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Königliches Hören - ein kurzes Privileg

Musealisierung der Zeit: Eine Ausstellung des Wiener Künstlerhauses zeigt die Musik-Installationen "Soundspacesound" von Bernhard Leitner

WIEN, im Juni

Traditionell waren die Ausstellungsräume in unserer Kultur für vermeintlich zeitunabhängige Medien wie etwa Malerei, Skulptur oder Fotografie reserviert. Der spätere Einzug der Readymades oder der Installationen hat daran nichts geändert, da deren Gestalt ebenfalls dem Lauf der Zeit enthoben zu sein scheint. Während der letzten Jahrzehnte hat sich aber die Lage allmählich geändert - und vor allem in unserer Zeit beginnen die zeitabhängigen Medien wie Film oder Musik, die Kunsträume zunehmend zu dominieren, zu transformieren und neu zu definieren.

Der internationale Aufstieg der Videokunst ist inzwischen offensichtlich geworden. Dabei wird jedoch leider allzuoft übersehen, worum es sich bei der Videokunst eigentlich handelt - nämlich um die Musealisierung der Zeit. Meistens bleibt man bei der Rezeption der Videokunst immer noch zu sehr auf die Betrachtung der einzelnen Bilder fixiert. Der eigentliche Gegenstand der Betrachtung ist hier aber die Zeit. Wenn der Film nämlich im Ausstellungsraum gezeigt wird, dann wird die Zeit seines Ablaufs dem Betrachter radikal heterogen. Wie auch immer sich der Betrachter im Ausstellungsraum verhält, der Film läuft einfach weiter - ohne auf den Blick des Besuchers geduldig zu warten, wie es das traditionelle unbewegliche Kunstobjekt tut. So wird der Ausstellungsbesucher mit einem zeitlichen Ablauf konfrontiert, der der Ökonomie seiner Aufmerksamkeit entzogen ist.

Noch deutlicher manifestiert sich diese neue Heterochronie der Kunst aber in den Musikinstallationen, die leider immer noch nicht so zahlreich wie die Videoinstallationen in unseren Ausstellungsräumen präsent sind - obwohl sie den Vorzug haben, den Zeitablauf als solchen noch besser thematisieren zu können. Zu den wenigen gelungenen Bespielen einer solchen Thematisierung der Zeit im Ausstellungsraum gehören die Musikinstallationen von Bernhard Leitner, die zur Zeit unter dem Titel "Soundspacesound" im Künstlerhaus Wien zu sehen sind.

Die visuelle Gestalt dieser Installationen ist äußerst asketisch und streng. Der Künstler situiert seine Installationen bewußt in der Tradition der minimalistischen Ästhetik der New Yorker siebziger Jahre. Man kann ohne Mühe visuelle Verweise auf Richard Serra, Carl Andre oder Donald Judd wiedererkennen, die aber in der Gesamtgestalt der Installationen eine völlig andere Funktion bekommen. Sie dienen nämlich gerade der Verschiebung der Aufmerksamkeit von der visuellen zur musikalischen Seite der Installation. Der Ausstellungsbesucher wird visuell nicht unnötig unterhalten und deswegen vom konzentrierten Hören nicht abgelenkt. Die Gestalt jeder Installation ist in erster Linie funktional bestimmt. Sie definiert einen bestimmten Raum, in dem ein Ton erklingt, und suggeriert zugleich dem Besucher eine solche Position in diesem Raum, die für das Hören optimal ist.

Meistens handelt es sich um eine einzige mögliche Position. Und darin besteht wahrscheinlich vor allem das Besondere dieser Installationen: Sie sind für den einzelnen geschaffen. Sie sondern den individuellen Besucher aus und weisen ihm eindeutig seinen Platz zu. Damit bilden sie eine deutliche Alternative zur heute verbreiteten Diskoästhetik, die ein Gruppenerlebnis produzieren will. In den Musikinstallationen von Leitner wird der Besucher dagegen in den Zustand einer einsamen Meditation versetzt. Am deutlichsten ist diese Vereinsamung des Betrachters in den Installationen "Doppelwölbung/zeitversetzt" (1999) und "Innen-Weiten/Selbst-Vermessung" (2002) vollzogen, in denen der Betrachter sich auf einen Stuhl setzen soll, um der Musik zuzuhören.

Im Raum der Installation nimmt der Hörer aber dabei eine souveräne, ja eine königliche Pose ein. Auch der Klang suggeriert ihm das Gefühl, im Zentrum des Universums zu sein. In "Doppelwölbung/zeitversetzt" hat er das Gefühl, der Musik der Sphären zu lauschen, und in "Innen-Weiten/Selbst-Vermessung" dem Rauschen unterirdischer Kräfte. Auf der anderen Seite bietet ein solcher auf dem Stuhl sitzender, vom Hören innerlich absorbierter und lange Zeit verweilender Zuschauer ein reizvolles, unbewegliches Bild für andere Ausstellungsbesucher.

Die menschliche Figur spielt überhaupt eine große Rolle in den Installationen von Leitner. Indem der Künstler dem Besucher eine bestimmte Pose und einen bestimmten Platz zuweist, macht er den Besucher visuell zum Teil seiner Installation - letztendlich zum Bild. So veranstalten die Installationen von Leitner, wenn sie in einer großen Ausstellung aufgebaut sind, ein geschicktes Spiel mit der Bewegung und dem Verweilen im Raum - eine eigenartige Choreographie, die, sogar vom Klang selbst abgesehen, den Besucher unweigerlich fasziniert und in ihren Bann zieht. Die Musik, die man hört, wenn man sich auf den dafür vorgesehenen Platz begibt, stellt jeweils eine Sequenz von Tönen dar, die in verschiedenen Installationen recht unterschiedlich sind. In allen Fällen wird hier aber die gleiche Balance zwischen Bewegung und Stabilität angestrebt wie auch bei der visuellen Gestaltung.

Leitner benutzt aleatorische Computerprogramme, um Wiederholungen von Tonsequenzen zu vermeiden. Auf der anderen Seite ist das Vokabular der Töne in jeder Installation jedoch deutlich reduziert. Dadurch wird hier vor allem die Erfahrung der Heterochronie explizit thematisiert, die eingangs angesprochen wurde. Üblicherweise wird man mit der Musik im Konzert konfrontiert. Der zeitliche Rahmen des Konzerts ist aber in der Regel besucherfreundlich gestaltet - das Ende des Konzerts ist auch das Ende der Musik. Wenn man vom Anfang bis zum Ende des Konzerts ausgehalten hat, weiß man, daß man alles konsumiert hat, was zu konsumieren möglich und nötig war. Die abschließende Zufriedenheit, dieses vertraute Gefühl, alles restlos gehört und gesehen zu haben, bleibt dem Besucher von Leitners Installationen hingegen versagt: Die Musik hat hier immer schon angefangen, bevor der Besucher seinen Platz eingenommen hat - und läuft weiter, nachdem er diesen Platz verlassen hat. Die Anwesenheit oder Abwesenheit des Besuchers macht auf die Musik selbst keinen besonderen Eindruck - sie erklingt genauso jenseits der Zeit seiner Aufmerksamkeit.

So verläßt der Besucher die Ausstellung mit dem Gefühl, die souveräne Position des Hörens nur kurz erfahren, aber nicht in Besitz genommen zu haben - so wie es auch im Leben bekanntlich der Fall ist.

BORIS GROYS

Bis 21. Juli im Künstlerhaus.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.06.2002, Nr. 132 / Seite 49

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