisen-Länderbank Niederösterreich/Wien sagt: "Die Zone wird momentan aus budgetären und organisatorischen Gründen nicht bespielt". Erst im Mai und im Herbst soll es Präsentationen geben.

International unbekannt

Noch heute werden in der internationalen Branche mit österreichischem Design vor allem die Namen Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätten verbunden. "Keiner fängt im Ausland etwas mit dem Begriff ,Österreichisches Design' an. Es gibt zwar viele international erfolgreiche Designbüros, aber keiner kennt sie", sagt Stefan Pierer, Generaldirektor der designstolzen KTM und auch Vorstandsvorsitzender der 2001 gegründeten österreichischen Design-Stiftung. Namen wie Kiska, Porsche Design und Achim Storz, die größten heimischen Büros, seien Ausnahmen von der Regel.

"Dabei traut man Österreich gutes Design durchaus zu; wir haben Vorschußlorbeeren. Es wäre vermarktbar, wenn man anknüpft an eine Tradition des Grenzüberschreitenden, an das Gesamtkunstwerk wie das Palais Stoclet von Josef Hoffmann", meint Noever und ärgert sich: "Es wird nur die Vergangenheit verwertet und für heute nichts getan! Das ist der eigentliche Skandal. Es ist so kleinkariert. In dieser Atmosphäre der Enge, der Aussichtslosigkeit kann Design überhaupt nicht gedeihen, das hat überhaupt keine Chance."

Insgesamt gibt es in Österreich 3000 bis 4000 Designbüros, die meisten davon sind Einzelkämpfer. Von dieses haben sich etwa 200 auf Produktdesign spezialisiert. Severin Filek (DA): "Wir haben ein hohes kreatives Potential. Aber bei den Auftraggebern ist das Bewußtsein für Design nicht vorhanden."

Die Erklärung dafür sieht er in der österreichischen Wirtschaftsstruktur: "In diesem Land gibt es wenig Industrie, sondern hauptsächlich Klein- und Mittelbetriebe. Es gibt kein Kapital und keine Risikobereitschaft, Geld für eine Produktentwicklung vorzustrecken." Die meisten Firmen in Österreich gehen auf Nummer Sicher. Noever: "Das ist ein weltweites Problem, aber die Österreicher sind da besonders feige - hoffnungslos konservativ."

Kleinmut und Riskofurcht

Auch Gerald Bast von der "Angewandten" ortet ein Problem in der Einstellung: "Es ist Teil der österreichischen Mentalität, nicht besonders risikofreudig zu sein. Kunst, auch Design, hat einen durchaus radikalen Ansatz, der viele Kleinmütige beim ersten Zusammentreffen schreckt: Es ist ungewöhnlich und kostet zunächst einmal. Design schlägt sich nicht innerhalb eines Jahres in den Geschäftsbüchern nieder. Das bedarf einer Aufbauarbeit." Erschwerend komme zu dieser ersten Hemmschwelle noch ein Kommunikationsproblem: "Besonders am Anfang sprechen die Leute aus der Wirtschaft und die Kreativen eine unterschiedliche Sprache."

Seit Jahren ist auch dem jetzigen Kunststaatsskretär Franz Morak die Förderung von heimischem Design ein Anliegen: "Das Problem ist die Awareness der Produzenten - die Schnittstelle zwischen den Kreativen, der Produktion und dem Vertrieb." Gerhard Heufler (FH Joanneum) sieht die Ursache für diese fehlende "Awareness" der Auftraggeber in deren eigener Ausbildung begründet: "Die Techniker, die später die Firmen leiten, lernen nicht, wie Design in den Produktionsprozeß integriert werden kann."

Beklagt wird in der österreichischen Branche immer wieder das Fehlen einer Design-Tradition. Deutschland, den USA, Italien, China und dem asiatischen Raum wird mehr öffentliche Bewußtheit, mehr bewußte Pflege zugesprochen. Als Paradebeispiele für Designförderung gelten zwei Länder: Finnland und England.

"Die beste Szene, die mit dem Staat vernetzt ist, hat Finnland. Dort ist Design sogar durch eine eigene Hauptabteilung im Wirtschaftsministerium vertreten. So kann das finnische Design als Marke präsentiert werden", berichtet KTM-Mann Stefan Pierer. Finnland sieht er auch als das klassische Vergleichsbeispiel für Österreich - "auch ein kleines Land, das exportieren muß, um erfolgreich zu sein."

Paradebeispiel: England

In England startete Premierminister Tony Blair 1997 eine Design-Offensive. Das "Creative Industries Mapping Document" wurde ins Leben gerufen, in dem jährlich u. a. statistische Untersuchungen den unverzichtbaren wirtschaftliche Nutzen von Design zeigen.

Am Vorbild des "Mapping Document" orientiert sich auch Morak: "Wir haben jetzt gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium und dem Finanzministerium eine Initiative gestartet - ein Kreativbericht soll eingefordert werden."

Gerald Bast schwärmt vom britischen System: "Wenn man sich die Situation in England anschaut, wo die Förderung britischen Designs ein ganz wichtiger Punkt im Regierungsprogramm ist - da haben wir noch einiges nachzuholen. In England wird das sehr bewußt und konzentriert betrieben, Ausstellungen britischer Designer im Ausland gefördert und auch die heimischen Design-Schulen."

Zur Zeit wird britisches Design besonders stark im deutschsprachigen Raum beworben. Eine Ausstellung, ausschließlich über aktuelles britisches Produktdesign, macht von 15. bis 20. März im Wiener Künstlerhaus Station.

Viele öffentlichkeitswirksame Initiativen für Produktdesign wurden in den vergangenen Jahrzehnten ins Leben gerufen - und verliefen wieder im Sande. Das Thema scheint zu spröde, zu schwammig, um sich festzusetzen. "Der Begriff Design ist bei uns wirklich verkommen. Hier bedeutet er nur Gestaltung der Oberfläche. Im Angelsächsischen hat es noch die inhaltliche Komponente: Man spricht etwa vom Design eines Regierungskabinetts. Die Strategie zu entwickeln, das ist das wahre Design. Aber da herrscht in Österreich ein großes Vakuum", seufzt Noever.

Doch allem Pessimismus zum Trotz scheint das Schattengewächs aufzublühen: Stiftungen, geplante Design-Zentren, international tourende Wanderausstellungen und der Ruf der guten Ausbildung weisen den Weg durch die Wüste.

Wird fortgesetzt.



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