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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Bildende Kunst 
29. Juni 2009
17:50 MESZ

Krems bis 18. 10.; Wien bis 7. 8.

 

Irwin in Kollaboration mit der bosnischen Armee.


Staat als zeitliche Konstruktion
Projekte der Gruppe Irwin in der Kunsthalle Krems und der Wiener Galerie Insam

Krems/Wien - Die Kuratorin Brigitte Huck hat einen, ebenso wie Künstler Peter Kogler: "Manchmal öffne ich die Schublade in meinem Atelier und blättere ihn durch". Den Pass von NSK, des seit 1992 bestehenden Staates in der Zeit. Ein virtueller Staat ohne Territorium, also ohne Grenzen, gegründet vom slowenischen Künstlerkollektiv Irwin. Die Gründe, einen solchen NSK-Pass zu haben und sich daran zu erfreuen, sind vielfältig, offenbaren die Interviews, die Irwin mit Passbesitzern verschiedenster Länder geführt hat: Weil Identität einmal nicht an ein Territorium geknüpft wird oder man ganz einfach Teil des künstlerischen Projekts sein will. "Es ist ein Krieg, der statt Territorien Herzen gewinnt."

Auch in Krems, wo die Kunsthalle dem seit 1983 bestehenden Kollektiv Irwin, Teil der Gruppe Neue Slowenische Kunst (NSK), eine kleine Personale widmet, kann man derzeit seine Identität erweitern, zum "translander" werden, wie es eine andere NSK-Staatsbürgerin nennt. Das dort eingerichtete Passamt arbeitet schnell und unbürokratisch - inmitten des grauen Betons, ohne Fenster nach außen, wirkt die Inszenierung allerdings etwas klaustrophobisch.

Aber verreisen!? Auf die Idee, mit dem Pass, der mit eingestanzter Nummer und "Staatswappen" eigentlich sehr seriös aussieht, zu verreisen, kommen die wenigsten Mitteleuropäer. Viele würden es auch nicht wagen: "Für einen Witz würde ich den Pass an der Grenze nie vorweisen", erzählt ein Kritiker. Weil sich das Foto seines französischen Pass leicht ablöste, hatte er die ärgsten Probleme bei der Einreise nach Deutschland. Wer einmal - Schengen hin oder her - ohne Pass zurück an seinen Wohnort fliegen wollte, kann solche Vorsicht verstehen. Und der bekommt auch eine Ahnung davon, welche immense Bedeutung so ein Pass in anderen Ländern haben kann.

Zum Beispiel in den 1990er-Jahren in den Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens, wo selbst Grenzsoldaten nicht immer am Laufenden waren, welcher souveräne Staat gerade gegründet worden war. Gelang mit dem normalen Pass die Einreise nicht, probierten es einige - man hatte nichts zu verlieren - mit dem NSK-Dokument. Mit Erfolg. Vergebens allerdings die Hoffnungen nigerianischer Passanwärter zu Beginn des neuen Jahrtausends in den wundersamen, autonomen Staat: Ihnen war nicht klar, dass NSK Staat in der Zeit kein reales Territorium besitzt.

Und daher braucht er auch kein Militär. Umso perfider Irwins Projekt NSK Garda, für das mit dem Militär anderer Länder kollaboriert werden musste: Soldaten wurden mit NSK-Armbinde samt Malewitschs schwarzem Kreuz abgelichtet. Irwin raubte dem Militär für den Moment des Fotos die Legitimation, machte es funktionslos.

Diese Anregung von Kommunikation über politische Themen wie Staat, Identität und Territorium ist typisch für Irwin, die als Teil der Neuen Slowenischen Kunst in den 1980er-Jahren bekannt wurden und mit dem Zitieren und Verweben traumatisch besetzter Motive aus Sozialistischem Realismus, Nationalsozialismus und Ikonen der künstlerischen Avantgarden das Retro-Prinzip begründeten. Eine Gratwanderung, die vielfach kritisiert, aber von Irwin bewusst unkommentiert belassen wurde. Das nicht genau Festgelegte, vielfältig Interpretierbare zieht sich durch ihre Arbeit bis heute. Irwin-Mitglied Miran Mohar:"Kunst, die eindeutig ist, ist pornografisch." (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 30.06.2009)

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