Klischees und Provokation: EU-Kunst-Eklat
Schwindel. Mit seiner Installation über Europa narrt der Tscheche David Cerny den EU-Vorsitz.
GERALD STOIBER
BRÜSSEL (SN). Noch vor der offiziellen Übergabe eines Kunstwerkes namens „Entropa“ im Brüsseler EU-Ratsgebäude durch den tschechischen Vorsitz heute, Donnerstag, ist es zum Eklat gekommen. Die als Installation von 27 Künstlern aus allen EU-Ländern gepriesene Aktion entpuppt sich als Werk eines einzelnen. Der Prager Bildhauer David Cerny gibt zu, Namen und Lebensläufe der anderen 26 vermeintlichen Mitgestalter seien ausgedacht.
„Wir wollten herausfinden, ob Europa über sich lachen kann“, schrieb dieser unterdessen in einem offenen Brief. Das ursprüngliche Konzept habe aus „Gründen der Zeit, Produktion und Finanzen“ nicht verwirklicht werden können. Daher habe er sich entschieden, mit den tschechischen Künstlern Kristof Kintera und Tomas Pospiszyl ans Werk zu gehen. Sogar Internetseiten richtete das Trio für einzelne der erfundenen Identitäten ein.Erste Zweifel über das Gemeinschaftswerk waren am Dienstag aufgetaucht. Da machten auch die SN die Probe aufs Exempel: Eine „Sabrina Unterberger“ als österreichische Teilnehmerin war in den in der APA-Datenbank erfassten österreichischen Medien als Künstlerin in den vorigen fünf Jahren nirgends zu finden, während der Katalog zu „Entropa“ für sie Ausstellungen von Wien bis Großbritannien und Japan ausweist. Der tschechische EU-Minister Alexandr Vondra zeigt sich über diese Schwejkiade schockiert und macht den Künstler für allfällige Folgen verantwortlich. Weitere Schritte würden beraten und heute, Donnerstag, bekannt gegeben. Zunächst war geplant, das 15 mal 15 Meter große Werk bis Ende Juni im EU-Ratsgebäude hängen zu lassen. Dafür wurden der vermeintlichen Künstlergruppe 50.000 Euro Miete zugesagt.
Im EU-Puzzle werden Vorurteile sowie liebenswerte Gewohnheiten teils provokant verarbeitet. Über Frankreich spannt sich ein „Streik“-Transparent, Schweden ist in einen Ikea-Karton verpackt, Belgien ist als Pralinenschachtel dargestellt, Rumänien als Geisterbahn, Finnland als Saunabank mit tropischen Tieren. Für Deutschland steht Verkehr auf Autobahnen, das bauwütige Spanien ist zubetoniert, und in Italien zählt nur Fußball. In Österreich herrscht mit vier AKW-Kühltürmen auf einer grünen Wiese nicht eitel Wonne, sondern der Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie.
David Cerny hat sein eigenes Land in Gold gerahmt und ins Zentrum der Installation gesetzt. Es enthält ein Display, auf dem Zitate des EU-skeptischen Präsidenten Vaclav Klaus flimmern.
Mit „Entropa“ ist den Tschechen im Brüsseler EU-Alltag ein kunterbunter Kontrapunkt gelungen, der Diskussionen provoziert. „Wenn Europa sich das nicht ansehen kann, wäre es eine Tragödie. Es ist ein Kunstwerk“, hatte Minister Alexandr Vondra zunächst erklärt.
Allerdings: Einige Beiträge könnten Skandale im jeweiligen Land provozieren. Polen etwa ist durch eine Gruppe von Priestern beim Hissen einer Regenbogenflagge, dem Symbol der Homosexuellenbewegung, symbolisiert. Offizielle Proteste gibt es bereits aus Bulgarien, das auf dem Kunstwerk als Stehklo dargestellt ist. Das sei ein „Ausdruck schlechten Geschmacks“ und müsse entfernt werden, fordert das Außenministerium in Sofia.
„Das EU-Puzzle ist sowohl eine Metapher als auch ein Freudenfest dieser Vielfalt“, schreibt hingegen David Czerny über das Werk. Der 41-Jährige ist für die Ironie seiner Skulpturen bekannt. Und er war wegen seiner künstlerischen Aktivitäten in Tschechien bereits einmal eingesperrt: als er 1991 einen sowjetischen Panzer, der an den Krieg erinnerte, pink angemalt hatte.