Malerei nach dem Nullpunkt

Der Besucher der Malewitsch-
Ausstellung im Kunstforum kann sich ein viel kompletteres Bild von diesem Künstler machen, als das bisher möglich war.
Von Dorothee Frank.


Ein schwarzes Quadrat, das auf der Leinwand einen weißen Rand übrig lässt: Das war der berühmte Avantgarde-Urknall, den Kasimir Malewitsch wenige Jahre vor der Russischen Revolution gezündet hat. Sehr früh im 20. Jahrhundert, nämlich schon 1915, hat Malewitsch diesen für damalige Verhältnisse ungeheuer radikalen Schritt in der Malerei gesetzt.

Schwarzes Quadrat, um 1923
Schwarzes Quadrat, um 1923

Ab ungefähr 1910 haben russische Künstler die kommunistische Utopie einer besseren Gesellschaft wesentlich mitformuliert und die Revolution geistig vorbereitet. Wladimir Malewitsch entwickelte sein Konzept des Suprematismus. Das kommt von "Supremum" - das Höchste. Er selbst sah den Suprematismus als eine Religion des Geistes, als einen neuen Urknall der Kunst und des Lebens, formuliert in so extrem reduzierten Formen wie eben dem schwarzen Quadrat.

Wandelbares Formenrepertoire

Selbstporträt, 1910/11 (Zum Vergrößern anklicken)
Selbstporträt, 1910/11 (Zum Vergrößern anklicken)
In der Kunstforum-
Ausstellung zeigt sich, dass das schwarze Quadrat nur ein - wenn auch zentraler - Aspekt in der Arbeit dieses Künstlers war. Malewitsch hat mehrmals von Phase zu Phase sein Formenrepertoire total umgewandelt und neu kombiniert, ist durch alle relevanten europäischen Malstile seiner Zeit hindurchgegangen und hat oft in verschiedenen Formenkanons zugleich gearbeitet - wie die Künstler der 60er Jahre.

Der Triumph des Himmels, 1907 (Zum Vergrößern anklicken)
Der Triumph des Himmels, 1907 (Zum Vergrößern anklicken)
Religiöse Visionen in gelblich-grünlichen, fast psychedelischen Farben, im Gestus von Symbolismus und Jugendstil, kubistische Bilder mit Collage-Elementen, Kompositionen aus Rechtecken, Linien, und Kreisen, postimpressionistische Landschaften in der Art Cézannes, Architekturmodelle aus übereinandergeschichteten Quadern, bemaltes Porzellan, Stoffmuster, Kostümentwürfe - das alles stammt von einem Künstler.

Teetasse, 1923
Teetasse, 1923

Formalismus-Vorwurf

Malewitsch ist im Westen erst nach der Perestrojka einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. In der Sowjetunion duften seine Bilder etwa von 1930 bis in die frühen 80er Jahre überhaupt nicht gezeigt werden, erzählt die Vizedirektorin des russischen Museums in St. Petersburg Jewgenija Petrowa.

"Die politischen Machthaber betrachteten die frühe russische Avantgarde als 'formalistische Kunst'", weiß sie, "das Volk sollte so etwas nicht sehen. Kandinsky, Malewitsch, Rodschenko, Chagall, Tátlin - das alles lag bei uns im Depot!"

Aiuf dem Boulevard, um 1930 (Zum Vergrößern anklicken)
Aiuf dem Boulevard, um 1930 (Zum Vergrößern anklicken)

Kontemplative Dichte

Durch die ungeheuer präzis kalkulierte unperfekte Geometrie der Linien und durch die Textur der schwarzen Farbe zwingen einen die Bilder von Malewitsch geradezu in ihre kontemplative Dichte hinein, wenn man davor steht. "Malerei nach dem Nullpunkt" nannte Malewitsch diese reduzierten Formen.

