04.10.2001 00:05:00 MEZ
Das terroristische Vokabular der Moderne
Boris Groys über "Kunst+Krieg - Strategien der Repräsentation"

"Kunst + Krieg - Strategien der Repräsentation": Ein Symposium an der Akademie der bildenden Künste erlangt jetzt traurige Aktualität. Anlass für ein Gespräch mit dem Rektor und Philosophen Boris Groys - über kriegerische Kunststrategien und Traditionen der Bildzerstörung.


STANDARD: Vor welchem Hintergrund konzipierten Sie das Symposion Kunst + Krieg?

Groys: Es hat nichts mit aktuellen Ereignissen zu tun. Bazon Brock hat sich mit dem Thema lange Zeit beschäftigt und zu dieser gemeinsamen Veranstaltung angeregt. Sie wird in Berlin, Straßburg und vielleicht an anderen Orten fortgesetzt werden, sodass wir eine Möglichkeit bekommen, Begriffe wie Avantgarde oder Strategie zu diskutieren, die sowohl im Kriegs- als auch im Kunstkontext gebräuchlich sind. Es gibt da ein großes rhetorisches, kulturelles Feld, in dem die gleichen Figuren und Begriffe benutzt werden.

Wir zeigen das hier auch mit einem Filmprogramm. Die Filme sollen die Reflexion des Krieges, die Tradition der Bildzerstörung reflektieren und überhaupt das Verhältnis zwischen Bild und Krieg. Jetzt hat das Thema freilich eine neue, traurige Aktualität.

STANDARD: Was verstehen Sie in diesem Kontext unter "Bildzerstörung"?

Groys: Nehmen wir ein aktuelles Beispiel, es ist vielleicht hilfreich. Die Zerstörung der Türme des WTC war ein ikonoklastischer Akt, den man durchaus in der Nachfolge der Zerstörung der Buddha-Statuen durch die Taliban sehen kann. Andererseits korrespon-diert Bildzerstörung mit Kinobildern, sodass dieser terroristische Akt sich seinerseits in eine bestimmte Bildzerstörungstradition einschreibt.

STANDARD: Sie meinen, Hollywood habe quasi die "Vorbilder" geliefert? Sind solche Bilder nicht eher Ausdruck einer allgemeinen Urangst, die den Menschen aufgrund von Beschleunigungen beschleicht?

Groys: Da kommen wir zur vertrauten Frage von Henne und Ei. Es genügt vorerst festzustellen: Wir lebten bereits seit Jahren mit gut bekannten, weit verbreiteten Vor-Bildern zu dieser Aktion. Wenn wir auf die Kinogeschichte zurückblicken, dann ist Bildzerstörung seit den Stummfilmtagen ein zentrales Motiv - sogar im Slapstick. Vor allem in der Abbildung von Zerstörungen wird ja die Überlegenheit des Kinos über die unbeweglichen Bilder - Skulptur, Malerei usw. - besonders augenscheinlich gemacht, ja, die stärksten Momente des Kinos sind die der Bildzerstörung.

STANDARD: Sie schreiben, dass man sich dem Thema "Kunst und Krieg" nicht ohne Ironie nähern könne, weil sonst das eine durch das andere vollends vereinnahmt werde. Wie beurteilen Sie nun das derzeitige, quasi "verordnete" Ironieverbot in den USA?

Groys: Vielleicht auch positiv, weil die postmoderne Ironie ja in ihrer ständig wiederholenden, larmoyanten Haltung samt gelangweilter Leidensmiene erstarrt ist. Ernsthaft zu sein ist jetzt möglicherweise viel ironischer. Ironie braucht ja zu ihrer Entfaltung meist sehr systematisch, ernsthaft handelnde Personen: Denken Sie nur an Buster Keaton. Wenn aber alle schon von vornherein cool sind - daraus kann man auf Dauer keine gute Komödie machen.

