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STANDARD: Vor welchem Hintergrund konzipierten Sie das Symposion Kunst +
Krieg?
Groys: Es hat nichts mit aktuellen Ereignissen zu tun.
Bazon Brock hat sich mit dem Thema lange Zeit beschäftigt und zu dieser
gemeinsamen Veranstaltung angeregt. Sie wird in Berlin, Straßburg und vielleicht
an anderen Orten fortgesetzt werden, sodass wir eine Möglichkeit bekommen,
Begriffe wie Avantgarde oder Strategie zu diskutieren, die sowohl im Kriegs- als
auch im Kunstkontext gebräuchlich sind. Es gibt da ein großes rhetorisches,
kulturelles Feld, in dem die gleichen Figuren und Begriffe benutzt werden.
Wir zeigen das hier auch mit einem Filmprogramm. Die Filme sollen die
Reflexion des Krieges, die Tradition der Bildzerstörung reflektieren und
überhaupt das Verhältnis zwischen Bild und Krieg. Jetzt hat das Thema freilich
eine neue, traurige Aktualität.
STANDARD: Was verstehen Sie in diesem
Kontext unter "Bildzerstörung"?
Groys: Nehmen wir ein aktuelles
Beispiel, es ist vielleicht hilfreich. Die Zerstörung der Türme des WTC war ein
ikonoklastischer Akt, den man durchaus in der Nachfolge der Zerstörung der
Buddha-Statuen durch die Taliban sehen kann. Andererseits korrespon-diert
Bildzerstörung mit Kinobildern, sodass dieser terroristische Akt sich
seinerseits in eine bestimmte Bildzerstörungstradition einschreibt.
STANDARD: Sie meinen, Hollywood habe quasi die "Vorbilder" geliefert?
Sind solche Bilder nicht eher Ausdruck einer allgemeinen Urangst, die den
Menschen aufgrund von Beschleunigungen beschleicht?
Groys: Da
kommen wir zur vertrauten Frage von Henne und Ei. Es genügt vorerst
festzustellen: Wir lebten bereits seit Jahren mit gut bekannten, weit
verbreiteten Vor-Bildern zu dieser Aktion. Wenn wir auf die Kinogeschichte
zurückblicken, dann ist Bildzerstörung seit den Stummfilmtagen ein zentrales
Motiv - sogar im Slapstick. Vor allem in der Abbildung von Zerstörungen wird ja
die Überlegenheit des Kinos über die unbeweglichen Bilder - Skulptur, Malerei
usw. - besonders augenscheinlich gemacht, ja, die stärksten Momente des Kinos
sind die der Bildzerstörung.
STANDARD: Sie schreiben, dass man sich dem
Thema "Kunst und Krieg" nicht ohne Ironie nähern könne, weil sonst das eine
durch das andere vollends vereinnahmt werde. Wie beurteilen Sie nun das
derzeitige, quasi "verordnete" Ironieverbot in den USA?
Groys:
Vielleicht auch positiv, weil die postmoderne Ironie ja in ihrer ständig
wiederholenden, larmoyanten Haltung samt gelangweilter Leidensmiene erstarrt
ist. Ernsthaft zu sein ist jetzt möglicherweise viel ironischer. Ironie braucht
ja zu ihrer Entfaltung meist sehr systematisch, ernsthaft handelnde Personen:
Denken Sie nur an Buster Keaton. Wenn aber alle schon von vornherein cool sind -
daraus kann man auf Dauer keine gute Komödie machen.
STANDARD: Wie
erklären Sie sich die Ambivalenz zwischen künstlerischer Faszination für
Kriegsstrategien und einem forcierten Engagement "dagegen" - etwa in
Benefizveranstaltungen?
Groys: Das ist in der Tat ambivalent. Die
Kunst in der Moderne führt ja eigentlich einen "Kampf" - auch im Sprachgebrauch:
"Zerstörung" der Muster, "Sprengen" der Tradition: Das ist terroristisches
Vokabular der Moderne. Diese Praktiken der Subversion wollen Künstler erhalten
wissen, gleichzeitig aber die eigenen Werke museal bewahrt sehen. Eine zutiefst
ambivalente Haltung, einmal avantgardistisch-terroristisch, einmal
pazifistisch-konservativ.
STANDARD: Was vermissen Sie an der
Berichterstattung rund um den "War against terror"?
Groys: Die
ganze Rhetorik über das Archaische des Islams ist absurd. Wir haben es mit
Leuten aus einer gebildeten Mittelschicht zu tun, ausgebildet im Westen. Wir
sind hier wieder zurück im 19. Jahrhundert. Die Abschaffung des Kommunismus hat
uns dahin zurückgebracht, inklusive Prinzessinnen wie Diana etc. Das 19. war das
Jahrhundert der Selbstmordattentate und des Terrorismus, von Kropotkin über
Bakunin zu den Anarchisten in Frankreich, den serbischen Nationalisten. Das
Selbstmordattentat ist eine ureuropäische Aktivität. Dieses Phänomen in Bausch
und Bogen zu orientalisieren ist völlig absurd.
STANDARD: Aber es ist
wohl leichter, wenn man die Welt in "wir" und "die anderen" polarisiert.
Insofern replizieren ja gerade die Medien die Ästhetik und die Feindbilder
Hollywoods.
Groys: Das stimmt, aber das ist nur die äußere Hülle
der terroristischen Bewegung oder gar der Aliens bei Independence Day:
Man "genießt" die Bilder der Zerstörung, die Motive sind ausgeblendet, meist für
nicht existent erklärt. Eine sehr einseitige Geschichte.
STANDARD: Es
klingt fast, als ob Sie das alles erwartet hätten.
Groys: Nach dem
Ende des Kalten Krieges hat man das Zeitalter der Wirtschaft ausgerufen, die
Abschaffung der Politik, das Ersetzen der strategischen durch die
wirtschaftliche Logik. Jeder, der etwas Geschichtskenntnis hat, erwartete, dass
dies eine kurze Übergangszeit sein musste und neue Bündnisse, neue militärische
Auseinandersetzungen bevorstehen.
STANDARD: Wo sehen Sie dabei besonders
wunde Punkte?
Groys: Es ist eine riesige Illusion gewesen, dass
man allein auf der Ebene der Software existieren und dabei die Hardware
vergessen kann. Alle wirtschaftlichen Verbindungen sind vom Computer
ausgegangen. Computer brauchen aber Telefonleitungen, sind von Elektrizität
abhängig - das ist die Hardware.
Aber lediglich von Software war ständig die Rede: Geld, Text, virtuelle
Realität. Und die Leute haben vergessen, dass so etwas existiert wie Macht und
Politik und reale Hardware, die gesichert, verteidigt werden will. Elektrizität
muss vorhanden sein. Bei einem Bombenanschlag kann ich keine E-Mail mehr lesen.
Bis heute kann ich die Hälfte meiner Freunde in New York nicht erreichen! Dass
Leute in der Software aufgehen, das ist eine Art religiöser Paradiesvorstellung.
Viele Intellektuelle haben in den 80er-, 90er-Jahren in diesem Wahn gelebt!
STANDARD: Historisch betrachtet könnte man jetzt aber auch prophezeien,
dass nun wieder Potenzial zu einer sozialen Revolte
entsteht.
Groys: Dazu muss zuerst eine staatlich orientierte
Ideologie kommen, vergleichbar der von Marx. Die kommt vielleicht - heute haben
wir sie noch nicht. Wir haben Terrorismus als eine Form des Kapitalismus - aber
kein Gegenmodell.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4. 10. 2001)
Quelle: © derStandard.at