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Anne Schneider: Spuren aus Wachs

24.10.2008 | 13:51 | Von Johanna Hofleitner (Die Presse - Schaufenster)

Kunst entsteht bei Anne Schneider aus der dritten Dimension heraus. Mit unglaublicher Sensibilität legt sie sich Wachs, Wolle, Kunststoff oder Pflanzliches zurecht.

Puppenköpfe umstülpen und ihr Plastikinnerstes nach außen kehren. Zauberbilder mit dem Bleistift so ausmalen, dass vom verborgenen Ganzen bloß winzige Details freigelegt werden. Zimmerpflanzen mit Fragmenten von Pop-Lyrics beschriften. Eine Wohnhausanlage 24 Stunden mit der Kamera überwachen, registrieren, wie deren Bewohner nach Hause kommen und aus den Bildern der erhellten Fenster einen Index sozialer und architektonischer Struktur erstellen. Architektur so fotografieren, dass sich der Blick des Betrachters in den Fluchtachsen der Räume verfängt. Wollfäden und Drähte als Pendel zwischen Boden und Decke so verspannen, dass die Zwischenräume körperlich spürbar werden und sich der Betrachter dazwischen einen Weg bahnen muss. Daran wachsgeformte Architekturmodelle festhaken. Oder wächserne Körper als Ganzes so lange in die Länge ziehen, bis sie nur noch Schlingen und Schlaufen sind, in denen sich ihrerseits Spuren der Realität ablagern: federleichte Pingpongbälle etwa, eine Bluse, hauchdünne Plastiksackerln, ein kleiner Kaugummi, eine Trillerpfeife, ein Schlüsselbund.

Ansätze wie diese verfolgt Anne Schneider in ihren Skulpturen, Fotoserien, Videos und Aquarellen seit bald 15 Jahren. Das Flüchtige, Verletzliche, Fragile war dabei immer charakteristisch. Eine große Rolle spielt das Unbewusste, das eigene wie auch das kollektive, und die Spuren, die es in der Realität hinterlässt: „Abdrücke“ nennt Anne Schneider diese Spuren und lässt damit anklingen, dass ihre Art, Kunst zu machen, viel mit plastisch-räumlichem Denken und mit dem Körperhaften zu tun hat. „Es passiert in der materiellen Welt nichts ohne den Körper“, sagt sie, schränkt aber ein: „Ich bin eigentlich nicht am menschlichen Körper interessiert, sondern an dem Teil, der ihn mit der Außenwelt verbindet, an seinen Emotionen, seinen Gesten und Stimmungen. Der menschliche Körper spielt dabei insofern eine Rolle, als die Grenze zwischen dem Selbst und der Welt durch den Körper verläuft.“
Als Künstlerin hat Schneider den Part übernommen, entlang dieser Körpergrenze das wieder sichtbar zu machen, was in unserer Kultur verschüttet und verloren gegangen ist. „So gesehen“, sagt sie augenzwinkernd, „ist das, was ich tue, eine Art von ,cultural studies‘. Ich lasse in meiner Arbeit unzensuriert Dinge aufsteigen, die sich ablagern.“

Den Körper spüren. Dass im Dialog mit der Skulptur auch der eigene Körper vehement zum Einsatz kommt, nimmt da nicht wunder. Er ist bei ihr immer zugleich Stellvertreter des Selbst wie auch Ausführender. „Ich muss den Körper spüren“, sagt sie. „Ich mag es auch, dreckig zu sein und etwas nach außen zu bringen. Das Weibliche ist eh immer so clean.“ In einem ihrer Kurzvideos thematisiert Schneider diesen Zusammenhang: Bei der Biennale Melbourne 1998 präsentierte sie einen Arbeitsbericht aus dem Studio mit dem unmissverständlichen Titel „Anne Schneider“. „Das Video zeichnet nüchtern einen skulpturalen Formgebungsprozess auf“, sagt sie. „Dabei werden Puppenköpfe ergriffen, mit dem Fuß fixiert und unter sichtbarer Kraftanstrengung gestülpt, bis die innengelegene Negativform der menschlichen Physiognomie als plastisches Porträt nach außen getreten ist.“

Im Wachs daheim. Und noch deutlicher wird dieser Zusammenhang bei ihren neuen Wachsarbeiten – angedeuteten Porträtköpfen, teils lebensgroß, teil von puppenhaftem Format, die sie zu zweit oder zu dritt miteinander in eine dialoghafte Beziehung setzt. Schicht um Schicht aus schwarzem Industriewachs aufgebaut, können sie mit den Händen nur so lange geformt werden, wie das Wachs warm und weich ist. An der Vorderseite sind mit den Fingern rudimentäre Gesichtszüge eingedrückt, die Hinterköpfe bleiben hingegen abstrakt: „Diese Wachsarbeiten haben eine große Flüchtigkeit, aber auch eine große Intimität“, sagt Schneider. „Da fühl’ ich mich voll daheim, weil mit dem Körper ein Körper erzeugt wird.“ Auch in der Endfertigung behandelt sie sie wie schutzbedürftige Körper, wickelt ihnen einen Wollschal um, behängt sie mit
einer Halskette oder steckt sie in ein T-Shirt.

In der Disparatheit der Materialien weisen die Köpfe letztlich über sich selbst hinaus. Denn es geht hier weniger darum, dem traditionsbehafteten Skulpturenbegriff eine neue Facette abzuringen, sondern vielmehr um eine Atmosphäre und das Zusammenspiel der einzelnen Objekte. Womit sich auch wieder der Kreis zum Raum schließt. Schneider: „Wenn sich zwei Skulpturen anblicken, dann entsteht dazwischen ein Raum, den man physisch und psychisch wahrnehmen oder erahnen kann. Was bedeutet Raum? Im Grunde das Vorhandensein von Existenz. Diesem Raum und der Geschichte, die darin mitschwingt, gilt mein Hauptinteresse. So gesehen ist meine Arbeit Puppenspielen auf hohem Niveau.“


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