In der Wiener Ausstellung hängt auch eine Ikone. Das Gewand des Heiligen hat ein strenges Muster mit schwarzen Kreuzen - es ist dieselbe Kreuzform, die stark vergrößert auf dem Malewitsch-Bild auftaucht.

Vorbild: Ikonen

Komposition mit
Komposition mit "La Gioconda", 1914 (Zum Vergrößern anklicken)
Von den Ikonen übernahm er nicht nur die geometrisierten Formen, sondern auch die Farbensymbolik. Bei Ikonen haben die Farben Schwarz und Rot symbolische Bedeutungen - wie etwa "Kosmos" oder "göttlicher Geist".

Das schwarze Quadrat ist also nicht nur eine abstrakte geometrische Komposition, sondern ein spirituelles Objekt. Malewitsch selbst schrieb: "Das schwarze Quadrat ist die Ikone des 20. Jahrhunderts".

Bäuerliche Tradition

Bei der Ernte, 1928/29 (Zum Vergrößern anklicken)
Bei der Ernte, 1928/29 (Zum Vergrößern anklicken)
In den Quadrat-Bildern formulierte Malewitsch seine Anschauung über die Beziehung von Mensch und Kosmos und über die revolutionäre Erneuerung der Gesellschaft, das weiß man aus den Manifesten, die er veröffentlicht hat. Gleichzeitig gibt es auch in den suprematistischen Bildern vielfältige Referenzen auf die bäuerliche russische Tradition.

Jewgenija Petrowa: "Beim 'Roten Quadrat' kann man auf der Hinterseite der Leinwand unter anderem lesen: 'Bäuerin in zwei Dimensionen'. Dieses rote Quadrat stellt eine Person dar. Rote Kleidung wird in Russland bei Hochzeiten und bei vielen wichtigen Gelegenheiten getragen. Er hat mit dieser Farbe der Ikonen und der Bauernkostüme eine absolut neue Kunst realisiert."

Rotes Quadrat, 1915
Rotes Quadrat, 1915

Späte Gegenständlichkeit

Später ist Malewitsch teilweise zum Gegenständlichen zurückgekehrt, hat aber die suprematistische Malerei der Farbflächen und geometrischen Formen mit der Figuration verbunden. Die Bauern und Bäuerinnen vor gestreiften Feldern aus dieser Phase gehören zu seinen intensivsten Bildern.

1927 erlebte Malewitsch einen gravierenden Rückschlag in seiner Karriere: Von einer Ausstellung seiner Bilder in Berlin wurde er kurzfristig zurückgerufen, die Sowjets wollten nicht, dass er das mittlerweile stalinistische Land im Westen repräsentierte. Einen Großteil der Bilder musste er zurücklassen.

Bilder zurückdatiert

Vervollkommnetes Porträt von Iwan Kljun, 1913 (Zum Vergrößern anklicken)
Vervollkommnetes Porträt von Iwan Kljun, 1913 (Zum Vergrößern anklicken)
Nur durch Unterstützung von Freunden im russischen Museum konnte er sich finanziell über Wasser halten und dort ein Atelier betreiben. In den späten 20er Jahren malte er teils in einem gemäßigt modernen post-
impressionistischen Stil, teils im Sinn seiner avantgardistischen Entdeckungen. Beide Arten von Bildern hat er größtenteils um mehr als zehn Jahre zurückdatiert. Warum, darüber gibt es verschiedene Spekulationen.

Jewgenija Petrowa hat unter anderem folgende Theorie: "Als er 1929 in der Tretjakow-Galerie eine Ausstellung vorbereitete, fehlten ihm die vielen Arbeiten, die er in Deutschland zurücklassen musste. Er wollte aber seine gesamte künstlerische Entwicklung zeigen. Möglicherweise hat er in dieser Situation Bilder aus früheren Werkphasen nachgemalt und diese rückdatiert."

Tipp:

Kasimir Malewitsch im Bank Austria Kunstforum; 5. September - 2. Dezember 2001; täglich 10 - 19 Uhr, Mittwoch 10 - 21 Uhr

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