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05.05.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Freud: Der abgewetzte Sitz der Seele
VON NORBERT MAYER
Schau. "Vom Denken im Liegen": Das Freud Museum ist auf die Couch gekommen.

Es ist, als ob sich die Mutter nackt vor Ödipus hingeworfen hätte. Skanda lös entblößt wird im Wiener Sig mund Freud Museum ein Bild des Diwans zur Schau gestellt, den der Schöpfer der Psychoanalyse für seine Patienten verwendet hat: die Polster schmutzig weiß, die Flecken verdächtig, seltsam violett die Füße. So sieht die berühmte Couch aus, wenn sie nicht von einem orientalischen Teppich umhüllt wird. Das Original ist zur Feier des 150. Geburtstags von Freud nicht nach Wien zurückgekommen. Er hat das Möbelstück 1938 bei seiner Flucht vor den Nazis nach London mitgenommen. Dort gehört es zum nationalen Erbe, das Großbritannien nicht verlassen darf.

Bei der Schau in Wien (Design: Abbott Miller) hat man diese Absenz geschickt thematisiert. "Die Couch. Vom Denken im Liegen" zeigt eine imaginäre Couch und virtuelle Teppiche; die werden auf den Boden projiziert. "Dinge, die abwesend sind, geben einem mehr zu denken als die, die anwesend sind", sagte Kuratorin Lydia Marinelli bei der Eröffnung am Donnerstag. Die Couch sei Ort für Gedanken, die sonst nicht gedacht werden dürften.

Das Verbotene macht viel vom Reiz dieser intelligent konstruierten Ausstellung aus, für die erstmals auch zusätzlich eine zweite Wohnung im ersten Stock des Freud-Hauses benutzt wird. In einer langen Vitrine etwa sind 33 der "alten und dreckigen Götter" Freuds zu sehen - er hat tausende antike Statuetten, Sphingen, Fruchtbarkeitssymbole gesammelt. Im Salon der Freuds in der Berggasse 19 werden surrealistische Zeichnungen von Max Ernst präsentiert, bedrohliche von Félix Valloton, sie variieren das Thema des Liegens. Die Fantasie wird durch Bilder von Lotterbetten des Rokoko und späterer Phasen angeblicher Heiterkeit angeregt oder durch Werke von Rachel Whiteread, Man Ray, Spencer Finch. Jedem Künstler 15 Minuten Couch; eine besonders schöne, rote besaß Andy Warhol.

Im Zentrum des Salons steht ein modernes, beiges Sofa von Todd Bracher - es soll derzeit von italienischen Psychoanalytikern als Arbeitsgerät favorisiert werden. Man kann sich darauflegen, das kostet vor anderen Besuchern Überwindung und erklärt die Diskussion über den Kontrollverlust, den der Patient durch diese Position erleiden soll, im Übergang zu Schlaf und Traum. Man kann sich auf anderen, sehr abstrakten Liegen sogar beschallen lassen, dann hört man zum Beispiel die beruhigende und diskrete Stimme von Museumsdirektorin Inge Scholz-Strasser aus einem Lautsprecher, die kluge Dinge über Freud sagt.

Historische Zeichnungen und Fotografien machen einen Gutteil der Objekte aus. Ein Raum beschäftigt sich mit den Gedanken des Kulturwissenschaftlers Aby Warburg über das Liegen, ein Abschnitt zeigt Behandlungsmethoden in Kliniken. Vor allem aber sieht man Möbel - einen hölzernen Divan von der Weltausstellung 1873, ein Ruhebett nach einem Entwurf Otto Wagners. Es gibt historische Psychiatriefilme zu sehen, aber auch die Comic-Figuren der Simpsons sind reif für die Analyse. Diese Schau setzt auf die Lust an der Assoziation - und bleibt doch immer kontrolliert.

Einen schönen, hinterlistigen Beitrag leisten die Arbeiten von Shellburne Thurber. Sie hat die Praxen von Analytikern fotografiert, zwischen Buenos Aires und Cambridge, Massachusetts: braune Diwans, himmelblaue, karierte, breite, schmale - Blicke ins Heiligtum, die fast verboten wirken. Und auf einmal glaubt man, der Herr Doktor selbst liegt auf dieser Couch und erzählt uns einen wunderlichen Traum.

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