STANDARD: Wie erklären Sie sich die Ambivalenz zwischen künstlerischer Faszination für Kriegsstrategien und einem forcierten Engagement "dagegen" - etwa in Benefizveranstaltungen?

Groys: Das ist in der Tat ambivalent. Die Kunst in der Moderne führt ja eigentlich einen "Kampf" - auch im Sprachgebrauch: "Zerstörung" der Muster, "Sprengen" der Tradition: Das ist terroristisches Vokabular der Moderne. Diese Praktiken der Subversion wollen Künstler erhalten wissen, gleichzeitig aber die eigenen Werke museal bewahrt sehen. Eine zutiefst ambivalente Haltung, einmal avantgardistisch-terroristisch, einmal pazifistisch-konservativ.

STANDARD: Was vermissen Sie an der Berichterstattung rund um den "War against terror"?

Groys: Die ganze Rhetorik über das Archaische des Islams ist absurd. Wir haben es mit Leuten aus einer gebildeten Mittelschicht zu tun, ausgebildet im Westen. Wir sind hier wieder zurück im 19. Jahrhundert. Die Abschaffung des Kommunismus hat uns dahin zurückgebracht, inklusive Prinzessinnen wie Diana etc. Das 19. war das Jahrhundert der Selbstmordattentate und des Terrorismus, von Kropotkin über Bakunin zu den Anarchisten in Frankreich, den serbischen Nationalisten. Das Selbstmordattentat ist eine ureuropäische Aktivität. Dieses Phänomen in Bausch und Bogen zu orientalisieren ist völlig absurd.

STANDARD: Aber es ist wohl leichter, wenn man die Welt in "wir" und "die anderen" polarisiert. Insofern replizieren ja gerade die Medien die Ästhetik und die Feindbilder Hollywoods.

Groys: Das stimmt, aber das ist nur die äußere Hülle der terroristischen Bewegung oder gar der Aliens bei Independence Day: Man "genießt" die Bilder der Zerstörung, die Motive sind ausgeblendet, meist für nicht existent erklärt. Eine sehr einseitige Geschichte.

STANDARD: Es klingt fast, als ob Sie das alles erwartet hätten.

Groys: Nach dem Ende des Kalten Krieges hat man das Zeitalter der Wirtschaft ausgerufen, die Abschaffung der Politik, das Ersetzen der strategischen durch die wirtschaftliche Logik. Jeder, der etwas Geschichtskenntnis hat, erwartete, dass dies eine kurze Übergangszeit sein musste und neue Bündnisse, neue militärische Auseinandersetzungen bevorstehen.

STANDARD: Wo sehen Sie dabei besonders wunde Punkte?

Groys: Es ist eine riesige Illusion gewesen, dass man allein auf der Ebene der Software existieren und dabei die Hardware vergessen kann. Alle wirtschaftlichen Verbindungen sind vom Computer ausgegangen. Computer brauchen aber Telefonleitungen, sind von Elektrizität abhängig - das ist die Hardware.

Aber lediglich von Software war ständig die Rede: Geld, Text, virtuelle Realität. Und die Leute haben vergessen, dass so etwas existiert wie Macht und Politik und reale Hardware, die gesichert, verteidigt werden will. Elektrizität muss vorhanden sein. Bei einem Bombenanschlag kann ich keine E-Mail mehr lesen. Bis heute kann ich die Hälfte meiner Freunde in New York nicht erreichen! Dass Leute in der Software aufgehen, das ist eine Art religiöser Paradiesvorstellung. Viele Intellektuelle haben in den 80er-, 90er-Jahren in diesem Wahn gelebt!

STANDARD: Historisch betrachtet könnte man jetzt aber auch prophezeien, dass nun wieder Potenzial zu einer sozialen Revolte entsteht.

Groys: Dazu muss zuerst eine staatlich orientierte Ideologie kommen, vergleichbar der von Marx. Die kommt vielleicht - heute haben wir sie noch nicht. Wir haben Terrorismus als eine Form des Kapitalismus - aber kein Gegenmodell.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4. 10. 2001)




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